InterviewFünf junge Oberberger erzählen, warum sie sich in der Politik engagieren

Lesezeit 9 Minuten
Henrik Köstering von der Grünen Jugend im Redaktionsgespräch als Videokonferenz

Henrik Köstering von der Grünen Jugend im Redaktionsgespräch als Videokonferenz

  • In der Serie „Jung und engagiert“ haben wir junge Oberberger vorgestellt, die sich engagieren.
  • Zum Abschluss sprachen wir mit den Spitzen das parteipolitischen Nachwuchses und fragten, warum sie sich in der Politik engagieren.
  • Es entwickelte sich ein spannendes Video-Interview über Rechte in Oberberg, den Einfluss des Coronavirus auf junge Menschen und den anstehenden Wahlkampf.

Oberberg – In der Serie „Jung und engagiert“ haben wir junge Oberberger vorgestellt, die sich engagieren. Zum Abschluss der Serie spricht Frank Klemmer im Redaktionsgespräch mit Spitzen des parteipolitischen Nachwuchses.

Moritz Müller, ich weiß, Sie sind Fußball-Fan. Zum Fußball schreibt Schriftsteller Nick Hornby: „Seinen Verein kann man sich nicht aussuchen. Der sucht dich aus.“ Wie ist es mit der Partei?

Müller: (lacht) Das Zitat kenne ich natürlich. Aber im Ernst: Bei uns ist zu Hause immer viel über Politik gesprochen worden. Und dann war die CDU einfach die Partei, wo ich für mich die größte Schnittmenge gesehen habe, mit dem, was sie an Werten vertreten hat. Mit 15 habe ich ein Schülerpraktikum beim Bundestagsabgeordneten Klaus-Peter Flosbach gemacht. Danach bin ich in die JU eingetreten.

Moritz Müller von der JU im Redaktionsgespräch als Videokonferenz

Moritz Müller von der JU im Redaktionsgespräch als Videokonferenz

Also war der Weg in die CDU doch vorbestimmt?

Müller: Was heißt vorbestimmt. Politik und Geschichte waren in der Schule meine Lieblingsfächer. Wenn man da seinen Lehrern Kontra geben möchte, geht man eher in die JU. Der durchschnittliche Lehrer in diesen Fächern ist ja doch immer eher links – rot oder grün – eingestellt.

Köstering: (schmunzelt) Von rechts muss das so aussehen, dass alles andere links ist.

Henrik Köstering kennt also andere Lehrer?

Köstering: (lächelt) Das stimmt, in der Regel war ich der Ansicht, dass sie eher konservativ waren.

Das heißt: Lehrer motivieren zu politischen Engagement, nur auf der anderen Seite . . .

Müller: Richtig. Ich würde aber auch nicht sagen, dass ich von rechts gucke. Ich bin bewusst in eine Partei der Mitte eingetreten. Und ich bin der Meinung, dass eine Partei, die im Oberbergischen fast immer 40 Prozent plus X geholt hat, kaum eine Partei ist, die am rechten Rand ist.

Köstering: Wo holt denn die CDU hier noch 40 Prozent? Bei der Europawahl waren es unter 30 in vielen Orten . . .

Müller: Bei der Wahl, aufgrund der sich der aktuelle Kreistag zusammensetzt, war es noch so.

Thorben Peping von den Jusos im Redaktionsgespräch als Videokonferenz

Thorben Peping von den Jusos im Redaktionsgespräch als Videokonferenz

Bei der SPD, Thorben Peping, müssen wir nicht streiten, ob die 4 vorne steht. Was motiviert einen, bei den Jusos aktiv zu sein – und zu bleiben? Andere gehen lieber zu den Grünen – wie Ihre Vorgängerin Kim Schröter.

Peping: Ich bin vor fünf Jahren mit 16 in die SPD eingetreten. Damals habe ich mich nach einem neuen Engagement umgesehen, als ich das Amt als Schülersprecher abgegeben hatte. Weil ich in der Schule immer die Diskussionen mit Politikern veranstaltet habe, habe ich die Lindlarer Kommunalpolitiker kennengelernt. Und da war mir die SPD am Sympathischsten. Damals hat man bei den Wahlergebnissen schon gedacht, es kann nicht schlimmer kommen – es ist noch schlimmer gekommen. Wir haben aber junge Leute dazubekommen – viele weil sie gegen die große Koalition waren. Sie sind trotzdem geblieben – und heute unsere aktivsten Mitglieder.

Eine Wahlparty durften Sie aber noch nicht feiern.

