Vor 80 JahrenWie ein Soldat aus Morsbach im eisigen Atlantik um das Leben kämpft

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Der Marine-Soldat Walter Berger aus der Ortschaft Bitze bei Morsbach ist 24 Jahre alt, als er auf einem Torpedo-Boot in der Biskaya gegen englische Kriegsschiffe kämpft und schließlich ins Wasser springen muss.

Der Marine-Soldat Walter Berger aus der Ortschaft Bitze bei Morsbach ist 24 Jahre alt, als er auf einem Torpedo-Boot in der Biskaya gegen englische Kriegsschiffe kämpft und schließlich ins Wasser springen muss.

Vor 80 Jahren kämpft der Morsbacher Soldat Walter Berger in der Biskaya um sein Leben. Sohn Fritz hat die Ereignisse von 1943 aufgearbeitet.

26 Stunden kämpft er im eisigen Wasser des Atlantiks und in den vom Wind aufgepeitschten Wellen um sein Leben. Wie ein Wunder wirkt die Rettung des Marinesoldaten Walter Berger vor genau 80 Jahren in der Biskaya – heute jährt sich zum 80. Mal jener Tag in den Wirren des Zweiten Weltkriegs, an dem der damals 24-Jährige aus der kleinen Ortschaft Bitze bei Morsbach beinahe den Tod gefunden hätte, nachdem er ein sinkendes Torpedo-Boot verlassen hatte. Am 28. Dezember 1943 tobt in der Biskaya die historische Seeschlacht. Die dramatischen Ereignisse zwischen Weihnachten und Neujahr hat Bergers Sohn Fritz aufgearbeitet und in einer Dokumentation niedergeschrieben.

Anhand von Feldpostbriefen hat Walter Bergers Sohn Fritz das Schicksal seines Vaters aufgearbeitet und dokumentiert. Der 68 Jahre alte Jurist lebt heute in Bonn.

Anhand von Feldpostbriefen hat Walter Bergers Sohn Fritz das Schicksal seines Vaters aufgearbeitet und dokumentiert. Der 68 Jahre alte Jurist lebt heute in Bonn.

Angefangen hat alles im vergangenen Jahr, als der heute in Bonn lebende Fritz Berger (68), Jurist und ehemaliger Geschäftsführer des Hochschulsozialwerks in Wuppertal, eine Holzkiste mit 50 Feldpostbriefen entdeckte, die sein Vater Walter während des Kriegs an dessen Eltern und Großeltern in Morsbach geschickt hatte. Diese Briefe hatte Fritz Mutter mit einem Artikel des Kriegsberichterstatters Theo Janssen 1960 in eine Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeiger eingewickelt und mit der Aufschrift „Wichtige Briefe und Andenken“ versehen. Als Fritz Bergers Elternhaus in Bitze im Sommer 2002 geräumt werden musste, nahm er die Kiste an sich. Doch erst 2022 fand er sie bei einem Umzug wieder und öffnete sie.

Im Januar 1944 erfahren die Eltern in Morsbach, dass Sohn Walter noch lebt

Die darin aufbewahrten Feldpostbriefe hatte sein Vater Walter Berger aus Irland geschrieben. „Es geht um die Schlacht in der Biskaya, die für die Alliierten zum Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg und für Nazi-Deutschland zu einer der schlimmsten Niederlagen des gesamten Seekrieges wurde. Und Papa steckte damals mittendrin“, notiert Fritz Berger in seiner Dokumentation.

Was ist geschehen? Nach dem Studium der Briefe, Kriegsberichte und Mitteilungen der Marine-Dienststellen ist Walter Berger, ein gelernter Maschinenschlosser, damals nur knapp dem Tod entronnen. Wie einer Mitteilung des Korvettenkapitäns und Flottillenchefs der Marine-Dienststelle M 51666 vom 31. Dezember 1943 an die Eltern von Walter Berger zu entnehmen ist, „sind bei Kämpfen mit englischen Schiffen in der Biskaya auch zwei deutsche Torpedoboote gesunken. Darunter auch das Boot von Maschinist und Matrose Walter Berger“. Das weitere Schicksal des Morsbacher Soldaten bleibt zur damaligen Zeit unbekannt. Ungewiss ist, ob er überhaupt noch lebt.

