Nachruf auf Maria Fiorentino„Schlebuscher Nonna“ hatte für alle ein offenes Ohr

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Maria Fiorentino, wie die Schlebuscher sie in Erinnerung behalten werden.

  • Maria Fiorentino, die „Schlebuscher Nonna“, ist im April mit 84 Jahren gestorben.
  • Die gebürtige Neapolitanerin war allseits bekannt und beliebt, ihre Tatkraft und ihre Lebensgeschichte inspirierten sogar zu einem Theaterstück.
  • Wir zeichnen das Leben dieser starken Frau nach, die bis ganz zuletzt um ihren Mann Antonio getrauert hat.

Leverkusen – Maria Fiorentino wollte das Meer ohne Antonio nicht sehen. Die Trauer um ihn wog bis zuletzt schwerer, als der eigene Traum. Für Träume hatte Maria in ihrem Leben wenig Platz, sie räumte ihnen auch nie Vorrang ein. Was zählte, war die Liebe. Zur Familie, zu Antonio und zu Gott. Am 13. April starb die allseits bekannte Schlebuscherin.

Die Geschichte von Maria Fiorentino beginnt in einem kleinen süditalienischen Dorf namens Biancano. 400 Einwohner hat der Ort, zwei katholische Kirchen, bis zur Küste dauert es eine Autostunde. 1936 wird Maria geboren. Der Vater erzieht das Mädchen streng. Erst mit zwölf Jahren erfährt sie, dass die Frau die sie großgezogen hat, ihre Stiefmutter ist. Die leibliche Mutter starb, als Maria zwei Jahre alt ist.

Maria Fiorentino und ihr Mann

Maria Fiorentino und ihre große Liebe Antonio

Sie erhält keine Schulbildung und bleibt ihr Leben lang Analphabetin. Doch Maria hat ihre Hände. Mit zehn Jahren beginnt sie auf dem Bau und in Spülküchen zu arbeiten. Wenige Jahre später auch in Frankreich und der Schweiz. Das Geld verdient sie für ihre Familie, die Fiorentinos sind nicht wohlhabend.

In ihrem Heimatort trifft Maria den Mann, der sie ihr ganzes Leben begleiten sollte. Bis über den Tod hinaus. Antonio ist vier Jahre älter und wird Marias erste und einzige Liebe. Nach sieben Jahren Verlobungszeit heiraten die beiden und der erste von drei Söhnen kommt zur Welt. Die Fiorentinos ziehen nach Deutschland. Antonio und Maria finden beide eine Anstellung in der H. P. Kuhlmann Söhne Sensenfabrik in Schlebusch. Als erste und einzige Frau wird Maria Schleiferin in der Produktion. Es ist eine Knochenarbeit, der das Paar in den dunklen Kellerräumen der Fabrik nachgeht.

Antonios Tod reißt eine Wunde

1975 geschieht die Tragödie, die Maria bis zuletzt nicht mehr loslassen wird. Mit nur 39 Jahren wird sie zur Witwe, als Antonio im Italien-Urlaub bei einem Autounfall stirbt. Maria beerdigt ihren Mann in der Heimat – und fährt alleine mit drei kleinen Kindern zurück nach Deutschland. „Hier habe ich Arbeit, hier kann ich euch ernähren“, habe die Mutter später die Entscheidung begründet, erzählt der älteste Sohn Domenico Fiorentino. Geld verdienen, die Familie durchbringen, alle satt machen. So war es seit ihren Mädchentagen. Maria Fiorentino hatte wenig Zeit für Sentimentalitäten, stattdessen packte sie an. Doch die Trauer über den Tod des Ehemannes grub sich in ihr Herz ein. Maria legte die schwarze Kleidung nie wieder ab.

Maria Fiorentino

Maria Fiorentino starb mit 84 Jahren. Die „Schlebuscher Nonna“ war im „Dorf“ und darüber hinaus bekannt.

