Wie man die Ressourcen Wasser und Wald sinnvoll bespielt, darüber spricht Meteorologe Karsten Schwanke im Interview.
„Deutlich über 40 Grad“ARD-Meteorologe Schwanke sagt häufigere Hitzewellen voraus

Wetterexperte Karsten Schwanke glaubt, dass wir um den Neubau von Talsperren und Speicherseen nicht umhinkommen werden.
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Der Meteorologe Karsten Schwanke prognostiziert Hitzeperioden von mehr als 40 Grad im Bergischen. Die Ressourcen Wasser und Wald werden mit Blick auf den Klimawandel immer bedeutsamer. „Alles Ressource“ heißt auch ein Schwerpunktthema der Regionale 2025. Wie man sie sinnvoll bespielt, darüber sprach Andreas Arnold mit dem Meteorologen Karsten Schwanke.
Die Hitze Anfang Juli hat auch viele Oberberger ächzen lassen. Werden wir künftig öfter schon so früh im Sommer diese Temperaturen haben?
Karsten Schwanke: Am Mittwoch, dem 2. Juli, hatte Bergisch Gladbach als Höchsttemperatur 37,6 Grad, in Wipperfürth waren es 36,3 Grad. Da reden wir ja wirklich über Hitze. Und das in einer Region, die ja eher deutlich kühlere Temperaturen gewöhnt ist. Und man kann ganz klar sagen, es war noch nie so früh im Hochsommer so heiß, wie wir es am 2. Juli erlebt haben. Das heißt, was wir hier sehen, sind gleich mehrere Sachen. Ja, wir werden häufiger mit solchen Hitzewellen rechnen müssen. Sie kommen zweitens öfter. Sie kommen drittens früher schon im Sommer. Früher waren es nur die Hundstage. Man muss ganz klar sagen, dass die Hitzewellen in den nächsten Jahren früher stattfinden und noch heißer werden.
Wie reagieren Sie, wenn Leute, die Sie treffen, in Sachen Klimawandel die Entwicklung noch immer nicht wahrhaben wollen?
Das hängt vom Gegenüber ab und davon, inwieweit wir wirklich ein offenes und auch ein interessantes Gespräch führen können. Vielen Menschen fehlt ja auch der Zugang zu diesen ganzen Daten, die ich tagtäglich sehe. Die Daten, die wir haben, die Messwerte, sprechen eine ganz deutliche Sprache.
Wie sieht es hier in der Region, dem Bergischen Rheinland aus?
In den letzten 60 Jahren waren es hier in der Region fünf Grad, um die die sommerlichen Höchsttemperaturen wärmer geworden sind.
Das heißt?
Wir haben in den sommerlichen Hitzewellen fünf Grad höhere Temperaturen als noch in den 60er Jahren. Und das geht so weiter. Das heißt: Wir haben aktuell eine weltweite Erwärmung im Mittel von 1,2 Grad. Wenn wir den nächsten Schritt, das nächste Grad Erwärmung, bekommen, innerhalb der nächsten nur 30 Jahre, dann haben wir noch mal fünf Grad höhere Sommertemperaturen. Das sind die Punkte, an denen man die weltweite Erwärmung festmachen kann.
Sie sind ja schon seit vielen Jahren mit dem Thema unterwegs. Wann war der Punkt, als bei Ihnen erstmals die Alarmglocken geschrillt haben? Dass Sie gesagt haben, es muss was passieren?
Ich würde sagen, es gab mehrere Erlebnisse. Ich habe Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre studiert und wir hatten damals schon dieses Thema. Die großen Leitplanken, die standen damals schon. Das Wissen ist inzwischen verfeinert worden. Ich bin auch Mensch und es macht ja auch was mit uns, wenn wir dann solche Erlebnisse vor Augen haben. 2002 war die Elbeflut. Ich war hautnah dran im Osterzgebirge, damals als Wetterreporter für das ARD-Morgenmagazin. Da habe ich Bilder gesehen, die ich bis dahin nicht kannte an Zerstörungsgewalt. Ganz eindrücklich war für mich der Hitzesommer und die Dürre im Jahr 2018. Ja, als ich studiert habe, habe ich noch gelernt, dass eine stabile Wetterlage in Mitteleuropa sechs Wochen dauert. Dann ändert sich das Wetter wieder. 2018 hatten wir sechs Monate Hochdruckwetter. Das war völlig neu und hat auch mir die Augen geöffnet.