Ein Foto von 1943 zeigt den damals 24 Jahre alten Morsbacher Walter Berger (hintere Reihe, Dritter von links) auch im Kreise seiner Kameraden auf einem Torpedo-Boot.

Ein Foto von 1943 zeigt den damals 24 Jahre alten Morsbacher Walter Berger (hintere Reihe, Dritter von links) auch im Kreise seiner Kameraden auf einem Torpedo-Boot.

Mit einem weiteren Schreiben der Marine-Dienststelle vom 19. Januar 1944 erhalten die Eltern jedoch dann die kurze, erlösende Nachricht, dass sich ihr Sohn Walter in Irland befinde und nicht verwundet sei. Wochen später kommt dann auch der erste Feldpostbrief ihres Sohnes in Morsbach an, den dieser bereits am 5. Januar in Irland auf den Weg gebracht hat.

Darin – und später in vielen weiteren Briefen – schildert Walter Berger die dramatischen Ereignisse, die sich am 28. Dezember 1943 und die Tage darauf in der Biskaya abgespielt haben. So werden die deutschen Torpedo-Boote T25 und T26 bei der Seeschlacht getroffen und sind manövrierunfähig. Auf welchem dieser Boote Maschinenmaat Walter Berger seinen Dienst versieht, ist nicht bekannt.

Kommandant gibt den Befehl, das Boot, auf dem sich auch auf der Morsbacher aufhält, zu versenken

Der Kommandant gibt um 16 Uhr an diesem Tag den Befehl, die beschädigten Boote zu versenken. Die verbliebenen Mannschaften sollen in kleinere Boote und auf Flöße umsteigen. Walter Berger schreibt in einem Feldpostbrief: „Schnell wurden die Boote von den Wellen auseinander getrieben. Es wurden noch schwimmende Kameraden gerettet“. Warum er nicht in ein Rettungsboot steigt, sondern im Wasser landet, bleibt ungeklärt. Er treibt, vermutlich mit einer Schwimmweste, in der tosenden See der Biskaya bei stürmischem Wind mit einer Geschwindigkeit von 30 Knoten, das sind etwa 56 Kilometer in der Stunde.

Von den 672 Männern der gesunkenen deutschen Schiffe werden 93 von anderen Booten gerettet. 62 Mann geraten in britische Gefangenschaft. 168 Mann, darunter auch Walter Berger, werden erst am folgenden Tag von dem kleinen irischen Handelsdampfer MV Kerlogue aufgenommen.

Anfang Januar 1944 schreibt der Morsbacher den ersten Brief an seine Eltern

Im ersten Brief an Bergers Eltern vom 5. Januar 1944 aus der Collins-Kaserne in Cork im Süden der Irischen Republik heißt es: „Die besten Grüße aus Irland sendet euch bei bester Gesundheit euer Walter. Am 28. Dezember 1943 ist unser Boot nach heldenhaftem Kampf gegen englische Kreuzer gesunken, 190 Seemeilen (Anmerkung: Das sind 352 Kilometer) von der Küste entfernt. Wir sind dann bis zum anderen Tag um 18.00 Uhr im Wasser geschwommen, dann wurden wir von einem irischen Schiff aufgenommen. Leider haben es nur wenige Kameraden ausgehalten, 26 Stunden im Wasser zu schwimmen. Drei Tage fuhren wir dann mit dem Schiff nach Irland. Es war ein kleiner Dampfer, welcher Apfelsinen geladen hatte, von denen haben wir die drei Tage leben müssen. In der Neujahrsnacht um drei Uhr kamen wir auf dem Festland an. Mit Lastwagen wurden wir dann zur Kaserne gebracht. Mein Kamerad Ferdel W. und der Leitende Ingenieur sind hier im Lazarett gestorben. Ferdel hatte beide Beine durchschossen, der Ingenieur starke Verbrennung am ganzen Körper.“

