Neurowissenschaftler über digitalen Stress„Wir haben alle ein bisschen ADHS“

Funktionieren Emojis ähnlich wie Hieroglyphen? Dr. Volker Busch legt es nahe.
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- Dr. Volker Busch sprach beim Pronova-Jahresempfang in Leverkusen über digitalen Alltagsstress.
- In Teilen war die Rede mit Binsenweisheiten und abgenutzten Klischees überladen.
- Spannend allerdings ist eine vorgestellte Methode, bei der man kaum etwas am eigenen Leben ändern muss – und trotzdem zu tiefer Entspannung und Zufriedenheit kommen soll.
Leverkusen – Ein schönes neues Haus hat sie bekommen, die Pronova. „Inzwischen brauchen wir den Neubau eigentlich gar nicht mehr, weil 40 Prozent unserer Mitarbeiter mobil arbeiten“, berichtet Ulrich Rosendahl, Marketingchef bei der Betriebskrankenkasse. Er hat all jene Unternehmer aus Leverkusen und Umgebung zum Jahresempfang eingeladen, die sich als „Mittelstand“ verstehen. Um zu erfahren, wie man denn mit digitalem Alltagsstress umzugehen hat.
Eingeladen war dafür der Neurowissenschaftler Dr. Volker Busch. „Hysterie und Angst sind nicht mein Thema. Digitalisierung hat Vorteile und Nachteile“, stellt er zu Beginn seines Vortrages klar. Er spricht vom Präfrontalcortex als „Scheinwerfer unserer Aufmerksamkeit“, der zu jeder Zeit nur eine bestimmte Tätigkeit fokussiert – und ist sich für eine Übersetzung in den neoliberalen Unternehmersprech nicht zu schade: „Er ist der CEO unseres Gehirns.“ Dieser Scheinwerfer, so seine These, ist durch zunehmende digitale Ablenkung nicht mehr einwandfrei, „wir haben also alle ein bisschen ADHS.“
Die „Fokusstunde“ als Schlüssel
Leider ist die Rede nicht nur flapsig angelegt, sondern stellenweise auch überladen mit Binsenweisheiten und abgenutzten Klischees. So seien Unterbrechungen heute nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Und es sei ja „fast unmöglich, die Aufmerksamkeitsspanne eines 19-Jährigen über eine Tagesschaulänge zu halten, wenn man nicht über Sex redet“. Er spricht darüber, dass „sich der Wert eines Unternehmens heute über die Fähigkeit bestimmt, unsere Aufmerksamkeit zu klauen“. Das allerdings will er „gar nicht kritisieren“. Warum eigentlich nicht? Busch kennt offenbar sein Publikum.
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Spannender wird sein Vortrag, wenn er – untermauert von Studienergebnissen – vorschlägt, man solle sich „eine Stunde am Tag Zeit nehmen für die wichtigste Arbeit“. In dieser „Fokusstunde“ müsse man sich „unerreichbar machen“ und den mentalen Scheinwerfer bewusst auf eine Aktivität werfen. Das Resultat seien „Effizienz, Arbeitszufriedenheit und tiefe Entspannung“.
Weniger Stress
Bei den 1200 Probanden einer aktuellen Studie wurde nach Einführung einer solchen Stunde tatsächlich weniger Cortisol gemessen, weniger Stress also. „Entspannung tritt nicht nur durch die Hängematte, sondern auch durch tiefe Wahrnehmung ein, auch beim Lesen oder im Kino“, erläutert der Neurowissenschaftler.
Weil es dazu führt, dass sich Nervenwellen synchronisieren und nicht aneinander vorbei arbeiten. Tiefe sei „der gemeinsame Nenner von Leistung und Entspannung“, in den letzten Jahren allerdings sei diese Verknüpfung immer seltener geworden. Im Pronova-Neubau sind die Mitarbeiter mittlerweile zumindest von weniger Kollegen abgelenkt. Der Nervenwellen-Synchronisierung stehen also nur noch die eigenen Angewohnheiten im Weg.