OberstadtdirektorFunde belegen Nazi-Vergangenheit von Leverkusener Ehrenringträger

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Otto Grimm (rechts) mit Hakenkreuzbinde und Amtskette als Bürgermeister von Altenburg im Kreise uniformierter Amtsträger der NS-Zeit.

Otto Grimm (rechts) mit Hakenkreuzbinde und Amtskette als Bürgermeister von Altenburg im Kreise uniformierter Amtsträger der NS-Zeit.

  • Nun entdeckte Archivfunde belegen, dass der spätere Leverkusener Oberstadtdirektor viel mehr als nur ein Mitläufer in der SA gewesen ist.
  • In der damaligen Ostzone stufte man Grimm nach einer Anhörung als Haupt-Kriegsverbrecher ein, das belegen Akten. Im Westen konnte er sich dagegen reinwaschen.
  • Andere Unterlagen belegen, dass Grimm bis zuletzt insgeheim Nazi geblieben ist.

Leverkusen – Für manche war das Kriegsende 1945 befreiend. Für andere, die eine führende Rolle im Nazistaat gespielt hatten, ganz und gar nicht. Für sie brach eine Zeit des Vertuschens und des Täuschens an. Manchmal ein Leben lang, mindestens aber so lange, bis die Weste sauber genug war, um in der neuen Bundesrepublik wieder nach oben zu kommen.

Neuere Archivfunde belegen, dass sich auch der Leverkusener Ehrenringträger Otto Grimm für diesen Weg entschied. Denn vor seiner lukrativen Laufbahn in Leverkusen, erst als Stadtdirektor, später in der entscheidenden Position als Oberstadtdirektor, war er in Thüringen SA-Mitglied und Oberbürgermeister: Viel mehr als nur ein Mitläufer. Mike Busse-Lepsius, ehemaliger Geschäftsführer der Leverkusener SPD-Fraktion und jetzt Mitarbeiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin, recherchierte in Thüringer Archiven, nachdem er von einem Forscher einen Hinweis erhalten hatte.

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Dankesrede: Am 20.April 1966 erhält Oberstadtdirektor a.D.  Otto Grimm den Ehrenring der Stadt Leverkusen, den er auf dem Bild an der Hand trägt.

In der damaligen Ostzone stufte man Grimm nach einer Anhörung als Haupt-Kriegsverbrecher ein, das belegen Akten. Im Westen konnte er sich dagegen reinwaschen. In Leverkusen war bekannt, dass er von 1936 bis 1945 als Oberbürgermeister in Altenburg eingesetzt war, aber er galt dennoch im Westen nur als Mitläufer. Anscheinend ohne Probleme konnte Grimm in Leverkusen eine neue Karriere machen. Sechs Jahre nach Grimms Tod benannte man die Vom-Stein-Straße in Wiesdorf nach ihm. Seine braunen Einstellungen aber hatte er offenbar bis ins hohe Alter insgeheim nicht abgelegt. Ein inzwischen öffentlicher Brief an einen alten Kameraden bezeugt dies. Der gebürtige Gothaer und spätere Wahl-Düsseldorfer Grimm hielt während seiner Leverkusener Dienstzeit zu einem alten Thüringer Gesinnungsgenossen aus der Nazizeit Kontakt, man blieb sich verbunden. Einen anderen alten Gesinnungsgenossen brachte er offenbar in Leverkusen als Geschäftsführer unter: Bei der Gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft (GSG), der Vorläuferin der städtischen Wohnungsgesellschaft WGL.

1933 in die SA eingetreten

Grimm war 1933 in Thüringen in die SA eingetreten. Als junger Jurist diente Grimm sich in Thüringer Städten über mehrere Etappen bis zum Bürger- und später zum Oberbürgermeister in der Spielkartenstadt Altenburg hoch. Das heißt, er wurde dort 1934 vom NSDAP-Kreisleiter Max Hauschild eingesetzt, denn gewählt wurde damals schon nicht mehr. Hauschild und Grimm blieben einander bis ins Alter verbunden.

Die Aufbaujahre

Otto Grimm machte Leverkusen zu einer kreisfreien Stadt. Während seiner zwölfjährigen Dienstzeit als Verwaltungschef, von 1951 bis 1963, entstanden unter anderem das städtische Krankenhaus, mehrere Schulen, die großen Verkehrsachsen und 48 Kilometer Kanalnetz. Insgesamt wurden 12 000 Wohnungen im ganzen damaligen Stadtgebiet, darunter ganz Alkenrath, gebaut.

