Bergneustädter Standesbeamter„Sollte ein Callcenter für frustrierte Bräute aufmachen“

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Am liebsten traut Walter Jordan als Ehrenstandesbeamter im Heimatmuseum natürlich Brautpaare vor möglichst vielen Hochzeitsgästen. Aber das geht seit über einem Jahr schon nicht mehr.

Am liebsten traut Walter Jordan als Ehrenstandesbeamter im Heimatmuseum natürlich Brautpaare vor möglichst vielen Hochzeitsgästen. Aber das geht seit über einem Jahr schon nicht mehr.

Bergneustadt – „Ich sollte ein Callcenter für frustrierte Bräute aufmachen“, sagt Walter Jordan, „mit den Einnahmen daraus wären die städtischen Schulden rasch weg.“ Fast jeden Tag melden sich angehende Eheleute im Bergneustädter Heimatmuseum, um untröstlich ihre dort geplante standesamtliche Trauung zu verschieben. Jordan leitet das Museum und darf als Ehren-Standesbeamter auch Trauungen vornehmen.

Der 70-Jährige kann traurige Geschichten erzählen von Brautpaaren, die ihre Trauung inzwischen schon zum vierten Mal verschieben, weil sie nicht genügend Gäste zum „schönsten Tag im Leben“ mitbringen durften. Und stets in der Hoffnung, in ein paar Monaten sei Corona so weit im Griff, dass sie eine „richtig schöne Hochzeit“ feiern können.

Bislang bis zu zehn Personen erlaubt

Dabei durften anders als in den Standesämtern in den Rathäusern, im Heimatmuseum auch während der Pandemie bislang noch zehn Personen bei der Zeremonie anwesend sein. Und anders als beispielsweise in Köln, wo Samstagstrauungen wegen eines Streits über die Überstundenvergütung der Standesamten ab Juni komplett abgesagt werden sollten, kann im Heimatmuseum nach wie vor an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr geheiratet werden – ein im weiten Umkreis einmaliges Angebot. Aber auch das musste der Corona-Pandemie Tribut zollen. 60 bis 70 Trauungen habe man 2020 ausgerichtet, deutlich weniger als in normalen Jahren, wo es auch schon mal 100 waren, berichtet der Ehrenstandesbeamte. Wegen der widrigen Umstände schreibe der Heimatverein den Brautpaaren auch keine Rechnung mehr für Raummiete und Service, sondern bitte lediglich um eine Spende.

Aber nicht alle Hochzeitstermine werden auf später verschoben. Wenn familiäre Umstände es erfordern, kann eine Trauung auch spontan vorverlegt und kurzfristig durchgeführt werden, etwa wenn ein Familienmitglied schwer erkrankt oder vor einer großen Operation steht. Einen extremen Fall erlebte Jordan noch vor der Pandemie: Die schwerstkranke Mutter der Braut wollte so gerne bei der Trauung dabeisein. Sie wurde mit einen Rettungswagen samt Notarztbegleitung aus einer Essener Klinik nach Bergneustadt gebracht und konnte die Trauung im Rollstuhl miterleben. Weil Rettungswagen und Notarzt um 9 Uhr wieder in Essen sein mussten, traute Jordan das Paar sonntagsfrüh um 6 Uhr. Die Brautmutter starb noch am selben Tag.

Keine Rücksichtnahme

Aber selbst solche ganz besonderen Umstände können vielleicht schon bald nicht mehr berücksichtigt werden. Greift die Bundesnotbremse, könnten bald nur drei Leute erlaubt sein, fürchtet Jordan: „Nur die Brautleute und der Standesbeamte.“ Seit fast einem Jahr ruht der eigentliche Museumsbetrieb fast vollständig. Besucher sind nicht zugelassen. Das führt nicht dazu, dass Jordan viel weniger zu tun hat. Der seit Jahren geplante Anbau ans Museum soll jetzt endlich noch in diesem Jahr beginnen. Vor drei Jahren schien schon alles in trockenen Tüchern, dann gab’s Probleme mit dem Antragsverfahren und der Fördermittelbewilligung. Auch sind nicht alle Nachbarn des Museums mit der Erweiterung einverstanden.

Sie fürchten den Lärm bei Veranstaltungen. Und weil im ersten Entwurf der Anbau Nachbarn zu nahe gekommen war, musste der Heimatverein umplanen und einen neuen Bauantrag mit allen notwendigen Voruntersuchungen auf den Weg bringen. Ob auch dagegen wie angedroht geklagt werden wird, muss man abwarten. Auch das Beantragen von Fördermitteln hat der Verein mittlerweile in die eigenen Hände genommen. So muss die Stadt keinen zehnprozentigen Eigenanteil zur 1,2 Millionen Euro teuren Museumserweiterung zahlen. Im Herbst, so hofft Jordan, werde mit dem bereits genehmigten Abriss des Nachbargebäudes begonnen, um dort einen Veranstaltungsraum und ein Servicegebäude mit behindertengerechten Toiletten und Küche zu bauen. Problemloser läuft dagegen der fast abgeschlossene Bau der Fachwerkscheune auf der Richtung Innenstadt gelegenen Museumsseite.

In der ebenfalls im Museum untergebrachten und von Jordan betreuten städtischen Touristeninformation herrscht immerhin noch telefonisch Arbeitsalltag. Potenzielle Gäste erkundigen sich nach Wanderwegen und Radfahrstrecken. Und immer noch müssen neue Exponate in die Ausstellung eingearbeitet und Anfragen nach lokalhistorischen Zusammenhängen, Personen oder Gebäuden beantwortet werden. Die Anfragen reicht Jordan an den historischen Arbeitskreis des Heimatvereins weiter. Aber auch dessen Mitglieder können sich nicht mehr treffen, „und das Miteinander fehlt ihnen sehr“.

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