Im zweiten Brief vom 15. Januar jenes Jahres lässt Berger wissen: „Wir sind Zivilisten geworden. Wir haben in diesem Jahr überhaupt nichts von Weihnachten gehabt. Vom 21. Dezember an sind wir zur See gefahren, bis wir ‚ausstiegen‘. Hätte ich früher nie gedacht, dass ich mal 26 Stunden im Wasser schwimmen könnte. Das Schlimmste war nicht die Versenkung des Bootes, sondern die 26 Stunden auf dem Wasser. Wenn man sieht, wie ein Kamerad nach dem anderen in den Fluten versinkt ...“

In weiteren Feldpostbriefen geht es um den Aufenthalt des Morsbacher Soldaten Berger in Irland

Weiteren Briefen ist zu entnehmen, dass Walter Berger später von Cork ins deutsche Internierungslager Curragh Camp nach Country Kildare südlich von Dublin verlegt wird. Er schreibt darüber: „Es war kein Gefangenenlager, war doch die Republik Irland keine Kriegspartei, sondern neutral. Die Iren sind feine Leute. Wir wurden gut behandelt und hatten keinen Mangel.“ Da sie nicht wie Gefangene behandelt werden, können sich die Internierten frei im Lager bewegen. Als Zeitvertreib, so berichtet Walter Berger in einem Brief, bauen sie Gemüse an, angeln und jagen, setzen Schnaps an, allerdings müssen sie auch Torf stechen.

Erst am 10. Juni 1944 erhält der Soldat Berger in Irland Post von seinen Eltern aus Bitze, diesen Brief hatten sie bereits im März zuvor abgeschickt. Den letzten Brief an seinen Eltern verfasst Walter Berger am 12. Oktober 1944 in Irland. Sein Sohn Fritz führt dazu in der Familiendokumentation aus: „In den letzten Monaten des Krieges erkrankte mein Vater im Lager an schwerer Gelbsucht, die 20 Jahre später ursächlich für seinen frühen Tod verantwortlich werden sollte.“

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs im Mai 1945 beginnt der Prozess der Rückführung deutscher Soldaten aus Irland, die sich bis August hinzieht. Der zweifache Vater Walter Berger arbeitet nach dem Krieg als Maschinenschlosser bei der Morsbacher Firma Brockamp und legt die Meisterprüfung ab. Ab 1950 betreibt er in Bitze eine Schlosserwerkstatt mit Tankstelle. Er stirbt 1964 mit nur 44 Jahren.


Hintergrund

Der Golf von Biskaya ist eine Bucht im Atlantischen Ozean vor den Toren Frankreichs und Spaniens. Das Seegebiet ist für starke Stürme und einen extremen Seegang bekannt.

Dieses historische Foto zeigt ein Torpedo-Boot der deutschen Marine. Schiffe dieser Art kamen auch in der Biskaya zum Einsatz.

Dieses historische Foto zeigt ein Torpedo-Boot der deutschen Marine. Schiffe dieser Art kamen auch in der Biskaya zum Einsatz.

Die Schlacht im Golf von Biskaya, von der deutschen Wehrmacht auch „Operation Bernau“ genannt, war eine Marineaktion, die am 28. Dezember 1943 als Teil des Atlantikfeldzugs stattfand. Die Schlacht spielte sich zwischen den zwei Leichtkreuzern HMS Glasgow und HMS Enterprise der britischen Royal Navy und elf Zerstörern und Torpedo-Booten der deutschen Kriegsmarine ab.

Torpedo-Boote waren kleine, schnelle Kriegsschiffe, die ihre Munition sehr nah an die gegnerische Schlachtlinie bringen mussten. Sie wurden für Geleitsicherungsmaßnahmen im Ärmelkanal und in der Biskaya eingesetzt.

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