Nachkriegszeit in Leverkusen und BurscheidAls die Fresswelle dem Fettaufruf folgte

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Richard Beyer war der Wurstmaxe, ein Selfmademan aus der Kriegsgeneration.

Richard Beyer war der Wurstmaxe, ein Selfmademan aus der Kriegsgeneration.

  • Auch nach 1945 war die Bevölkerung von Ausgangssperren betroffen. Es wurden Verordnungen und Bekanntmachungen erlassen.
  • Lebensmittelmarken, rationierte Margarine und Damenschuhe zu 12,80 Mark.
  • Unser Kollege Jan Sting blickt zurück auf die Nachkriegszeit.

Leverkusen/Burscheid – Mit Katzenfell gefütterte Jacken trug Richard Beyer zum Schluss auch im Sommer. Es war die Kälte, die ihm in den Knochen saß. Abend für Abend öffnete er über ein Vierteljahrhundert zuerst an der Werkstättenstraße, dann auf dem Opladener Marktplatz seinen Stand. Selbst bei Minusgraden versorgte der Wurstmaxe seine Kunden mit Brat-, Knoblauch, Delikatess- oder Currywurst. Das Rezept nahm er 1984 als 74-Jähriger mit ins Grab.

Vom Selfmademann, oder wie wir heute sagen würden „Soloselbstständigen“ brachte es Beyer zuerst mit Bauchladen, dann mit Karre und später einem begehbaren Anhänger schon bald zum eigenen Benz. Der Wurstmaxe ist für Menschen an Rhein und Wupper ein Sinnbild des Wirtschaftswunders geworden, verbunden mit der „Fresswelle“.

Rationierung bis 1949

Was war dem hässlichen Wort vorausgegangen? Wilfried Glatten, Fotograf unter anderem auch beim Kölner Stadt-Anzeiger, hat in Burscheid unmittelbar nach Kriegsende die Bekanntmachungen des Bürgermeisters sowie des Oberkreisdirektors abgelichtet. Es waren Bekanntmachungen, die nach Ende des Kriegs unter der amerikanischen Besatzungsarmee ausgehängt wurden. Sie behandeln uns heutigen Menschen des Digitalzeitalters lange so fremd gebliebene Dinge wie Ausgangssperren. In Zeiten von Corona kommen einen Anordnungen und Bekanntmachungen wieder erstaunlich vertraut vor.

Die Bekanntmachung vom 19. April 1945.

Die Bekanntmachung vom 19. April 1945.

Reinhold Braun vom Bergischen Geschichtsverein, Abteilung Leverkusen-Niederwupper und der stadtgeschichtlichen Vereinigung hat Glattens Fotos archiviert. Am 16. April 1945 besetzten amerikanische Truppen Burscheid und das Goetzewerk. Drei Tage später erließ der Bürgermeister im Auftrag der amerikanischen Besatzungsarmee die Anordnung. Zwischen sechs Uhr abends und sieben Uhr morgens durfte die Bevölkerung nicht auf die Straße. Sondererlaubisse, denen die Amerikaner zustimmen mussten, gab es für Ärzte, Hebammen, Geistliche und Arbeiter in Nachtschicht.

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„Wer sich im Besitz geplünderter oder unrechtmäßig erworbener Lebensmittel befindet, hat dieselben unverzüglich dem rechtmäßigen Besitzer wieder zurückzugeben“, stand angeschlagen. Folgende Zeilen stachen besonders heraus: „Leder und Schuhwaren müssen bei der Firma Louis Frankstein, Lebensmittel sowie alle anderen Waren, die ohne Bezahlung entnommen worden sind, bei Tennagel, »Gasthof zur Post« unverzüglich abgegeben werden.“

Hunger herrschte und 1947 berechtigten Lebensmittelmarken zur gesonderten Abgabe von Kinderpudding und Kinderstärkemehl. 1948 heißt es auf der Karte vom 10. Mai, dass Bäcker, die kein Mais- oder Sojamehl beimischen, mit einer Ordnungsstrafe zu rechnen haben. Nach der Währungsreform am 20. Juni 1948 waren nicht alle Sorgen vorbei. Auch der Fettaufruf vom 11. bis 20. Mai 1949 auf dem Papier der Druckerei Willi Fehl verhieß nichts Gutes: Butter, Margarine und Öl gab es in Portionen zu fünf Gramm, Fleisch zu 100 Gramm.

Bekanntmachung vom 10. Mai 1949 in Burscheid.

Bekanntmachung vom 10. Mai 1949 in Burscheid.

Immerhin war nach einer neuen Verordnung die Haltung von Hausschlachtungstieren zur Selbstversorgung zulässig. Voraussetzung war aber, dass die Halter den Erwerb von 250 Kilo Kartoffeln oder 50 Kilo Kartoffelflocken nachweisen konnten. Denn: „Küchenabfälle aus privaten Haushalten bilden keine ausreichende Futtergrundlage.“

Die behördlichen Bekanntmachungen waren verbunden mit Kartenaktionen der Suchdienstzonenzentrale in Hamburg. Die Flüchtlinge aus dem Osten, die in Burscheid gelandet waren, sollten diese mit ihren Daten versehen. Außerdem gab es Werbung in bescheidenem Umfang: Das Schuhhaus Maria Kaufmann an der Hauptstraße verkaufte Damenschuhe zu 12,80 Mark und Sommerschuhe zu 6,95 Mark. Solche behördlichen Regelungen geben womöglich einen Einblick, warum es noch Jahre später ein Fest war, eine Brat- oder gar Delikatesswurst beim Wurstmaxe zu essen.

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