TrauerDer schwerste Abschied

Manuela Menzel verwahrt von ihrem Sohn Fabian viele Erinnerungsstücke. Vor drei Jahren hat sie ihn ganz plötzlich verloren. Zeichen bekomme sie immer wieder von ihm, ist sie überzeugt.
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Leverkusen – Manuela Menzel (47) wäre es bestimmt lieber, dass alles rund liefe. Aber ein Erlebnis ist stärker, einschneidender, als sie es mitunter verkraften kann. Als sie am 26. Juli 2010 morgens in das Zimmer ihres Sohns Fabian kam, fand sie ihn tot in seinem Bett. Vermutlich ausgelöst durch Herzprobleme hatte der 16-Jährige einen epileptischen Anfall bekommen und war daran gestorben. Ein halbes Jahr zuvor hatte er einen ersten epileptischen Anfall erlitten. Eine Woche lang wurde er im Klinikum untersucht. Erhöhter Blutdruck, lautete die Diagnose, mehr nicht.
Alles, was mit Krankheit und Tod verbunden ist, sei schlimm, sagt sie. Aber so unvorbereitet mit dem Tod des eigenen Kindes konfrontiert zu werden, dafür müsse man erst einmal Worte finden. „Die Welt eiert“, sagt sie dann. Trotzdem heiße es weiterzuleben, mit der Trauer umzugehen. Dabei fand sie Gleichgesinnte und Hilfe vor allem über das Internet. Sich keine Vorwürfe zu machen, das musste Manuela Menzel mühsam lernen. Die Trauer stellt sie aber immer wieder vor neue Herausforderungen. Wie in einem Reflex sagt sie Dinge, die entschuldigend wirken, die offenbar erklären sollen, dass ihr Schmerz es ist, der sie verändert hat. Spürbar ist, wie sehr sie den Sohn geliebt haben muss. Der Verlust macht ihr Leben schwer. Dafür gibt es in ihrem Umfeld nicht immer Verständnis.
Manuela Menzel macht Erfahrungen, die in ihrer Situation eigentlich ganz unpassend sind: Menschen wechseln die Straßenseite, um ihr nicht zu begegnen. Bekannte sagen, nun sei einmal Schluss mit der Trauer, und Behörden warnen, dass der Grabstein wackelt.
Beistand ist wertvoll
Aber es gibt auch gute Gesten. Dankbar ist sie Pfarrer Gunnar Plewe, der als Notfallseelsorger sofort zur Stelle war. „Er war für uns da, hat einiges für uns organisiert.“ So gibt es ein Gedenken im Wortgottesdienst in der Friedenskirche in der Waldsiedlung, Anlass ist der weltweite Gedenktag für verstorbene Kinder am zweiten Sonntag im Dezember.
Seinen Abschluss an der Montanus-Realschule hatte Fabian gerade geschafft, nach den Ferien wollte er eine Lehre als Bürokaufmann in einem Leverkusener Busunternehmen anfangen. Busse waren seine Leidenschaft. „Er kannte jede Linie, hörte, ob ein Mercedes oder ein MAN vorbeifuhr“, erinnert sich die Mutter. Vieles ist ihr sehr präsent. Gern würde sie sich mit seinen Mitschülern treffen, die jetzt um die 19 Jahre alt sein dürften. „Ich denke an den Tag in Frankreich, als du dich auf der Toilette eingesperrt hast und ich die Türe aufbrechen musste“, schrieb sein Freund Chris in das Kondolenzbuch.
Manuela Menzel verwendet den Begriff der verwaisten Eltern. Sie stellt die Frage, wie es sein kann, dass ein Kind vor einem Elternteil stirbt. „Es ist nicht die richtige Reihenfolge.“ Im Internet stieß sie auf die Seite „Leben ohne Dich“ und fand Menschen, die ein ähnliches Schicksal haben. Kontakte, ja auch Freundschaften entstanden. Demnächst erscheint ein Buch mit dem Titel „Voll doof, tot zu sein, wenn alle traurig sind“ (ISBN: 978-3-7322-9011-6). Menzel ist eine der 33 Autorinnen und Autoren, die dazu beigetragen haben. Ein zaghaftes Lächeln zeigt, dass ihre Welt nicht mehr ganz so erschüttert ist wie an jenem 26. Juli 2010. Aber es läuft eben auch noch nicht alles rund. Sie hat sich vorgenommen, nach vorn zu schauen, allein schon wegen ihres jüngeren Sohns Nico (17). Er habe ein normales Leben verdient.
Der Sohn als Schutzengel
„Ich habe zwei tolle Kinder“, sagt die alleinerziehende Mutter. Sie ist stolz auf Nicos Talent und seine Leistungen in der Leichtathletikabteilung des TSV Bayer 04. Nico lief als Startläufer in der Staffel über viermal 100 Meter bei den Deutschen Meisterschaften für den TSV Bayer Leverkusen in Rostock. Mit der Bahn fuhr sie dorthin. Früher hätte sie eine solche Aktion wohl nicht auf sich genommen, sagt sie. Als sie sah, wie Nico kurz vor dem Start zum Himmel schaute, wusste sie, dass er an den Bruder dachte – es war Fabians dritter Todestag. Sie habe Tränen in den Augen gehabt und sich über die Geste des jüngeren Sohnes gefreut.
Im Dialog mit anderen Betroffenen, die sie über die Internetgemeinschaft „Leben ohne Dich“ kennenlernte, stellte sich heraus, dass auch andere Eltern Zeichen ihrer verstorbenen Kindern wahrnehmen, sich ihnen in bestimmten Momenten ganz nah fühlen. So ging es Manuela Menzel bei einem ihrer regelmäßigen Friedhofsbesuche. Obwohl sie ihr Fahrrad bombensicher abgestellt habe, sei es auf das Grab gefallen. „Als ich es aufgehoben habe, sah ich, dass die Bremsen ganz abgefahren waren und dringend ausgetauscht werden mussten.“ Das gab ihr das Gefühl, Fabian sei ihr Schutzengel.