StadtgeschichteAus den Kindheitstagen der Waldsiedlung in Schlebusch
Leverkusen – Wenn Lutz Diese sich an seine Kindheit in der Waldsiedlung erinnert, dann blitzen seine Augen auf. Lebhaft erinnert er sich an den Frontverlauf an der Mendelssohnstraße. „Die großen Spielflächen dort waren unser Schlachtfeld. Wir waren uns spinnefeind.“ Und manch ein Junge kam blutend nach Hause, wenn er im „Schlachtengetümmel“ wieder einen Stein an den Kopf bekommen hatte. Es waren raue Kinder- und Jugendtage zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, die Lutz Diese erlebte. Und von denen er sehr lebhaft erzählt.
Fast hundert Zuhörer verfolgten seine Schilderungen jetzt in der Schlebuscher Stadtteilbibliothek im Freiherr-vom-Stein-Gymnasium. Die Stadtbücherei hatte zu dieser Fortsetzung ihrer beliebten Reihe „Als wir noch jung waren“ eingeladen, die sich diesmal aber speziell mit der Gründerzeit der Waldsiedlung beschäftigte. Thematisch geschickt geführt von der passierten Schlebuscherin und früheren Gymnasiallehrerin Elisabeth Rosenfelder, schilderte Diese nach einer fundierten Einleitung durch Stadtarchiv-Leiterin Gabriele John, was er als junger Rabauke in diesem damals ebenfalls jungen Stadtteil erlebt hatte.
Radikale Jungenstreiche
Und er bekannte sich auch zu dem Rachefeldzug, den seine Bande unternahm, nachdem gegen Kriegsende, als Brennholz knapp war, eine Nachbarin ihre Bude auseinandergenommen und verheizt hatte. Ihre Rache, die Entwendung von Gartentürchen, gestaltete sich inflationär und gipfelte in einem Bestand von 65 Törchen auf dem Dach des Strömhäuschens am „Kinderberg“, ihrem Spielplatz. „Einer der Mittäter von damals sitzt heute hier im Publikum“, denunzierte Dieser ganz fröhlich.
Aber es waren eben nicht nur die Jungenstreiche, die in Erinnerung blieben. Ab 1944 wurde auch die Waldsiedlung Ziel alliierter Bomben- und Tieffliegerangriffe. Doch die meisten Bomben landeten glücklicherweise im Wald, wo entsprechende Erdtrichter noch heute an die Einschläge erinnern. In seinen Pfadfindertagen, Diese berichtete von der Gründung eines eigenen Stammes im Freundkreis, Stätten fröhlicher Lagerfeuer.
Zum Kriegsende mehrten sich die Aufenthalte in Luftschutzkellern, immer wieder auch auf dem Weg zur Schule in der Bahnhofsstraße, heute Dhünnberg. Familienmitglieder kamen durch Bomben ums Leben. Bayer-Chemiker versuchten sich beim Anrücken der feindlichen Truppen mit lächerlichen Panzer-Sperren als „Werwölfe“. Ein Trupp der Hitlerjugend wurde den amerikanischen Truppen entgegengestellt – die Leichen der Kinder lagen hinterher im Wald.
Die Waldsiedlung nach dem Krieg
Momente, in denen es dem Erzähler kurz die Sprache verschlägt. Und nach dem Krieg? Natürlich gab es auch im bevorzugten Wohnviertel Waldsiedlung Not, waren Lebensmittel rationiert, gab es Flüchtlinge, Einquartierungen. Aber auch Schulunterricht im Wohnzimmer von „Tante Martha“. Und bald auch wieder Unterhaltung. Bei der Erinnerung an das legendäre Kino „Waldlichtspiele“ ging ein Raunen durch die Reihen der Zuhörer: „Ja, das Wali!“ Und in Schlebusch gab es 1946 zuerst ein Kino in einem alten Pferdestall an der Morsbroicher Straße und ab 1949 die „Bergische Filmbühne“ im vorherigen Parteiheim, heute ein Bestattungshaus. „Wenn da »Schwarzwaldmädel« gezeigt wurde, stand die Besucherschlange zur evangelischen Kirche“, erinnert sich Diese.
In der Waldsiedlung selbst wandelte sich so manches. Hatte es bisher weder eine Kirche, noch eine Schule und kaum Geschäfte gegeben, so kam dies in der Nachkriegszeit. 3500 Einwohner zählte die Waldsiedlung inzwischen, immer noch ein bevorzugtes Wohngebiet im Grünen, nun auch mit einer besseren Verkehrsanbindung nach Wiesdorf.
Sie sei bei ihrer Ankunft in Leverkusen seinerzeit gewarnt worden, in der Waldsiedlung lauere hinter jedem Busch ein Verrückter, versuchte Gesprächspartnerin Elisabeth Rosenfelder ihren Gesprächspartner zu provozieren. Doch Diese widersprach heftig. „Ich habe die Waldsiedlung immer als eine Insel der Glückseligen empfunden“, beteuerte er und legte dabei noch eine wichtige Grenzziehung nach: „CDU-Ratsherr Otto Marx hat immer betont: »Alles südlich der Dhünnbrücke ist nicht Schlebusch.« Und das stimmt so.“
Großdeutsches Vorbild
„Eine Waldkolonie entsteht“, titelte eine Zeitung 1935. Die Allgemeine Häuserbau Actiengesellschaft (Ahag) aus Berlin trug der starken Nachfrage nach Wohnraum im Bereich der gerade neu entstandenen Stadt Leverkusen Rechnung und errichtete bis 1940 in fünf Bauabschnitten 600 Häuser auf dem 800 000 Quadratmeter großen Gelände der früheren Sprengstofffabrik Carbonit. Dass der Boden teils stark verseucht war, interessierte damals nicht; wenige Grundstücke wurden nicht bebaut.
Geplant wurde die Siedlung vom Berliner Architekten Adolf Sommerfeld, der auch die Berliner Siedlung Kleinmachnow entworfen hatte. Er musste als Jude 1933 emigrieren, was das Nazi-Regime nicht daran hinderte, seine Planungen als vorbildliche typisch deutsche Siedlung zu feiern. 1938 gab es dafür eine Auszeichnung als „eine der schönsten Gartenstädte im Westen Deutschlands“.
Die schlicht gebauten Häuser, die vor allem als Wohnraum für Bayer-Chemiker, aber auch für naturliebende Kölner gedacht waren, boten zumeist vier Zimmer mit 70 Quadratmetern Wohnfläche und kosteten im Schnitt 12 000 Reichsmark, „mit wenig Eigengeld“ finanzierbar, so die Werbung. Es gab zunächst neben einer Post-Annahmestelle und einem Münzfernsprecher kaum Infrastruktur.
Nach dem Krieg entstanden in den 50er Jahren weitere 50 Häuser – nun auch auf stärker belastetem Boden. Die Waldschule entstand, damals Architektur gewordene Pädagogik und somit ein Vorzeigeobjekt. Die erste Sparkasse, das Café Curtius und die Gaststätte Kürten eröffneten, die Albertus-Magnus-Kirche und die evangelische Friedenskirche folgten später, weitere Geschäfte kamen hinzu. 1952 gab es die „Waldlichtspiele“ (auch „Wali“ genannt) an der Saarstraße. Das Kino wich später einem Autohandel, heute steht dort die Sparkassen-Filiale.