Zurück in Leverkusen spielt sich das Leben der Fiorentinos – jetzt ohne den Vater – zwischen der Fabrik und dem Wohnhaus ab. Die Gebäude liegen sich genau gegenüber, so kann Maria immer wieder nach den Kindern sehen. Ein eigenes Badezimmer hat die Familie zu dieser Zeit noch nicht, sie duschen in der Fabrik. Es war ihr zweites Wohnzimmer, sagt Rosario Fiorentino. Der Respekt vor den Kuhlmanns, der Gründerfamilie der Sensenfabrik, ist noch heute groß. „Du kannst immer hier arbeiten, mach dir keine Sorgen“, hätten die Geschäftsführer Heinrich Kuhlmann III. und Hans Schäperclaus zu Maria gesagt, als sie zurück nach Leverkusen kam. 1976 zieht die Familie in das kleine weiße Haus am Hammerweg. Maria arbeitet weiter als Schleiferin, bis der Betrieb 1984 schließt. Nachts putzt sie die Räume der Firma Frema, die in der Nähe der Sensenfabrik liegt.

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Maria Fiorentino und ihre drei Söhne

„Ich weiß nicht, wie die Frau das gemacht hat“, sagt Domenico Fiorentino. Sie seien arm gewesen und trotzdem habe die Mutter es geschafft zu sparen, sogar in Urlaub sind sie gefahren. Und immer hätten sie gut gegessen, das sei Maria Fiorentino wichtig gewesen. Im Wald sammelte sie Pilze, rupfte Löwenzahn und kochte es wie Gemüse. Sie backte Brot und stellte Käse her. Aus wenig viel machen, mit dem auskommen, was da ist – das konnte die Nonna, wie die Enkel sie nennen. Für die Kirche hatte sie immer eine Spende übrig. Vom Glauben ist sie nicht ein einziges Mal abgekommen, so die Söhne.

Bekannt in der Nachbarschaft und für alle da

Die Nonna war sie nicht nur für die eigene Familie, sondern für die ganze Nachbarschaft. „Guten Tag, komme rein“, an diesen Satz erinnern sich alle. Ob Nachbarn oder Fremde, die Tür zum Haus Fiorentino stand immer offen. Die Kinder winkte Maria für Schokolade oder eine Banane heran, die Erwachsenen bekamen Espresso. „Sie hat den Menschen immer erst einmal vertraut“, sagt Maria Esser, ihre Enkelin. In der Sparkasse habe sie Fremden ihre Kontoauszüge unter die Nase gehalten, damit diese sie ihr vorlesen. Jeder von den Fiorentinos hat eine dieser Geschichten zu erzählen. Wie die Nonna einmal Pferde an der Mähne packte und zurück auf die Koppel schleifte, als diese ausgebüchst waren. Der Gang heim vom Supermarkt – die Einkaufstüten auf dem Kopf – machte Maria Fiorentino in ganz Schlebusch bekannt. Dabei war sie niemand, der die Aufmerksamkeit suchte. Als 2006 in der Sensenfabrik ein Theaterstück über sie aufgeführt wird, sitzt sie beschämt, aber auch stolz, in der ersten Reihe.

Maria Fiorentino beschwerte sich nie. Die Familie ermahnte sie, den guten und richtigen Weg einzuschlagen. „Ist egal, ist egal. Du musst alle respektieren. Besser keinen Streit“, lautete der Rat an ihre Enkelin Maria Esser, wenn diese als Teenager ihren Frust über andere bei der Nonna ablud. Eher die andere Wange hinhalten, als zurückschießen. Sicher und geborgen habe man sich bei der Nonna gefühlt, ein unglaubliches Vertrauen gehabt. Doch auch die Strenge – gegen sich und andere – gehört zu Maria Fiorentino. Als die Kinder ihr die Reise ans Meer schenken wollten, lehnte sie ab. „Nicht ohne meinen Mann“, sagte Maria. Um Antonio weinte sie bis zuletzt, als sei er gestern gestorben.

Zum 80. Geburtstag sei niemand eingeladen worden, man habe einfach die Tür offen gelassen, erzählt die Enkelin Laura Fiorentino-Gatzka. Das kleine Haus sei voller unangekündigter Gäste gewesen. Vor der Nonna habe jeder den größten Respekt gehabt. Eben wie sie ihn auch allen Menschen, die ihr begegneten, entgegenbrachte. Maria Fiorentino glaubte fest daran, dass sie mit dem Tod zu ihrem Mann zurückkehrt. Trotz Corona konnte sie neben Antonio in Biancano beerdigt werden. Mit 84 Jahren ist die Nonna nun heimgekehrt.

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