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Interview

Mutter von Hamas-Opfer Shani Louk
„Wir dachten, es kann nicht sein, dass das unser kleines Mädchen ist“

6 min
Das Bild zeigt Ricarda Louk, wie sie auf der Beerdigung auf den mit einer Flagge bedeckten Sarg ihrer Tochter Shani Louk schreibt. Die 22-jährige Shani Louk wurde auf der Flucht von einem Musikfestival während des Hamas-Angriffs am 7. Oktober 2023 getötet worden.

Ricarda Louk schreibt auf den mit einer Flagge bedeckten Sarg ihrer Tochter Shani Louk bei deren Beerdigung. Die 22-jährige Shani Louk wurde während des Hamas-Terrorangriffs am 7. Oktober 2023 getötet. Israelische Streitkräfte bargen ihre sterblichen Überreste am 17. Mai 2024.

Ricarda Louk möchte die Erinnerung an ihre Tochter Shani, die am 7. Oktober 2023 beim Hamas-Massaker von Terroristen ermordet wurde, am Leben halten.

Ricarda Louk ist in Ravensburg aufgewachsen. Später gründete sie mit ihrem israelischen Mann eine Familie in Israel. Jetzt war die Mutter der beim Massaker vom 7. Oktober 2023 von Terroristen ermordeten Deutsch-Israelin Shani Louk (damals 22) auf Einladung des Freundeskreises Nümbrecht – Mateh Yehuda zu Gast in Nümbrecht. Mit ihr sprach Torsten Sülzer.

Frau Louk, was für ein Mensch war Ihre Tochter Shani? Was hatte sie für Pläne und Träume?

Shani war eine sehr selbstständige junge Frau, sie hat alleine in Tel Aviv gelebt. Sie war Künstlerin, sie hat Grafikdesign studiert und Tätowieren gelernt. Sie ist nicht zur Armee gegangen, weil sie das für Zeitverschwendung hielt. Sie hat es geliebt, zu reisen und auf Festivals zu gehen. Sie hat sich für andere Kulturen interessiert und immer den Kontakt mit Menschen aus der ganzen Welt gesucht, sie war friedliebend und hat gesagt: Es gibt keine schlechten Menschen, es gibt nur Menschen, denen es schlecht geht. Und: Sie hat sich um andere Menschen gekümmert. Von ihren Freundinnen habe ich später erfahren, dass Shani beruflich etwas im sozialen Bereich machen wollte.

Shani hatte in Freiburg und Weimar Deutsch gelernt – war sie öfter in Deutschland?

Sie war noch jung, als sie die Kurse gemacht hat, 15 oder 16. Aber sie war immer im Kontakt mit ihren Cousinen und mit meiner Familie in Süddeutschland.

Wo haben Sie den 7. Oktober 2023 verbracht?

Der Tag vorher war ein Feiertag, der 7. Oktober ist auch ein Feiertag, wir hatten alle Kinder zum Festtagsessen eingeladen. Shani hat aber in letzter Minute gesagt, dass sie doch zum Festival geht, ich wusste nicht einmal, was für ein Festival. Sie wollte stattdessen in der nächsten Woche kommen, mit ihrem Freund, der gerade aus Mexiko zu Besuch gekommen war. Das Festival war eigentlich gar nicht ihrer Szene, die meisten ihrer Freunde waren nicht da. Morgens um 6.30 Uhr ging der Raketenalarm los, wir waren Zuhause und sahen die Raketen fliegen, und ich habe meiner älteren Tochter gesagt, sie soll Shani anrufen. Shani hat auch geantwortet und gesagt, dass sie noch auf dem Festival ist und wegen des Raketenalarms mit ihren Freunden nach Tel Aviv fahren wollte. Wir haben dann gesagt: Okay, Raketenalarm kennen wir, das ist eine übliche Sache, und haben uns nicht so Gedanken gemacht. Aber nach einer Weile ging Shani nicht mehr ans Telefon. Und dann haben wir in den Sozialen Medien die ganzen Sachen von der Infiltration durch die Terroristen gesehen.

Das Bild zeigt Ricarda Louk mit ihrer Tochter Shani.

Ricarda Louk mit ihrer Tochter Shani, über die sie sagt: „Sie hat sich für andere Kulturen interessiert und immer den Kontakt mit Menschen aus der ganzen Welt gesucht. Sie war friedliebend.“

Wann haben Sie erfahren, dass Ihre Tochter unter den Opfern ist?

Gegen halb elf hat mein Sohn das Video zugeschickt bekommen, das dann um die ganze Welt ging, wo man Shani gesehen hat, wie sie hinten auf dem Pick-up-Truck liegt, mit den vier bewaffneten Männern, die sie runtergedrückt haben und die mit ihr in den Gaza-Streifen gefahren sind – wo die ganzen Zivilisten rauskamen, jubelten und wie bei einer Trophäe Shanis Kopf hochgehoben und sie angespuckt haben. Das war ganz ekelhaft. Mein Sohn hat gleich angefangen zu schreien: Das ist die Shani! Er hatte sie an den Tätowierungen erkannt. Wir kamen uns vor wie in einem Film, als wäre das alles nicht echt. Wir dachten, es kann nicht sein, dass das unser kleines Mädchen ist, mit diesen schrecklichen Menschen. Wir waren total geschockt, aber haben auch überlegt: Was machen wir jetzt? Polizei und Armee waren da total überfordert, die deutsche Botschaft wusste auch nicht, was sie tun kann, und wir haben dann auf die Medien in Deutschland gesetzt. So lange wir noch einen Funken Hoffnung hatten, wollten wir nicht aufgeben.

