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StadtrundgangGummersbacher Verein und Historiker erinnern an den Boykott jüdischer Familien

Lesezeit 3 Minuten
Bei einer Stadtführung stehen Menschen mit Regenschirmen zusammen und lauschen einem Vortragenden.

Gut 40 Zuhörerinnen und Zuhörer lauschten trotz Dauerregens am Samstag interessiert den Berichten von Gerhard Pomykaj.

Historiker Gerhard Pomykaj und Gerhard Jenders vom Verein „Unser Oberberg ist bunt, nicht braun“ führten durch Gummersbach an Orte, an denen einst jüdische Familien lebten und boykottiert wurden.

„Das wird kein einfacher Spaziergang, auf den wir Sie heute mitnehmen“, betonte der ehemalige Gummersbacher Stadtarchivar und Historiker Gerhard Pomykaj am Samstag vor seiner Stadtführung durch die Kreisstadt. Mit Gerhard Jenders, Vorsitzender des Vereins „Unser Oberberg ist bunt, nicht braun“ erinnerte er an den Boykott sowie die Ausgrenzung und Verfolgung jüdischer Mitbürger, die ab 1. April 1933   auch in Oberberg stattfand.

Dazu führten Pomykaj und Jenders die gut 40 Teilnehmenden, die dem hartnäckigen Regen trotzten, an mehrere Orte in der Innenstadt, an denen einst jüdische Familien lebten, die vom Boykott durch das NS-Regime betroffen waren. Eigentlich habe es in Gummersbach keine jüdische Tradition gegeben, sagte Pomykaj. Nur wenige jüdische Familien lebten bis 1933 in der Kreisstadt. Geändert habe sich das durch die wachsende Industrie und die Kaiserstraße, die zur Einkaufsstraße wurde. Das habe viele Handelsleute angezogen.

Erst Umsatzeinbußen, dann Geschäftsaufgabe

Unter ihnen war Siegmund Löwenstein, der bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein Bekleidungsgeschäft in Gummersbach besaß, zunächst im Haus Zapp und später in der Kaiserstraße 6-8, im ehemaligen Haus Dürr. Mit der Boykottaktion vom 1. April 1933 musste der Geschäftsmann massive Umsatzeinbußen hinnehmen und wenig später sein Geschäft aufgeben. Das hatte auch Auswirkungen auf das Vereinsleben. Löwenstein war Mitglied bei den Schützen.

Weil er als Nationalsozialist nicht mit einem Juden im gleichen Verein sein wolle, habe ein Vorstandsmitglied des Gummersbacher Schützenvereins damals seinen Rücktritt erklärt, erzählte Pomykaj. Der Vorstand habe daraufhin Löwenstein nahegelegt, freiwillig auszutreten. Dieser habe sich geweigert, sei am Ende aber aus dem Verein ausgeschlossen worden. Der Schützenverein hatte den Veranstaltern vor der Führung ein Schreiben zukommen lassen, das Jenders vor dem ehemaligen Geschäft der Löwensteins verlas. Aus heutiger Sicht klinge all das wie aus einer anderen Welt, teilt der Vorstand mit und distanziert sich von diesem „menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“.

1942 im Konzentrationslager Kulmhof ermordet worden

1941 sei Siegmund Löwenstein ins Ghetto nach Lodz gebracht worden und dort 1942 gestorben, berichtete Pomykaj. Frau und Tochter wurden im selben Jahr im Konzentrationslager Kulmhof ermordet.

An der Bismarckstraße 1 erinnerten Pomykaj und Jenders an Dr. Sofie und Dr. Alfred Simons, die 1930 eine Kinderarzt-Praxis in Gummersbach eröffnet hatten. Nach der Belagerung der Praxis durch die SA und dem Aufruf zum Boykott der Familie Simons verlor Alfred Simon zunächst die Zulassung als Kassenarzt, später wurde ihm jegliche ärztliche Tätigkeit untersagt.

Am Einkaufszentrum „Bergischer Hof“ sprach der Historiker über die Gebrüder Heinrich, die dort das Kino „Central-Theater“ betrieben. Wegen ihrer jüdischen Mutter seien sie als „Halbjuden“ eingestuft und verfolgt worden. Wegen Pachtstreitigkeiten wurde das Kino unter Zwangsverwaltung gestellt, die Brüder wurden verhaftet und kamen ins Gefängnis.

Ein Teilnehmer der Führung erinnerte sich   an einen 15 Jahre alten Jungen aus Windhagen, dessen Großeltern jüdisch waren, und der sich 1945 freiwillig zum Kriegsdienst meldete. Wegen seiner Abstammung sei er abgewiesen worden. Später war er lange Hauptbrandmeister der Feuerwehr. Am Simonsplatz an der Marktstraße endete der Rundgang am Gedenkstein, der heute an die Opfer der Diktatur und Gewaltherrschaft erinnert.