Peping: (lacht) Das stimmt, ich habe die SPD noch nie eine Wahl gewinnen sehen. Trotzdem gibt es gute Gründe für mich, die SPD zu wählen. Ich glaube, manchmal stehen unsere Themen einfach nicht so im Fokus. Aber wenn man zum Beispiel an die soziale Schere und die Wohnungssituation denkt, glaube ich, dass wir bei den nächsten Wahlen die Partei sind, die Antworten liefert.

Tom Kranenberg

Tom Kranenberg

Wie ist es, plötzlich als Partei so attraktiv zu sein, Herr Köstering? Warum kommen so viele zu den Grünen?

Köstering: (schmunzelt) Wir freuen uns über jeden, der neu kommt. Es kommen tatsächlich recht viele von den anderen Parteien . . .

Alle von den Jusos?

Peping: (grinst) Nein, da nur eine zuletzt . . .

Köstering: Bei meinem Eintritt damals waren wir in den Umfragen noch bei sieben Prozent. Der große Unterschied zu anderen linken Parteien liegt für mich darin, dass wir gegenüber der SPD eine basisdemokratische Partei sind und gegenüber den Linken haben wir ein bisschen weniger Sturköpfe.

Gegenrede von Tom Kranenberg: Warum gibt es nicht nur Sturköpfe bei den Linken?

Kranenberg: Ich würde sogar sagen, es ist gut, dass es die Sturköpfe gibt. Das ist aber nicht die einzige Gruppe, aus der wir bestehen. Unser Vorteil ist, dass wir unterschiedliche Ansichten vertreten – selbst innerhalb der Linksjugend. Wir gehen damit aber vergleichsweise liberal um.

Okay: Die JU ist nicht rechts, die Linken sind liberal? Alle streiten sich um die Mitte?

Kranenberg: Ich glaube, nicht nur die Linke, sondern das ganze linke Spektrum hat das Problem, dass Oberberg eher konservativ ist. Und an manchen Stellen ist konservativ eben auch sehr links gedacht. Deshalb können wir gar nicht wie andere Linksgruppen so radikal vorgehen, wie man uns nachsagt. Wir wollen uns standhaft links geben, aber eben auch liberal genug, um die Leute nicht zu verschrecken.

Wie kommt man auf die Idee, sich in Oberberg für die Linke zu engagieren?

Kranenberg: Mir wurde schon immer attestiert, dass ich sehr links sei. Ich dachte, dass was ich denke, sei selbstverständlich. Vielleicht war es gerade das konservative Umfeld, das dazu geführt hat, dass ich immer wieder angeeckt bin. Schließlich wollte ich nicht nach Köln fahren müssen, sondern hier eine linke Gruppe haben. Deshalb habe ich direkt mitgemacht, als sich die Linksjugend gegründet hat.

Man soll mit Vorurteilen offen umgehen, Tim Munoz Andres: In meiner Generation waren viele, die es zu den Liberalen zog, spätestens mit 36 Bundesminister – okay: einige. Warum sind Sie bei den Julis?

Munoz Andres: Hauptsächlich wegen der Inhalte, weil ich vor Ort etwas bewegen wollte und mich einbringen wollte. Das betrifft die Digitalisierung, die hier ein ganz großes Thema ist, aber auch das Thema Umwelt. Auch wenn manche Themen bei der FDP nicht in dem Umfang vorkommen, wie ich es mir wünsche, sind es die Idee des Liberalismus und die Freiheit des Einzelnen, die für mich unglaublich wichtig sind. Wir haben mit dem Grundgesetz die freiheitlichste Grundordnung. In Zeiten wie diesen, wo die immer wieder unter Beschuss gerät, sollte man sich dafür stark machen.

Wie schwer fällt es einem dann, mit Entwicklungen wie in Thüringen umzugehen, wo ein FDP-Mann sich mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen?

Munoz Andres: Ich habe das erfahren, als ich gerade in Bonn im Juridicum saß. Am Anfang war es eine große Überraschung. Und das erste Statement von Christian Lindner fand ich nicht wirklich überzeugend. Aber der NRW-Landesverband hat sich ganz deutlich davon abgegrenzt: Es kann einfach keine Koalition, es kann auch keine andere Art der Zusammenarbeit mit der AfD geben – egal, ob auf kommunaler Ebene oder Landesebene. Dass die Abgrenzung aus der Partei heraus dann doch erfolgt ist, war für mich der Grund, mein Engagement nicht in Frage zu stellen.

