Unternehmen Agfa GevaertZehn Jahre nach der Insolvenz

Hier wird zermahlen, was von Agfa übrig blieb: Der E-Block an der B 8 soll bis Jahresende komplett verschwunden sein.
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Leverkusen – Der 19. August 2004 war ein recht trüber Spätsommertag. Der Vorstand von Agfa Gevaert hatte in die Zentrale nach Mortsel eingeladen. Es gab etwas mitzuteilen: Ein Käufer war gefunden für die Fotosparte. Ein Konsortium von Finanzinvestoren um den früheren Mc Kinsey-Berater Hartmut Emans sollte ab November die Geschäfte mit Film, Fotopapier und -chemie sowie Laborgeräten übernehmen. Eine Weltmarke – so sehr sie auch litt unter der Digitalisierung der Fotografie – wechselte den Besitzer.
Es war mithin eine denkwürdige Entscheidung, die Agfa Gevaerts Chef Ludo Verhoeven da öffentlich machte. Wie denkwürdig, ahnte aber niemand, der vor zehn Jahren dem grau melierten Manager im holzvertäfelten Besprechungsraum zuhörte. Dass es vom Tag der Verkündung des Verkaufs keine neun Monate dauern würde bis zur Pleite. Und dass diese Ereignisse wiederum ein Jahrzehnt später keineswegs ab-, geschweige denn ihre Gründe aufgearbeitet sein würden.
Stand heute bearbeitet der internationale Schiedsgerichtshof für Wirtschaftsfragen in Paris eine Klage des Insolvenzverwalters von Agfa-Photo, Andreas Ringstmeier, gegen Agfa Gevaert. Der Kölner Anwalt meint, die frühere Muttergesellschaft habe die Pleite zu verantworten, weil die Fotosparte viel zu wenig Kapital mitbekommen habe. Ringstmeier wiederum sieht sich einer Forderung der Agfa-Photo-Verkaufsgesellschaft über 65 Millionen Euro ausgesetzt – während der Insolvenzverwalter selbst der übergeordneten Agfa-Photo-Holding die Rückzahlung eines Darlehens über 60 Millionen Euro gestundet hat, wie deren letzter Geschäftsbericht zeigt. Sonst wäre die Firma, die mit dem Lizenzieren aller möglichen Produkte, auf denen das Agfa-Photo-Markenzeichen – der rote Sensorpunkt – klebt, wohl auch in existenziellen Schwierigkeiten.
Streit um den Rhombus
In der Agfa-Photo-Holding zieht nach wie vor Hartmut Emans die Fäden. Er hält nach letzten verfügbaren Daten 62,15 Prozent der Geschäftsanteile des Unternehmens, das in Köln auf dem Hohenzollernring ein Büro und im Chempark Leverkusen ein Postfach hat. Vor zehn Jahren wurde Emans von Agfa Gevaerts Chef Verhoeven als sehr guter Kenner des Geschäfts vorgestellt: Der Mann aus dem Münchner Nobelvorort Grünwald hatte drei Jahre zuvor den Investmentfonds Schroder Ventures beraten, als dieser Agfas Fotosparte kaufen wollte. Der Deal war geplatzt, weil man sich nicht darüber einigen konnte, wer künftig das weltberühmte Markenzeichen von Agfa Gevaert, den Rhombus, benutzen darf.
Das war wohl ein schlechtes Omen: Später stritten sich auch Emans und Agfa Gevaert um Markenzeichen. Doch das war nicht das Schlimmste. Viel wichtiger war, dass man sich nicht über den Kaufpreis einigen konnte. Was zur Konsequenz hatte, dass Agfa Gevaert, das auch nach dem Verkauf sämtliche Abrechnungen besorgte, phasenweise Geld blockierte: Denn Agfa-Photo schuldete der Ex-Muttergesellschaft rund 45 Millionen Euro für Vorräte, wissen Insider. Die Fotofirma verweigerte die Zahlung.
Ein alter Bekannter im Vorstand
Das war der Anfang vom Ende. Von Differenzen aber war an jenem Donnerstag im Speckgürtel der flandrischen Metropole Antwerpen natürlich kein Hauch zu spüren. Verhoeven erklärte, dass die Fotosparte mit ihren gut 2800 Beschäftigten zum Preis von 175,5 Millionen Euro an Emans und seine Mitstreiter übergehen soll. Zu denen zählte ein alter Bekannter: Eddy Rottie, ein hemdsärmeliger Belgier, wechselte als Chef der Fotosparte in die neue Gesellschaft. Und er engagierte sich – wie sieben weitere Agfa-Manager – finanziell in dem neuen Gebilde: Ein Viertel der Anteile übernahm die Führungsmannschaft.
Das größte Gewicht hatte aber Emans: Seine Nanno-Beteiligungsgesellschaft übernahm 55 Prozent der neuen Agfa-Photo. Die Nanno war damals gerade mal ein Jahr alt und hatte bis dahin in der Windenergie-Branche Geld untergebracht. Emans äußerte sich vor zehn Jahren zuversichtlich: Die von Agfa Gevaert abgestoßene Tochter sollte „als profitables und führendes Unternehmen der Foto-Branche“ weiterentwickelt werden. Die Voraussetzungen seien gegeben: „Agfa-Photo hat aufgrund der soliden Bilanz eine sehr gute Ausgangsposition. Schon im nächsten Jahr sind insgesamt schwarze Zahlen geplant“, sagte Emans.
Im ersten Halbjahr 2004 hätten alle Geschäftsfelder mit Ausnahme der Laborgeräte schwarze Zahlen geschrieben, wenn man die Restrukturierungskosten abziehe. Die waren recht hoch, weil in den Jahren zuvor ein Sozialplan auf den anderen gefolgt war. So hatten die Jobabbau-Programme in der Leverkusener Zentrale gerade noch knapp 1000 Arbeitsplätze übrig gelassen. Die in Aussicht gestellten schwarzen Zahlen sollte Agfa-Photo allerdings nie erreichen.
Stattdessen gab es keine neun Monate nach dem historischen Donnerstag in Mortsel einen schwarzen Freitag in Leverkusen: Agfa-Photo beantragte ein Insolvenzverfahren. Kredite hatte das Unternehmen augenscheinlich nicht aufgenommen; auch die Ausstattung mit Eigenkapital war durchaus ordentlich, wie spätere hohe Ausschüttungen an die Gläubiger dokumentierten. Zu denen gehören auch die früheren Mitarbeiter. Trotzdem verloren viele Agfarianer ihre Existenz.
Das alles ahnte vor zehn Jahren niemand im Konferenzsaal der altehrwürdigen Agfa Gevaert. Der 19. August 2004 sollte für die Fotosparte Datum des Aufbruchs sein. Stattdessen folgte der Absturz.