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RegressHausarzt Stefanus Paas schließt seine Praxis in Bergneustadt

Lesezeit 4 Minuten

BergneustadtWie geht es für Sie weiter?

Ab dem 1. Juli arbeite ich in einer geriatrischen Abteilung eines Krankenhauses, um mich zunächst einmal in den nächsten 18 Monaten zum Facharzt für Geriatrie weiterbilden zu lassen. Wo genau, möchte ich noch nicht verraten. Es ist aber so weit weg, dass wir uns entschieden haben, unser Haus in Lieberhausen zu verkaufen.

Wie kam es dazu?

Meine Frau, meine beiden Kinder und ich – wir wollen als Familie zusammenbleiben. Wir haben lange überlegt, ob ich zunächst pendeln soll oder mir die Woche über dort, wo ich arbeite, ein Zimmer nehme – zumindest bis unsere Tochter, die im Sommer in die vierte Klasse kommt, hier die Grundschule beendet hat. Letztlich haben wir uns entschieden, dass ein Umzug ein sauberer Schnitt ist.

Gibt es etwas Neues in den Verfahren um die Regresse?

Im Augenblick herrscht Stillstand. Eigentlich sollte im März die Sitzung des Beschwerdeausschusses zu den Forderungen für das Jahr 2012 stattfinden. Bis jetzt ist das aber nicht passiert.

Um wie viel Geld geht es noch?

Für 2011 beläuft sich die Forderung auf etwa 5000 Euro. Damit beschäftigt sich jetzt das Sozialgericht – und das dauert. Der Kollege Dr. Jörg Blettenberg aus Lindlar wartet bis heute auf ein Urteil zu den Forderungen für das Jahr 2009. Für 2012 stehen Forderungen von etwa 15 000 Euro im Raum. Nach allem, was ich bisher weiß, kann ich aber davon ausgehen, dass mich das Kapitel noch zehn Jahre beschäftigen wird.

„Ich habe nichts falsch gemacht“

Rückblickend: Warum hat es ausgerechnet Sie erwischt?

Ganz ehrlich, ich weiß auch nicht genau, warum. Ich habe das ja auch zu hören bekommen, zum Beispiel, als wir den CDU-Bundestagsabgeordneten Jens Spahn in Berlin besucht haben. So was, sagte er, höre er ganz selten. Vielleicht beäugt mich die Regresszentrale in Düsseldorf auch deshalb kritischer, weil ich die zu Unrecht gegen mich erhobenen Prüfungen und Regressandrohungen von Anfang an öffentlich kundgetan habe.

Wie meinen Sie das?

Laut Sozialgesetzbuch sollen nur zwei Prozent der Ärzte in Stichproben auf ihre Wirtschaftlichkeit geprüft werden. In Oberberg haben in einer anonymen Befragung 30 von 60 Hausärzten angegeben, überprüft worden zu sein – 50 Prozent der Befragten. Vor unserer Demonstration im November wurde uns von einem Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein bestätigt, dass sich 67 Hausarztpraxen in Oberberg in einem ständigen Prüfungsprozess befinden. Dass es wirklich nur Dr. Blettenberg und ich sind, die sich Regressen ausgesetzt sehen, bezweifele ich.

Wie kommen Sie darauf?

Ich bin überzeugt: Die Statistiken, dass es Regresse tatsächlich nur im Promillebereich gibt, sind geschönt. Ich unterstelle, dass Ärzte, die bei Forderungen still bleiben und einen Vergleich schließen, gar nicht darin auftauchen. Wenn die Kollegen den Mut hätten, ihre Fälle öffentlich zu machen, könnten wir auch wirklich etwas bewegen. Und es gibt die anderen Regressfälle wirklich: In den vergangenen Monaten haben mich viele Briefe von Kollegen erreicht, denen es genauso ergangen ist – aus Schleswig-Holstein, aus Mecklenburg-Vorpommern, auch aus Bayern.

Haben Sie sich nicht manchmal gefragt, ob Sie sich selbst etwas vorzuwerfen haben?

Nein, ich habe nichts falsch gemacht. Ich habe meine Verordnungen nach wissenschaftlichen Leitlinien gut begründet und wirtschaftlich gearbeitet. Ich bin felsenfest überzeugt, dass ich deshalb in einigen Jahren rehabilitiert werde.

Wie kam es dann zu Regressen?

Es hat sicher damit zu tun, dass Besonderheiten meiner Praxis nicht ausreichend gewürdigt wurden – wie im Fall eines Magen-Darm-Spezialisten, auch aus dem Bereich Nordrhein, der im Oktober 2014 vor dem Bundessozialgericht Recht bekommen hat. Bei mir ist diese Besonderheit die Tätigkeit als Facharzt für Palliativmedizin.

Mal ehrlich: Geben Sie wirklich nur wegen der Regresse auf?

Das ist bisher zu kurz gekommen, aber natürlich liegt es nicht nur an den Regressen. Ich schaue auch in die Zukunft und sehe die Überalterung in unserer Zunft. 25 Prozent der 160 Hausärzte hier sind über 60. Das heißt, wenn es keine Nachfolger gibt, betreuen hier in der Umgebung in fünf Jahren fünf bis sechs Ärzte etwa 50 000 Menschen. Und da habe ich mich auch gefragt: Kannst du das? Und: Willst du das?

Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, das Sie mit Ihrem Abschied bewegen – was wäre das?

Dass meine Patienten meinen Abschied als Chance begreifen, sich zu Wort zu melden und dafür zu kämpfen, dass sie weiter gut versorgt werden. Wenn es gelänge, den Regresswahnsinn zu stoppen, dann würden sich mehr junge Menschen als Ärzte niederlassen – davon bin ich überzeugt.