Tim Munoz Andres von den Julis im Redaktionsgespräch als Videokonferenz

Tim Munoz Andres von den Julis im Redaktionsgespräch als Videokonferenz

Eine deutliche Abgrenzung. Wie ist das mit den Rechten? Nehmen Sie da eine politische Aktivität von Jugendlichen in Oberberg wahr?

Köstering: Parteipolitisch habe ich noch nichts mitbekommen. Man findet aber oft vor Schulen Sticker der identitären Bewegung oder von anderen rechtsradikalen und nazistischen Internetseiten. Ob ich das organisiert nennen will, weiß ich nicht. Aber es gibt offenbar Rechte, die sich zu überwiegend aus jungen Menschen bestehenden rechten Strömungen bekennen.

Müller: Es gibt bestimmt junge Menschen mit diesem Gedankengut, aber eine organisierte Form gibt es nicht. In Radevormwald gab es mal einen rechten Hotspot. Das klingt komisch, aber uns als Junger Union hat das geholfen, dass da eine politisierende Stimmung herrschte. Wir haben dort immer noch den mitgliederstärksten Stadtverband – auch deshalb, weil sich die Situation dort politisch zugespitzt hat. Wir haben das geschafft durch eine klare Abgrenzung.

Wie gewinnt man junge Leute allgemein für die Politik?

Peping: Es gibt Orte, wo es leicht fällt, wo es immer wieder Juso-Nachwuchs gibt – zum Beispiel Gummersbach oder Lindlar. Es lässt sich, glaube ich, bei allen Jugendorganisationen auch ein Muster erkennen: Der große Teil der Mitglieder ist männlich, hat mindestens Abitur hat und kommt aus einem Haushalt, in dem über Politik geredet wird. Bei allen anderen fällt es sehr schwer, sie zu rekrutieren.

Wie ist es bei den Julis? Auch nur Jungs?

Munoz Andres: Ganz ehrlich, ich bin überrascht darüber, was Thorben Peping sagt. Ich dachte immer, nur wir hätten das Problem. Ich glaube, gerade wir müssen versuchen, junge Frauen noch gezielter anzusprechen und Inhalte so zu verpacken, dass sie nicht nur für Männer interessant sind. In der Mutterpartei sind wir in Oberberg gut aufgestellt. An weiblichen Vorbildern fehlt es also nicht.

Das könnte Sie auch interessieren:

Glückwunsch! Wir haben es bis hier geschafft, ohne einmal das Wort Corona in den Mund zu nehmen. Nun aber doch die Frage: Was macht das mit Ihrer Generation?

Kranenberg: Also, das löst auf jeden Fall etwas aus. Ich glaube, wir wissen alle noch nicht genau, was das ist. Aber es macht mit uns irgendwas. Dass eine Gesellschaft fast komplett zum Stillstand kommt, ist etwas Außergewöhnliches. Wenn wir Digitalisierung und soziale Netzwerke nicht hätten, würde das noch einen ganz anderen Schwung an Emotionen und sozialer Dynamik auslösen. Was die Einschränkung der Freiheitsrechte betrifft, sollte sich jeder bewusst sein, welche Verantwortung er für die Gemeinschaft trägt.

Müller: Es ist einfach komisch: Mein Cousin macht dieses Jahr Abitur, der hat keinen Abiball. Oder im Herbst, wenn es so bleibt: Ich habe heute noch gute Kumpels, die ich in den Einführungswochen an der Uni getroffen habe. Das passiert nicht, wenn man sein erstes Semester im Homeoffice verbringt.

Welchen Einfluss hat Corona auf den Wahlkampf?

Köstering: Der Social-Media-Wahlkampf wird sehr wichtig – noch wichtiger als bei der Europawahl. Das hat gerade auch bei den Älteren in der Partei das Bewusstsein geweckt, dass man auch mal ins Internet gehen sollte. Das wird interessant, weil wir den ersten Wahlkampf kennenlernen werden, der hauptsächlich im Internet geführt wird.

Peping: Wir hoffen noch, dass wir Ende August oder Anfang September noch auf die Straße gehen können. Aber es verlagert sich auf jeden Fall ins Internet. Und auf einmal sind die jungen Leute hoch im Kurs, auch in der Mutterpartei, weil wir die Digital Natives sind, die sich damit auskennen. Auf einmal will jeder unsere Hilfe.

Müller: (lacht) Auch bei uns sind die jungen Leute jetzt hoch im Kurs. Auch wir werden ständig gefragt: „Wie funktioniert das?“ Das ist eines der wenigen positiven Merkmale, die Corona für uns als Jugendorganisation hat.

KStA abonnieren