Grimm konnte aus dem Vollen schöpfen: Es war eine goldene Zeit der Stadt, denn Bayer zahlte in den Wirtschaftswunderjahren noch hohe Steuern an die Kommune. (rar)

Der Zündfunke für Grimms Karriere war offenbar das Empfehlungsschreiben eines hohen Nazis. Sein Name: Walter Ortlepp. Der Thüringer SS-Brigadeführer und spätere Innenminister bescheinigte 1933 in einem Empfehlungsschreiben, er kenne Grimm schon seit der Schulzeit. Er schrieb: „Dr. Grimm hat früher der Dt. Volkspartei angehört, ich weiß aber [...] dass […] es innerste Überzeugung war, die ihn in unsere Reihen (der Nationalsozialisten, die Redaktion) geführt hat.“

Am 1. April 1933 war Grimm in die NSDAP eingetreten, seine Mitgliedsnummer 1.791.554 besagt, dass er kein Parteimitglied der ersten Stunde war. Deshalb brauchte es wohl einen Fürsprecher von hohem Rang, damit die Karriere nicht stockte. Zur SA gehörte Grimm laut einer Selbstauskunft seit Mai 1933, am 9. November 1938 wurde er zum SA-Sturmführer befördert – das teilte er bei seiner Leverkusener Bewerbung allerdings nicht mit.

Die erste Zeit als Oberbürgermeister in Altenburg widmete sich Grimm der „Säuberung“ der Verwaltung. In einer Rede vor dem Rat brüstete er sich, nach der Amtsübernahme fast jeden zweiten Beamten und jeden fünften Angestellten aus der Verwaltung hinausgeworfen zu haben.

Grimm blieb bis zum Kriegsende Stadtchef. Und sogar noch einige Tage länger. Aus Altenburg flüchtete der Oberbürgermeister nicht vor den anrückenden Feinden gemeinsam mit der abziehenden Wehrmacht. Aber weshalb nicht? Grimm selbst gab später an, es sei seine Pflicht gewesen. Er blieb tagelang im Rathaus. Ob er – gleich seinem Führer in Berlin – mit depressiver Stimmung den Zusammenbruch erwartet hat? Oder hat er trotz der August-Hitze den Kamin in Betrieb genommen und sich im Archiv mit der Vernichtung belastender Akten beschäftigt? Das bleibt eine Spekulation.

Belastende Unterlagen

Die Otto-Grimm-Straße in der Wiesdorfer Fußgängerzone erinnert an den früheren Oberstadtdirektor und Ehrenringträger.

Die Otto-Grimm-Straße in der Wiesdorfer Fußgängerzone erinnert an den früheren Oberstadtdirektor und Ehrenringträger.

Für einen Oberbürgermeister, der neun Jahre eine Stadt geleitet hat, finden sich in Altenberg heute laut Busse nur wenige Akten. Aber manches Papier überdauerte eben doch. So fanden sich im Archiv, Datum November 1944, Grimms Propaganda-Anweisungen für die Stadtverwaltung. Für jeden Tag sollte es einen Sinnspruch, eine Losung für das Amt geben. Meist waren es Durchhalteparolen. Für den 7. November 1944 hieß die offizielle Tagesparole: „Die Völker, die nicht mehr die Kraft besitzen, den feigen und jüdischen Geist in ihrer Führung zu bannen, gehen schicksalhaft am Pesthauch des Juden zugrunde“. Im Januar 1945 ordnet Grimm noch einmal an, dass der Gruß „Heil Hitler“ auf allen amtlichen Briefen zu stehen habe.

Es gab Zeugenaussagen: In einem Entnazifizierungsverfahren wurde Grimm beschuldigt, einen Mann bei der Gestapo angezeigt zu haben, der sich in einer Altenburger Kneipe abfällig über das System geäußert hatte. Der Mann, so die Aussage des Zeugen, habe dafür vier Jahre im Zuchthaus büßen müssen. Ein anderer Zeuge belastete Grimm 1947 in Altenburg in Abwesenheit gegenüber einer Kommission schwer. Er berichtete, dass Grimm als Oberbürgermeister „maßgeblich an Judenpogromen beteiligt“ gewesen sein sollte. 1940, so die Aussage, soll die Altenburger Stadtverwaltung unter Grimms Führung „Kurt Dannemann, der ein Halbjude war, verhaftet, ins KZ gebracht und dort ermordet“ haben. Das Urteil der Kommission: Grimm wird als Hauptverbrecher eingestuft; er darf keine leitenden selbstständigen und kontrollierenden Stellungen in Verwaltung und Wirtschaft bekleiden.

