Alternativer KarnevalWahl-Nümbrechter ist Mitbegründer der Stunk-Sitzung

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Reiner Rübhausen, Ur-Stunker im Karneval.

Reiner Rübhausen (66) ist seit Jahrzehnten Autor für die Stunksitzung, war in den Jahren 1996 bis 1998 ihr Präsident.

Was tun im Winter?, fragten sich Jürgen Becker, Doro Engelhaaf und Reiner Rübhausen 1984. Karneval, aber anders - Parole: Stunk statt Prunk.

Reiner Rübhausen lebt in zwei Welten. Hier das kleine ruhige Dörfchen Lindscheid in Nümbrecht, an der äußersten Grenze des Oberbergischen Kreises, allenfalls bekannt durch die Apfelpatsche. Dort tausende jubelnder und lachender Zuschauer im Kölner E-Werk, wenn in der Stunksitzung „Me too“-Tätern im Stil von Quentin Tarantinos „Kill Bill“ der Prozess gemacht wird oder die Bauarbeiter das künftige musikalische Programm der Kölner Oper bestimmen.

Nur wenige wissen, dass der 66-Jährige mit der Wollmütze, der zusammen mit seiner Partnerin hauptberuflich Pflegekinder betreut, einer der Mitbegründer der Stunksitzung und bis heute aktiv mit dabei ist. Drei Jahre lang, von 1996 bis 1998, war er Präsident.

Nach wie vor Autor für die  Stunksitzung

Allerdings tritt er schon lange nicht mehr auf die Bühne. „Mir geht es wie Barbra Streisand“, erklärt er augenzwinkernd. „Die empfand ihre öffentlichen Auftritte immer als große Belastung.“ Sicher, die Kommunikation mit dem Publikum sei toll gewesen. „Diese feine Chemie, das war das Größte, ich hab‘s erreicht, es hat gut funktioniert. Aber lieber bleibe ich im Hintergrund. Vielleicht hält man da auch länger durch als auf der Bühne“, ergänzt er schmunzelnd.

So schrieb er zusammen mit Präsidentin Birgit Wanninger ihre aktuelle Moderation, arbeitet als Autor mit an den Stücken. Und das schon seit 40 Jahren.

„Das war eine bewegte Zeit damals, die Anti-AKW-Bewegung, Studentenproteste gegen Kürzungen im Sozialbereich, Unibesetzung – wir wollten in einem alternativen gesellschaftlichen Modell zusammen leben und arbeiten“, erzählt er. Im Sommer 1984 entstand der Mitmachzirkus für Jugendliche, der heute Kölner Spielzirkus heißt. „Und was machen wir im Winter?“, fragten sich Jürgen Becker, Doro Engelhaaf und Reiner Rübhausen.

Mir geht es wie Barbra Streisand. Die empfand ihre öffentlichen Auftritte immer als große Belastung.
Reiner Rübhausen

Etwa Karneval? „Aber nicht so frauenfeindlich, nicht so steif, Stunk statt Prunk“, erinnert sich der Ur-Stunker, dessen Vater als Bauer in Heisterbacherrott mit seinem Trecker jedes Jahr einen Karnevalswagen im Zug zog, Klein-Reiner immer mit dabei.

Zur ersten Aufführung ihres Programms vor 300 Zuschauern in der Kölner Studiobühne engagierten sie das Straßenkabarett „Laut und Lästig“ aus Kleve, „als Zugpferd, weil wir Angst hatten, dass den Leuten unsere Stücke nicht gefallen“. Es kam anders.

Heute zählt die Stunksitzung um die 60 000 Zuschauer pro Session und ist ein Wirtschaftsunternehmen, in dem ein halbes Jahr lang nicht nur die 25 Mitglieder der miteinander alt gewordenen Kerntruppe arbeiten, sondern auch Angestellte: Requisiteure, Schneiderinnen, Beleuchter und eine Bürokraft. Aber noch immer, das ist Rübhausen wichtig, werden alle Entscheidungen gemeinsam getroffen, auch werde das Programm in einer Brainstorming-Woche zusammen entwickelt.

Dabei fallen auch schon mal Lieblingsideen unter den Tisch, etwa Rübhausens Idee, einen „Karneval der Diktatoren“, als Krätzchen angelehnt an den „Karneval der Tiere“ mit Trump in der Löwen-Maske auf die Bühne zu bringen. Das findet er immer noch schade.

In seinem Leben jenseits von Alaaf und Stunk arbeitete der Kabarettist lange als Sozialpädagoge in der Schuldnerberatung und der Straffälligenhilfe. Berührungspunkte der beiden Welten? „Einmal habe ich eine Metal-Band aus der Justizvollzugsanstalt mit auf die Stunk-Bühne gebracht, die haben dann in einer Viertelstunde den Saal leer gespielt“, erinnert er sich.

Nicht jedem gefallen die Inhalte

Aber auch heute beobachte er, dass Zuschauer den Saal verlassen. „Immer dann, wenn wir uns gegen Rechts positionieren, wenn wir die AfD und stinknormale Faschisten angreifen.“ Heute bilden die Macher, so Rübhausen, eine „heterogene Gruppe mit überzeugten Christen, unpolitischen Theatermachern, SPD-nahen Leuten, Grünen, ganz Linken und Menschen, die einfach Spaß an der Musik haben“, und manche Positionen wie die zum Krieg stünden bei den Stunkern wie auch in der Gesellschaft auf dem Prüfstand.

So lange das Schwarz-Rot im Stern unter der Narrenkappe nicht ganz verblasst, will Reiner Rübhausen weiter von Lindscheid aus Menschen mit scharfen Seitenhieben dazu bringen, sich Gedanken zu machen. Vor allem über das Klima. „Aber wir sind nicht nur ein böses Polit-Kabarett, auch das herzliche Lachen gehört unbedingt dazu!“

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