Was hat Ihnen und Ihrer Familie in der Zeit die Kraft gegeben, das durchzustehen?

Man findet die Kraft irgendwie, weiterzumachen, man ist immer beschäftigt, wir haben überlegt, was wir noch machen können. Die ganze Familie war zusammen, auch die Familie meines Mannes. Wenn man dann spät müde ins Bett fällt, fängt man an zu grübeln: Wo ist Shani? Was machen die mit so einem jungen Mädchen?

Wann hatten Sie denn dann endlich Klarheit?

Das hat drei Wochen gedauert. Dann klopfte es abends um elf an der Tür, das war die Armee mit Sozialarbeiterinnen, da wussten wir schon: Das kann nichts Gutes sein. Sie erklärten uns, dass man ein Stück von Shanis Schädelknochen gefunden hatte, noch auf israelischem Gebiet, und dass sie nicht mehr am Leben gewesen sein kann, als sie abtransportiert worden ist. Das war einerseits komischerweise zuerst ein bisschen erleichternd, weil wir wussten, sie hat nicht gelitten und sie hat die ganzen Demütigungen nicht mitbekommen. Andererseits war da endgültig klar: Shani kommt nie wieder zurück! Das ist vorbei. Ich habe dann keine Hoffnung mehr gehabt, dass der Körper zurückkommt. Wir wollten auch nicht, dass andere Menschen ihr Leben riskieren, um ihren Körper zurückzubekommen. Aber die Armee hört nicht darauf, was wir wollen oder nicht. Nach sieben Monaten haben sie ihren Körper gefunden, total eingegraben in einem Tunnel in Jabalia im Gaza-Streifen. Wir konnten sie dann nach zwei Tagen begraben.

Was wünschen Sie sich: Was sollen die Menschen, die Ihren Vortrag hören, mitnehmen?

Ich will unsere Geschichte erzählen, weil wir immer öfter hören, dass die Menschen nicht glauben, was am 7. Oktober 2023 passiert ist, oder dass sie den Anlass für diesen sinnlosen Krieg vergessen haben. In Israel wollten keiner den Krieg – aber das ging einfach nicht anders nach so einem schrecklichen Massaker. Das will ich in Erinnerung bringen und von uns erzählen. Es kann niemand kommen und sagen: Du lügst! Deshalb ist es wichtig, dass ich die Geschichte selber erzähle. Trotzdem versuchen wir auch zu zeigen, dass man auch nach so einem Schicksalsschlag weiterleben kann.


Der Vortrag

Dass Ricarda Louks Vortrag tiefen Eindruck hinterlassen hatte, war hinterher greifbar. Gut 50 Interessierte waren ins Parkhotel Nümbrecht gekommen, wo die gebürtige Ravensburgerin über ihre ermordete Tochter Shani, über den Tag des terroristischen Massakers und über die Zeit danach sprach. „Ich fühle mich mit ihrer Tochter verbunden“, sagte später eine Zuhörerin.

Im Parkhotel in Nümbrecht berichtet Ricrada Louk von ihrer Tochter Shani.

Im Parkhotel in Nümbrecht berichtete Ricrada Louk von ihrer Tochter Shani.

Es wirkte bedrückend, aus erster Hand sehr detailliert zu erfahren, was die Familie Louk später alles über das Schicksal, über die letzten Stunden im Leben ihrer Tochter, erfuhr. Unter anderem zu sehen: Shanis letztes Selfie, Shani mit Freunden auf dem Nova-Festival, Shani mit Freunden in ihrem Auto auf der Flucht. Die Mutter möchte, dass möglichst viele Menschen auf der Welt von Shani erfahren, und sie bekommt viel Rückmeldung, wie sie sagte: „Ich wundere mich selbst, wie so ein junges Mädchen so viele Menschen erreichen kann.“

Einladung nach Israel

Marion und Peter Reinecke vom Verein „Freundeskreis Nümbrecht/Mateh Yehuda“ dankten Ricarda Louk und den anderen Besucherinnen und Besuchern aus Israel. Mit dabei war auch die neue stellvertretende Landrätin des Landkreises Mateh Yehuda, Efrat Shalev-Tubul. 19 Soldaten aus dem Landkreis seien im Krieg gefallen, sagte sie. Im Namen des Landkreises bedankte sie sich für Halt, Unterstützung und Hilfe, der aus Deutschland und auch aus Nümbrecht gekommen sei: „Nümbrecht ist eine kleine Gemeinde mit einem sehr großen Herzen.“ Sie lud dazu ein, Israel zu besuchen „und unser Volk kennenzulernen“.