Glückliche Umstände

Zwar befreiten die Amerikaner Thüringen, das Land wurde aber schnell der russischen Besatzungszone zugeschlagen. Also gehörten die Akten dem Thüringer Innenministerium in der sowjetischen Besatzungszone. Grimm hatte Glück, man sperrte ihn in einem Internierungslager für Nazis im hessischen Darmstadt ein. Die Amerikaner forderten damals Akten über ihn in der Ostzone an, das belegt ein Papier. Wieder hatte Grimm Glück: Die Russen behielten ihr Wissen, es wurden keine Akten ausgehändigt. Der Kalte Krieg hatte begonnen, zwischen dem Osten und den Westmächten gab es schon Kommunikationsprobleme.

Grimm galt fortan im Westen als amtlich beglaubigter Mitläufer. Er zog nach Wolfsburg und nahm dort bald eine Stelle in der Stadtverwaltung an. Er habe den Nationalsozialismus unterstützt, ohne ihn maßgeblich gefördert zu haben, so steht es im Beschluss des „Entnazifizierungs-Hauptausschuss für besondere Berufsgruppen“.

Das Entnazifizierungs-Papier, das mangels Akten aus dem Osten so freundlich ausgefallen war, reichte Grimm nicht. Ein weiteres Entlastungsschreiben ist amtlich hinterlegt. Ein Oberregierungsrat Dankwart Nestler aus Weimar schreibt dort: „...hat er (Grimm, die Redaktion) aus seiner scharf ablehnenden Einstellung gegenüber den Methoden und Auswüchsen des nazistischen Systems kein Hehl gemacht“. Das war nach allem, was jetzt bekannt ist, gelogen.

Grimm blieb insgeheim Nazi

Grimm bei der Amtseinführung in Thüringen, offensichtlich in SA-Uniform am 1. April 1936.

Grimm bei der Amtseinführung in Thüringen, offensichtlich in SA-Uniform am 1. April 1936.

Bei Otto Grimms Bewerbung in Leverkusen liegt die Sache schon ganz anders. Besonders die ordentliche Haushaltsführung der Finanzen in Altenburg und Gera stellte er in seiner Bewerbung zum mächtigsten städtischen Amt des Oberstadtdirektors heraus. Er bekam die Stelle 1951 und handelte noch einige Vorteile heraus. Bis 1963 blieb der Beamte in der Stadtverwaltung Leverkusen.

Die Bande zu den alten Kameraden rissen aber nie ab: Im Februar 1966 schrieb der inzwischen pensionierte Grimm an seinen alten Förderer, den ehemaligen NSDAP-Kreisleiter Max Hauschild, zu dessen 80. Geburtstag: „Lieber Kamerad Hauschild, […] dass Ihre Verdienste … um die Stadt Altenburg […] zwar vorübergehend verdunkelt sein können, aber vor dem unbestechlichen Auge der Geschichte Bestand behalten werden.“ Grimm hätte den Brief sicher nicht so geschrieben, wenn er geahnt hätte, dass ein Urenkel Hauschilds den gesamten Nachlass des Kreisleiters im Jahr 2008 dem Thüringer Staatsarchiv Altenburg überlassen würde. Grimm und Kamerad Hauschild waren einst gute Weggefährten: Als Oberbürgermeister hatte Grimm Hauschild zum Ehrenbürger Altenburgs gemacht.

Im selben Jahr, in dem Grimm den entlarvenden Brief an seinen alten Kameraden Hauschild schrieb, bekam er im Schloss Morsbroich den Ehrenring der Stadt Leverkusen angesteckt. Am 20. April 1966, Grimms 65. Geburtstag. Sein Nachfolger im Amt, Walter Bauer, schlug ihn bei der Landesverwaltung für das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse vor. Die lehnte das aber ab – ahnte man etwas?

Am 8. November 1969 starb Grimm 68-jährig in Düsseldorf. Er wurde in Manfort beerdigt. Nach seinem Tod setzte man Grimm in Leverkusen noch ein kleines Denkmal: Im Zuge der kommunalen Neugliederung gab die Stadt einer zentralen Wiesdorfer Gasse den Namen Otto-Grimm-Straße.

Die entlarvenden Papiere schlummerten derweil verschlossen in DDR-Archiven, Fakten, die Beamte erpressbar machen. Für einen handfesten Skandal hätten sie genug Material enthalten.

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