Wenn wir in den kommenden 30 Jahren noch einmal um fünf Grad wärmere Sommer bekommen, heißt das, wir landen bei deutlich über 40 Grad über einen längeren Zeitraum?
Ja, wir reden von deutlich über 40 Grad, auch in dieser Region hier. Wir werden vermutlich schon vor dem Jahr 2050 die 40 Grad auch im Bergischen überschreiten. Die gibt es bisher nur in der unteren Rheinschiene. Und wir werden auf ein Temperaturniveau kommen, an das wir nicht gewöhnt sind und worauf wir auch nicht eingerichtet sind.
Als Kölner kennen Sie die Region ja. Welche Veränderungen können Sie schon jetzt im Rechtsrheinischen ausmachen?
Ein ganz offensichtliches Beispiel sind die zerstörten Fichtenbestände. Durch die enorme Trockenheit in den Sommern hatte der Borkenkäfer auf einmal leichtes Spiel. Wenn ich hier durch die Gegend fahre, dann sehe ich natürlich sofort die kaputten Wälder. Dabei kennen wir die Region ja als eine wahnsinnig grüne Landschaft. Ansonsten sehe ich natürlich tagtäglich unsere Messwerte, die auch hier ansteigen. Ich sehe diese Rekorddürre, die wir in diesem Frühjahr hatten, die es so noch nie gab. Und das in einer Region, die ja eigentlich als verregnet sogar verschrien ist, wo es also wirklich doppelt so viel Regen im Jahresmittel gibt im Vergleich zu Köln. Das heißt, da stehen große Veränderungen bevor.
Die Region verfügt über Ressourcen wie Holz und Wasser, gilt als Talsperrenregion. Wie würden Sie die Ressourcen sinnvoll einsetzen, um mit Blick auf den Klimawandel zu reagieren?
Ein Abwenden des Klimawandels muss eine weltweite Anstrengung sein. Was man hier vor Ort machen kann, ist, an allen Stellschrauben zu drehen, um den CO₂-Ausstoß zu verringern. Und da sind wir schon direkt bei der Ressource Holz. Denn die Wälder sind ja eigentlich ein CO₂-Senker.
„Eigentlich“ heißt?
Seit dem Jahr 2018 ist der deutsche Wald zu einer CO₂-Quelle geworden, weil er Stress bekommt. Lebewesen und Pflanzen machen zwei Sachen: die Photosynthese und sie atmen. Und wenn wir Menschen Stress haben, bekommen wir einen höheren Puls und eine höhere Atemfrequenz. Und genau das Gleiche bekommen die Bäume auch. Wir sehen, dass die Bäume inzwischen so gestresst sind, dass sie deutlich mehr atmen. Wir müssen uns um diesen Wald kümmern, denn der hat Stress. Und auch da spielt zum Beispiel die Verbindung dieser beiden Ressourcen, die Sie angesprochen haben, Wasser und Holz, eine Rolle. Ein gesunder Wald speichert 90 Prozent des Regenwassers. Hat er Stress, klappt das nicht mehr. Dabei gibt es in den letzten 100 Jahren übers Jahr gesehen mehr Niederschlag.
Klingt doch gut?
Ja und nein, denn der Zuwachs findet vor allem im Winter statt. Das heißt, die Sommermonate sind als einzige Jahreszeit trockener geworden. Und der Regen fällt mehr schlagartig und in größeren Mengen. Wir bekommen also eine Zunahme des Jahresniederschlages, aber wir bekommen eine deutliche Zunahme vor allem im Winterhalbjahr.
