Neue DrogeTilidin ist auf den Schulhöfen in Oberberg angekommen

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Zu sehen ist ein Blister mit einer Tablette Tilidin.

Tilidin, eigentlich ein verschreibungspflichtiges Schmerzmittel, wird bei jungen Leuten verstärkt als Wohlfühl- und Lifestyle-Droge konsumiert.

Der Konsum des rezeptpflichtigen Schmerzmittels Tilidin als Lifestyle- und Wohlfühl-Droge nimmt auch bei Jugendlichen in Oberberg zu.

Es soll lindern, die Wahrnehmung von Schmerz reduzieren, schließlich entspannen. Doch wird dem verschreibungspflichtigen Medikament Tilidin auch eine enthemmende Wirkung nachgesagt, zudem rufe es Glücksgefühle hervor und steigere das Wohlbefinden. Tilidin ist ein Opioid und als Droge ist es auf Oberbergs Schulhöfen und bei den Jugendlichen angekommen. Und die Beratungsstellen schlagen Alarm: Denn Tilidin macht süchtig, die Zahl der Fälle steigt.

„Seit etwa vier Jahren nimmt der Missbrauch dieses Arzneimittel vor allem bei Teenagern zu“, berichtet Christina Köster, Koordinatorin der Suchtberatung im Caritasverband für den Oberbergischen Kreis mit Büro in Waldbröl. Allein in den vergangenen sechs Monaten hat sie acht junge Oberbergerinnen und Oberberger in die Beratung aufgenommen: Diese sind zwischen 16 und 22 Jahre alt, stammen zumeist aus dem Kreissüden und insbesondere aus Waldbröl. 16, das ist das Durchschnittsalter.

Prominente wie der Rapper Capital Bra machen Tilidin populär

„Tilidin gilt als Lifestyle-Droge, weil es eben das Wohlbefinden steigert und seine Wirkung langsam entfaltet, während die Retardschicht um die Kapsel schmilzt“, sagt Köster. In Mode gebracht worden sei das Rauschmittel durch angesagte Prominenz, etwa den Rapper Capital Bra: Der Berliner fordert in seinen Songs offen zum Genuss von Tilidin auf, hat dem Arzneimittel sogar einen ganzen Titel gewidmet. Darin rappt er darüber, dass ihm Tilidin guttue, dass es ihn alle Sorgen vergessen lasse.

Von dieser Zeitung darauf angesprochen, bestätigen 14- und 15-Jährige, dass ihnen Tilidin bekannt sei, dass es auf dem Schulhof und ebenso in der Freizeit die Runde mache. Und aus der Leitung einer weiterführenden Schule heißt es: Inzwischen liege Tilidin gleichauf mit Cannabis, zurzeit arbeite man mit zwei Jugendlichen aus der Jahrgangsstufe acht. Und: „Es würde längst Sinn machen, an allen Schulen eine gemeinsame Aktion zu organisieren, denn dieses Problem dürften inzwischen alle haben“. Präventionsprojekte und Workshops sollen aufklären und Hilfe leisten. „Leider sind die Eltern oft sehr blauäugig und erkennen die Sucht nicht.“

Christina Köster und Markus Würtz stehen nebeneinander und schauen in die Kamera.

In der Suchtberatung des Caritasverbandes für Oberberg haben Christina Köster und Markus Würtz immer öfter mit Tilidin zu tun.

Denn tatsächlich führt Tilidin rasant in die Abhängigkeit. „Die Veränderungen sind schleichend, sie reichend von einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber den gewohnten Aufgaben bis hin zu einer wachsenden Distanz zu den Eltern und den Freunden“, schildert Markus Würtz, Leiter der Abteilung Beratung und Rehabilitation beim Caritasverband. Und oft fielen beim Konsum moralische Bedenken. „Oft kommt dann auch noch die Kriminalität ins Spiel.“

In Oberberg blüht der Schwarzmarkt auch dank Tilidin

Will sagen: Geld muss her. Die Preise auf dem Schwarzmarkt abseits des Internets, so hat es Würtz Kollegin Köster herausgefunden, liegen in Oberberg bei einem Euro für 50 Milligramm, 100 Milligramm kosten 2,50 Euro und wer 200 Milligramm haben will, muss einen Fünfer dafür hinblättern. Zu haben sei Tilidin an den „üblichen Ecken“ im Kreisgebiet oder auch nach Bestellung via Smartphone und über WhatsApp. „Als übliche Dosis gelten 100 Milligramm“, sagt die Beraterin. „Oft ist es so, dass Jugendliche in Kontakt mit Tilidin geraten, deren Eltern ebenfalls abhängig waren oder es noch sind.“ Das könne Alkohol ebenso sein wie Heroin.

Und da es Tilidin nur auf Rezept gibt, blüht eben der Schwarzmarkt. „Da sind auch viele Plagiate zu haben, die gefährliche Nebenwirkungen mit sich bringen können.“ Der Polizei aber sind meist die Hände gebunden: Der Besitz eines solchen Arzneimittels ist nicht strafbar, ebenso wenig die Einnahme. Für viele Jugendliche, so haben es Markus Würtz und Christina Köster bisher beobachtet, ist Tilidin eine Einstiegsdroge, die anders und massiver wirkt als etwa Cannabis oder auch Amphetamine.

„Sie führt aber auch sehr schnell zu einer massiven Abhängigkeit“, ergänzt Köster, die gerade zwei neue Fälle zur Betreuung übernommen hat. „Nach etwa drei Monaten regelmäßigen Konsums sind erste psychische und körperliche Veränderungen erkennbar, auch tritt eine Gewöhnung ein.“ Die führe dazu, dass die Dosis erhöht wird. „Ich kenne einen 22-Jährigen, der schließlich beim Heroin gelandet ist“, berichtet Christina Köster.


Das leistet der Caritasverband Oberberg

Die Beratungsstellen des Caritasverbandes für den Oberbergischen Kreis in Gummersbach, Talstraße 1, und in Waldbröl, Gerdesstraße 5, wollen sowohl Betroffenen als auch Angehörigen – und bei Tilidin-Missbrauch ebenso Eltern – Hilfe und Unterstützung bieten. Zuständig sind die beiden Stellen für Marienheide, Gummerbach, Engelskirchen, Bergneustadt, Reichshof, Wiehl, Nümbrecht, Morsbach und Waldbröl.

Gegenstand der Gespräche sind Süchte aller Art, mit und ohne Drogen oder anderen Stoffen. Auch sind Hausbesuche durch Beraterinnen und Berater möglich. Zu Beginn jeder Betreuung soll die Frage geklärt werden, ob bereits eine Abhängigkeit oder ein Missbrauch vorliegt.

Danach steht die Motivation im Fokus, den Betroffenen die richtigen Hände weiterzuleiten, etwa in die Therapie, eine Entgiftung, in die Selbsthilfe oder auch in betreute Wohnformen. Wartelisten gebe es keine, betont das Beratungsteam.

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