Leverkusener Pflegekräfte unter Druck„Man hat immer irgendwo ein schlechtes Gewissen“

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Der Umgang mit Menschen gefällt Stefanie Sichelschmidt an ihrem Beruf, sie hat fest gestellt, dass viele ältere Leute vereinsamen.

Leverkusen – Pieksen, drücken, dann das Rädchen drehen. Stefanie Sichelschmidt bereitet die Infusion vor. Der Dienstplan muss auch noch geschrieben werden. Seit sechs Jahren arbeitet Sichelschmidt als stellvertretende Leiterin auf der Station Y4 im Klinikum. Das Krankenhaus in Schlebusch sucht Pflegekräfte wie sie, kaum eine Diskussion über Corona oder Gesundheitspolitik kommt ohne den gebetsmühlenartig wiederholten Hinweis auf den Fachkräftemangel aus.

„Es ist ein anstrengender Beruf“, antwortet die 37-Jährige auf die Frage, warum denn nicht genügend Menschen den Job machen wollen. „Man arbeitet, wenn andere frei haben, an Wochenenden oder Feiertagen.“

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Infusionen aufziehen, Dienstpläne erstellen, Medikamente vorbereiten: All das gehört auch zu den Aufgaben der stellvertretenden Stationsleiterin Sichelschmidt.

Die Wermelskirchenerin ist daran gewöhnt. Sie hat früher ihre Oma selbst gepflegt, die Arbeit im Krankenhaus habe sie damals als „inspirierend“ wahrgenommen. Der Umgang mit den Menschen, dass man sie unterstützen und mit ihnen sprechen könne, gerade „mit den vielen alten Leuten, die vereinsamt sind“: Das hat sie bewogen, eine Ausbildung zur Krankenschwester im Klinikum zu machen.

40 Mitarbeiterinnen zählt das Pflegeteam der Abteilung für Innere Medizin, Infektiologie und Pneumologie – nur einer davon ist ein Mann. Wünschen würde sich Stefanie Sichelschmidt es anders. „Manchmal wäre es gut, eine männliche Person dabei zu haben, weil manche Menschen nach wie vor mehr Respekt vor einem Mann haben.“

Großer Druck in der Branche

Im Besprechungszimmer stehen zwei angeschnittene Sahnetorten – „eine Kollegin hatte Geburtstag“ – Tüten mit Berlinern liegen auf dem Tisch. Die hat das Klinikum am „Tag der Pflege“, zu dem der 12. Mai gekürt wurde, seinen Mitarbeitenden gestiftet. Dass es diesen Tag gibt, habe sie bis vor paar Tagen gar nicht gewusst, räumt Stefanie Sichelschmidt lachend ein. Aber es sei gut, dass „publik gemacht wird, dass wertvolle Arbeit geleistet wird“.

Wertvolle Arbeit. Wertschätzung. Noch so Begriffe, ohne die die Debatte um Pflegekräfte nicht auskommt. Ob sich da was in Corona-Zeiten geändert hat? Sichelschmidt überlegt. „Doch, viele Leute haben in Corona-Zeiten sehr wertgeschätzt, dass man sich die Zeit für sie nimmt.“ Wenn sie etwas ändern könnte, würde sie mehr Leute einstellen. „Ausreichend Personal, das wär schon einiges. Wenn man weiß, da warten noch fünf andere Patienten, hat man immer irgendwo ein schlechtes Gewissen“, beschreibt die 37-Jährige den Druck, unter dem das Pflegepersonal steht.

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Auch Matthias Klimkait würde seinen Mitarbeitenden „lieber Personal hinstellen als Süßigkeiten verteilen“, sagt der Pflegedirektor des Klinikums. Es sei nicht so, dass es irgendwann einen Zeitpunkt gab, ab dem es zu wenig Pflegekräfte gab, „der Mangel ist schleichend“. Das Klinikum habe keine übermäßige Fluktuation, erklärt er, aber dennoch Schwierigkeiten, Stellen nachzubesetzen, „wir könnten problemlos überall Leute einstellen“.

Arbeitskräfte aus dem Ausland

Woher die nehmen? Die Schlebuscher sind aktuell Kooperationspartner und somit Teil eines Projekts von der Uniklinik Bonn, die Arbeitskräfte im Ausland anwirbt. Zurzeit wird eine Gruppe von Pflegekräften aus Mexiko in Bonn ausgebildet, in einigen Monaten sollen sie auch mal nach Leverkusen kommen.

Matthias Klimkait ist schon froh, dass die Krankenhäuser in der Umgebung keine so genannten Fangprämien zahlen, also finanzielle Anreize, um Pflegeleute zu sich zu locken. Er ist der Meinung, dass es wirkliche Wertschätzung geben müsse, keine Floskeln, eine Prämie reiche da nicht aus. Sondern auch mehr Mitsprache bei politischen Entscheidungen. Dass Vertreter der Pflegebranche beim Gemeinsamen Bundesausschuss, also des Gremiums, das festlegt, für welche Leistungen die Krankenkassen in Deutschland zahlen, nur in einem Unterausschuss „mitberatend“ tätig sind und nicht stimmberechtigt, kann er nicht verstehen.

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Dokumentationen sind mehr geworden, sind sich alle Pflegekräfte einig.

Kurz nach 13 Uhr: Gleich gibt es die Übergabe, der Spätdienst übernimmt. Stefanie Sichelschmidt hält die Stellung auf dem Stützpunkt, so nennen sie das Büro, an dem die Fäden zusammenlaufen. Eine Kollegin trägt noch Daten eines Patienten in seine Akte nach, auf Papier, irgendwann soll es digital erfolgen. Ein Monitor zeigt verschiedene Kamerawinkel an, auf der Station liegen auch viele demente Patientinnen und Patienten, die schonmal aus ihrem Zimmer „ausbüchsen“.

Eine von ihnen wird gerade im Rollstuhl vorbeigefahren und winkt. Die Patientin kommt aus einem Pflegeheim, da durfte sie rauchen. Dann sei sie paar Mal auf dem Flur im Krankenhaus mit einer Zigarette erwischt worden. Sie habe sich lieb entschuldigt, erzählt Sichelschmidt, aber im Krankenhaus gibt es nunmal Rauchverbot. Was tun? Die Kollegen, die rauchen, würden sie dann mit in ihre Raucherpause nehmen, sagt die stellvertretende Stationsleiterin schmunzelnd. Ein weiteres Problem gelöst.

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