Wie geht man damit um?
Die Bedeutung zum Beispiel der Talsperren, die wir hier haben, ist heute schon groß und wird zunehmen. Und wir werden auch juristisch eine deutliche Zunahme von Kämpfen um den Zugang zum Wasser bekommen. Wem gehört das Wasser? Reichen die Talsperren? Müssen neue gebaut werden, um den Winterregen aufzufangen, um dann das Wasser vorzuhalten für die bevölkerungsreichen Regionen im Rheinland, Köln und Umgebung oder Richtung Ruhrgebiet usw.? Da wird viel Stress entstehen.
Wasser bzw. Regen bringt aber auch Stress, wenn er sturzartig fällt und über die Ufer tritt. Wie kann man sich – wenn überhaupt – wappnen?
Die Gefahr von zu viel Wasser, gerade hier in dieser hügeligen Landschaft, wirkt natürlich sofort anders als in einer Ebene, weil ich hier eine Kanalisation des Wassers habe. Beim Hochwasserschutz sind als Erstes die Talsperren ein Punkt.
Inwieweit?
Wir brauchen eine intelligentere und flexiblere Steuerung von Talsperren. Also wenn die Wettermodelle eine Woche vorher zeigen, da kommt jetzt etwas – da sind die Wettermodelle schon ziemlich gut – dann muss ich das Wasser raushauen, muss ich Platz schaffen. Aber es gibt auch das Thema Eigenvorsorge.
Also jeder Bürger für sich?
Genau, und die wird auch immer wichtiger. Gerade wenn es nur dieses Gewitter mit der einen Dorfstraße ist. Da kann man oftmals mit relativ einfachen Möglichkeiten Schutz schaffen, z.B. Kellerfenster mit einer zehn Zentimeter hohen Mauer schützen.
Talsperren sind aber auch mit Blick auf Dürrephasen wichtig?
Ganz genau. Das haben wir in den Sommern 2018 bis 2020 ja schon erlebt. Das Borkenkäferereignis ist für mich ein Dürreereignis und ein Hitzeereignis, weil sich der Borkenkäfer da leichter obendrauf setzt. Das heißt also, die Talsperren haben nicht nur das Thema Hochwasserschutz, sondern in Zukunft deutlich mehr das Thema, wie wir die langen, trockenen Phasen im Sommer überstehen. Wir werden um den Neubau von Talsperren und Speicherseen nicht umhinkommen.
Vor den Toren von Köln ist der Bau einer Naafbachtalsperre im Landesentwicklungsplan seit Jahrzehnten hinterlegt. Der Aggerverband als hiesiger Versorger hat weite Flächen für eine solche Sperre im Eigentum, doch die Naturschützer laufen Sturm dagegen. Was ist am Ende das Gut, das es zu schützen gilt?
Genau das ist letztendlich die entscheidende Frage. Es ist eine Gratwanderung zwischen Naturschutz und Klimaschutz. Und das muss man natürlich immer wieder im Einzelfall abwägen.
Was denken Sie?
Ich glaube, wir müssen das große Ganze sehen. Wie kommen wir als Menschen in dieser Region mit den Herausforderungen klar, mit noch höheren Temperaturen, mit noch längeren und schärferen Dürreperioden? Und da müssen wir Antworten finden. Und so gern ich beides und beide Sichtweisen unterstützen würde, glaube ich, werden wir uns für den Klimaschutz entscheiden müssen, weil wir gar nicht anders können.
Die ganze Situation strotzt nicht gerade von Optimismus, oder?
Ich persönlich bin ein eher optimistischer und lebensfroher Mensch. Und ich bin überzeugt davon, dass wenn man das nicht als das große Angstgespenst sehen soll, sondern sich der Sache annimmt. Das wird uns Geld und Mühe kosten. Aber sich nicht damit zu beschäftigen, wird am Ende mühsamer und es wird anstrengender und es wird teurer.