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Wiehler TheaterArchetypen in der Kästchenszene

Lesezeit 3 Minuten

Die Kästchenszene ist Spielanlass für das neue Stück des Schauspielstudios.

Wiehl – Mit „Gretchen 89ff.“ hat das Schauspielstudio Oberberg die neue Spielzeit feurig eröffnet. Die Komödie von Lutz Hübner dreht sich scheinbar um die „Kästchenszene“ in Goethes Faust I. Hier findet Gretchen das Schmuckkästchen, mit dem der alte Faust sie herumkriegen will. Aber im Grunde ist der Text nur beliebiger Spielanlass. Man muss den Faust nicht kennen, muss keine Angst vor Reclamheften haben. Neugier genügt.

„Im Theater ist was los!“, so versprechen es die vier Darsteller im spritzigen Eröffnungs-Song. Sie werden Wort halten. Unter der Regie von Peter Kirchner zerlegen und sezieren sie genüsslich die Welt der Bühne. Maike Krei, Anna Pflitsch, Rolf Peter Klaus und Jörn Wollenweber führen zehn Archetypen des Theaters vor. Aufgabe: Die Kästchenszene proben.

Aber wie? Das Publikum lost die Reihenfolge aus. Der Reigen beginnt mit der „Hospitantin“: Anna Pflitsch spielt mit Inbrunst die nervige Neugier der Studentin, die alles wissen will und auf taube Ohren (fies: Maike Krei) stößt. Rolf Peter Klaus streicht als „Streicher“ besessen alles, was die Szene ausmacht. Nicht mal das Kästchen bleibt. Was macht eigentlich eine Dramaturgin? Maike Krei erschlägt den armen Darsteller (Klaus) mit ihrem Hintergrundwissen. Er macht alles mit, ist er doch auf die knappe Gage angewiesen.

Diva lässt die Regie am ausgestreckten Arm verhungern

Anders die Diva (sehr fies: Krei): Sie lässt mit schamloser Frechheit die Regisseurin (Pflitsch) am ausgestreckten Arm verhungern. Man sieht: Es macht Spaß, sowas mal zu spielen. Auch dem durchweg amüsierten Publikum.

Die „Schauspielerin an sich“: Anna Pflitsch spielt sie wie unter Speed. Während ihres minutenlangen Ausrastens wird das arme Kästchen repariert (Klaus) – das ergibt Slapstick vom Feinsten. Das Los lässt Pflitsch gleich danach die übereifrige „Anfängerin“ spielen, aber ihre Energie scheint unerschöpflich. Ihr Regisseur ist nicht zu beneiden: Jörn Wollenweber leidet, und die Zuschauer mit ihm. Dafür darf er nach der Pause das „Tourneepferd“ spielen und tut es mit Lust. Er gibt den Karajan und den Wiener Charmeur – als Regisseur verwurstet er die Szene mit lächerlicher Eleganz.

Ihm ist alles Sex, das Kästchen sowieso

Der „Freudianer“ wird von Rolf Peter Klaus als Fassbinder-Verschnitt bis zum Ekel überdreht – ihm ist alles Sex, das Kästchen sowieso. Dem „alten Haudegen“ (Wollenweber) ist nichts so wichtig wie seine „große“ Vergangenheit; die Szene löst sich darin auf wie in Säure. Und dann muss Urgestein Wollenweber nochmal ran. Als „Schmerzensmann“ quält er sich und Gretchen so lustvoll, dass einem Angst und Bange wird.

Eine pointensichere Regie und ein Künstlerquartett, das alles gibt – Bravo! Nur gut, dass die Wiehler Bühne so gar nichts hat vom verrückten Welttheater. Niemand würde freiwillig und unbezahlt so spielen wollen. Und das wäre extrem schade.

Großer, verdienter Applaus mit Händen und Füßen. Das Publikum wird gebeten, Maske zu tragen. Die Darsteller spielen auch vor der Bühne. Weitere Aufführungen am 28.und 30. September, 20 Uhr. Letzte Vorstellung am 30. Oktober.