Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

StraßennamenSchatten der Vergangenheit

Lesezeit 4 Minuten

Die Alfred-Stock-Straße.

Leverkusen – Dass Paul von Hindenburg als Feind der Demokratie und als Förderer Adolf Hitlers seinen Anteil am schnellen Hochkommen des Nationalsozialismus hatte, fand offenbar auch der Münsteraner Bürgermeister Markus Lewe (CDU), als er sagte: „Deshalb verdient Hindenburg in unserer Stadt nicht mehr die Ehre eines Straßennamens.“ Nach einigem Hin und Her bestimmten die Bürger mit rund 60-prozentiger Mehrheit, dass ihr repräsentativer Hindenburgplatz ab sofort Schlossplatz heißen sollte. In Burscheid diskutieren die Bürger derzeit über die Fritz-Halbach-Straße. Auch in Leverkusen kommt dem Reichspräsidenten, der 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte, mit der Hindenburgstraße die Ehre einer Straßenbenennung zuteil. Die Bezeichnung Hindenburgpark in der Senke nebenan findet sich zwar nicht im Stadtplan, ist aber gebräuchlich. Bisher hat sich in der Stadt niemand öffentlich an der Ehrung für den Politiker gestört, obwohl sein Wirken für Deutschland im Vergleich zu vielen Zeitgenossen aus heutiger Sicht eher als schlecht zu bezeichnen ist.Die Kolonie III, in der die Hindenburgstraße liegt, ist reich an Namens-Altlasten. Einige aus heutiger Sicht schlecht beleumundete Kriegstreiber, Pickelhauben-Militaristen und deren Helfer aus der Wirtschaft kommen im Straßenbild zu Ehren: Generalfeldmarschall Graf Moltke, Preußen-General Scharnhorst, Vizeadmiral Reichsgraf von Spee, Generalfeldmarschall Graf von Roon, der Banker Havenstein, alle haben Straßen bekommen. Ihr Wirken beschränkte sich hauptsächlich darauf, Krieg zu führen oder Geld dafür zu beschaffen. Die Straßen wurden meist 1915 in der frühen Phase des Ersten Weltkriegs benannt, die Roonstraße 1938, Scharnhorst und Moltke 1905. Weiter südlich von der Rathenaustraße (ehemals Adolf-Hitler-Straße) liegt die Weddigenstraße: Otto Weddigens einziges Verdienst ist es, als U-Boot-Kapitän im Ersten Weltkrieg mehrere Schiffe versenkt zu haben. An Straßen, die nach Chemikern und Ärzten benannt sind, mangelt es in Leverkusen natürlich nicht. Da wäre die Haberstraße: Fritz Haber erforschte Grundlagen für die Giftgasherstellung und rechtfertigte den Einsatz von Phosgen und Chlorgas, die im Ersten Weltkrieg zum Einsatz kamen. Danach galt er sogar zeitweise als Kriegsverbrecher.Viele der Wissenschaftler haben Großes geleistet. Doch es gibt auch einen mit tiefschwarzen Flecken auf der Weste, der in der Kolonie III seine Straße bekommen hat: Alfred Stock. Noch 1953 benannte der Rat in Wiesdorf eine Sackgasse nach ihm. Bei der Recherche über den Professor findet sich ein Artikel in der Fachzeitschrift „Nachrichten aus der Chemie“, Ausgabe Juni 2005, in der seine rassistische Haltung durch Zitate in Briefen an Kollegen belegt wird. In den Briefen verteidigte er den Umgang des Regimes mit den Juden: „Die Religion spielt bei der Angelegenheit gar keine Rolle, sondern nur die Rasse. Die nationale Bewegung . . . empfindet naturgemäß die . . . Juden als einen Fremdkörper im Staate.“ Und das, obwohl Stock jüdische Kollegen persönlich kannte.

Kein Mitläufer

Stock erklärt in seinen Briefen, die Juden hätten die Sozialdemokraten und Kommunisten immer hauptsächlich finanziert und die Nation zersetzende Parteien gegründet. Das ist purer Nazijargon. Und wenn die Information stimmt, dass Stock schon am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten ist, kann das wohl als Beleg gelten, dass er mehr als nur ein Mitläufer war. Zudem war er von 1936 bis 1938 Präsident der Deutschen Chemischen Gesellschaft, eine Fachgesellschaft von Chemikern, die nach Kriegsende aufgelöst wurde. Die Gesellschaft war laut Darstellung der Nachfolgegesellschaft mit der Nazi-Ideologie zu sehr verhaftet.

Immerhin kommen in Leverkusen auch die Gegner der Nazis zum Zug: Die Straßen in Alkenrath sind fast alle nach Frauen und Männern des Widerstands benannt, und in Opladen gibt es eine Straße, die an den Hitler-Attentäter Stauffenberg erinnert. Weit über zehn Straßen tragen Namen von Menschen, die von den Nazis ermordet wurden. Dass es im Nachkriegs-Leverkusen mehr SPD- als CDU-Regierungen gab, fällt auf. Auf den Straßenschildern sind mehr rote als schwarze Politiker verewigt. Die Quote: SPD-CDU: 21 zu 16. Sechs Zentrumspolitiker wurden als Vorläufer der CDU zugeschlagen. Ein Wort noch zur Adolfsstraße: Sie ist nach dem Wiesdorfer Gutsbesitzer und Ortsvorsteher Johann Wilhelm Adolfs (1778-1856) benannt.