Dem Wahrhaftigen auf der SpurChilenischer Regisseur findet in Waldbröl neue Heimat

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Samuel Núñez im Waldbröler Naturerlebnispark Panarbora.

Samuel Núñez im Waldbröler Naturerlebnispark Panarbora.

Waldbröl – Wie arbeitet ein Fotograf in jungen Jahren mit dem Licht? Ist die Wahrnehmung von Licht schließlich eine andere, wenn er 30, 50, 70 oder sogar 90 Jahre alt ist? Antworten auf diese Fragen ist Samuel Núñez auf der Spur: „When the light changes (Wenn sich das Licht verändert)“ ist der Titel eines der Projekte, an denen der 46 Jahre alte Filmemacher, Schauspiellehrer und Regisseur gerade arbeitet. Geboren wurde Núñez in Santiago de Chile. Im vergangenen April ist er mit seiner Familie, seiner Ehefrau Maren (42) und dem zehn Jahre alten Sohn, in die Mitte Waldbröls gezogen.

„Das buddhistische Kloster war einer der Gründe, warum wir uns für die Stadt und schließlich das Zentrum entschieden haben – beides gefiel uns sofort“, erinnert sich Núñez. Vorher haben die Drei in Monheim am Rhein gewohnt. Doch keiner von ihnen sei wirklich ein Stadtmensch. „Wir brauchen den Ausgleich. Und ich brauche viel Natur, lange Spaziergänge und die Ruhe draußen, um arbeiten zu können, um kreativ zu sein.“

Suche nach Akteuren für das neue Filmprojekt

Mit 15 Jahren steht Samuel Núñez zum ersten Mal auf einer Theaterbühne, mit 17 schreibt sein erstes eigenes Stück und mit 18 schließt er sich dann einem professionellen Ensemble an. In die Ausbildung steigt Núñez 1995 in seiner Heimatstadt Santiago de Chile ein und beendet sie 1999 als Dozent für Schauspiel und zeitgenössischen Tanz. Danach arbeitet er als Schauspieler, Regisseur, Dramaturg und Choreograph.

In Barcelona beginnt Núñez 2002, die Ergebnisse seines eigenen Forschens in freien Theaterkursen und Inszenierungen weiterzugeben – ab 2004 dann in Deutschland. 2007 gründet der heute 46-Jährige in Berlin das „Tatwerk“, ein Forschungszentrum für transdisziplinäre Kunst und leitet es bis 2012. Derzeit arbeitet er in Deutschland und Katalonien an verschiedenen Bildungseinrichtungen und beschäftigt sich insbesondere mit dem künstlerischen Dokumentarfilm.

Oberberger, die an Samuel Núñez’ jüngstem Projekt mitwirken wollen, können sich dafür per E-Mail bewerben unter dieser Adresse: dokumentarfilmnrw@gmail.com. (höh)

www.samuelnunez.de

Dazu gehören in diesen Tagen eben viele Gespräche mit Fotografinnen und Fotografen darüber, wie die Zeit auf ihre Arbeit wirkt, wie sich das geschulte Auge eines Profis im Laufe der Jahre verändert, sich anpasst, das Licht anders sieht. Donata Wenders (56), Ehefrau des Regisseurs Wim Wenders, ist die Prominenteste. Und tatsächlich ist der älteste der Fotografen, ein Nürnberger, stolze 90 Jahre alt. „Ich will wissen, was es für Menschen wie sie bedeutet, dem Licht hinterherzujagen“, erklärt der Filmemacher. „Denn ein Fotograf ist immer ein Jäger der Momente. Er macht einen Moment ewig, obwohl ein Moment schnell vorbei ist.“

Stets geht es Samuel Núñez darum, Geschichten zu hören – leise Geschichten, alltägliche, vor allem aber persönliche, vielleicht auch intime. „Ich möchte Menschen eine Stimme geben, die sonst nicht gehört wird“, schildert der Neu-Marktstädter. Und für ein neues Vorhaben möchte er nun Oberberger vor die Kamera bringen: „Ich möchte wissen, wie sie die Corona-Pandemie erleben, wie sie damit klarkommen.“ So denke er etwa an Senioren, die plötzlich mit Einsamkeit konfrontiert waren. An Eltern, die nicht nur im Home-Office arbeiten, sondern auch die Kinder zu Hause unterrichten mussten. Und auch an Landwirte, die fernab des Städtischen ihrer Arbeit nachgehen. „Für viele war es viel zu viel.“ Entstehen soll ein berührender Dokumentarfilm.

„Ich möchte immer viele Geschichten hören“

Eine solche Arbeit dauere von der ersten Aufnahme bis zum endgültigen Schnitt fast immer zwei Jahre, schätzt Núñez. „Denn ich möchte immer viele Geschichten hören. Und dann wähle ich jene aus, die zueinander passen.“ Zudem, betont er, müssen die Befragten wirklich bereit sein für die Kamera. Zum Film gebracht habe ihn eine nahezu dramatische Entwicklung, sagt der 46-Jährige heute. „Zu lange war ich eingesperrt mit Schauspielern und den Scheinwerfern unter dem Dach des Theaters.“

In Barcelona etwa hat Núñez Mimen und Tänzer in den Fächern Emotion und Ausdruck unterrichtet, also in der Technik, der Theateranthropologie. „Aber endlich wollte ich aufhören zu lügen.“ Auf der Suche nach Wahrhaftigem habe er die Kamera für sich entdeckt: „Auf der Bühne ist nichts echt, alles vorgetäuscht – davon hatte ich genug“, blickt Núñez zurück. „Die Realität ist reicher als jeder Hamlet.“ Im vergangenen Jahr hat er sein Masterstudium in Dokumentarfilmregie beendet. Und in Waldbröl möchte er sich dem Löschzug 1 der Freiwilligen Feuerwehr anschließen. „Da bin ich Feuerwehrmannanwärter“, verrät der Chilene.

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2004 ist Familie Núñez nach Deutschland umgezogen. Ehefrau Maren, die heute als Produzentin von Dokumentarfilmen arbeitet, stammt selbst aus Monheim, Stationen zuvor waren etwa Berlin und Leipzig. Noch heute trägt das Familienauto ein Leipziger Kennzeichen. An die Zeit dort erinnert sich Samuel Núñez nicht gern: „Da habe ich versteckten Rassismus erlebt“, sagt er und erzählt von einem Besuch in einem (teuren) Bio-Laden: „Die Frau neben mir hat rasch ihre Handtasche auf die andere Seite ihres Körpers geschoben. So sagte sie mir: ,Du bist anders.’“

Waldbröl aber sei freundlich, urteilt der Mann, der schon viel von der Welt gesehen hat, und das nicht nur für die Arbeit. „Als die Pandemie über uns hereinbrach, war ich wieder in Spanien, auf einer Finca. Hals über Kopf bin ich damals nach Deutschland zurückgekehrt.“

Aufgewachsen ist Samuel Núñez in der Zeit der Regierung Augusto Pinochets. „In dieser Diktatur war keine Kunst möglich“, sagt Samuel Núñez, der zurzeit auch die Teilnahme mit seinem Werk „Der zweite Tanz“ an der kommenden Berlinale im Februar vorbereitet.

Überhaupt will er seine Arbeiten nur in Kinosälen und bei Festivals zeigen, das Streaming komme für seine Filme niemals in Frage, betont er energisch. „Wer streamt, der konsumiert. Wer streamt, ist nicht bereit, sich vom Gezeigten berühren zu lassen.“

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