Sorge vor PrüfungenOberbergs Auszubildende – seit über einem Jahr kaum Kundenkontakt

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Der Auszubildende Andre Klug muss am Puppenkopf üben.

Oberberg – Routiniert teilt Annika Köster Haarsträhnen ab, bereitet mit Kamm und Alufolie alles vor, um einen Ansatz zu färben. Allerdings ist der weder grau noch herausgewachsen, und die Kundin im Friseursalon Hagen in Engelskirchen würde sich auch nicht beschweren, falls die Auszubildende weniger behutsam mit ihrer roten Haarpracht umgehen würde, denn ihr Körper endet gleich unterhalb des Halses. „Im Lockdown haben wir an Puppenköpfen gelernt und geübt“, erzählt die 23-Jährige, die kurz vor der Gesellenprüfung steht.

Ein wenig Sorgen macht sie sich schon, weil es im gesamten dritten Ausbildungsjahr viereinhalb Monate lang keinen Kundenkontakt und damit auch keinen Arbeitsalltag gab. „Die Puppen sagen ja nicht, welche Frisur ihnen gefällt, ob etwas unangenehm oder vielleicht zu heiß ist.“ Deshalb muss ihr Freund zu Hause immer wieder Haare lassen. Und auch mal zum Modell fürs Schminken überredet werden. „Das gehört auch zur Ausbildung, und das konnten wir in der Praxis kaum üben“, erklärt Annika Köster.

Kunstköpfe ersetzen Kunden

Ihr Kollege Andre Klug, ebenfalls im dritten Ausbildungsjahr, wird gleich die Schere ansetzen, um zu demonstrieren, wie er „seinem“ Kopf die halblangen Haare zu einem coolen Kurzhaarschnitt kürzt. „Die Köpfe werden so oft verwendet wie möglich“, sagt Meister Hans-Wilhelm Hagen, „erst Färben, dann Strähnchen, Stufenschnitt, Fassonschnitt.“ Zum Schluss bleiben nur raspelkurze Stoppeln übrig, und das Schicksal des Modells ist besiegelt.

Es gibt sogar Puppen mit Bart. Im vergangenen Jahr mussten die Kunstköpfe häufig die lebendige Kundschaft ersetzen. „So ein Kopf kostet um die 100 Euro. Zur Zeit hab ich im Keller einen Vorrat von rund 40 Puppenköpfen“, sagt Hagen. Er hat in den vergangenen Monaten Mitarbeiterinnen abgestellt, die mit den Azubis individuell geübt haben. Dennoch sind die Azubis nervös. Jeweils drei (lebendige) Modelle, an denen die angehenden Friseure und Friseurinnen ihr Können demonstrieren, muss jeder zur praktischen Prüfung mitbringen. „Was ist, wenn plötzlich jemand in Quarantäne muss?“, fragt sich Annika Köster.

Zeit, viel auszuprobieren

Lars Stangier, der in der Waldbröler Firma GC-heat zum Industriemechaniker ausgebildet wird, hofft angesichts steigender Infektionszahlen vor allem, dass die Prüfungen planmäßig stattfinden: Vor einem Jahr wurde der erste Teil seiner Abschlussprüfung nur einen Tag vor dem Termin in den Herbst verschoben. Während der Monate, in denen die Produktion vorübergehend heruntergefahren war, gab es für den 21-Jährigen Studientage, Projektarbeit per Videokonferenz und eine intensive betriebliche Unterweisung. „Das hat die Eigenständigkeit gefördert“, meint Ausbildungsleiter Christian Schlößer.

Bei der Firma Lang AG in Lindlar will Niclas Aberle demnächst seine Ausbildung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik abschließen – nach einem Coronajahr ohne Veranstaltungen. „Wir konnten viel in der Firma ausprobieren, auch Dinge, die sonst wegen Zeitmangel eher unter den Tisch gefallen wären.“ Auch die Lehrwerkstatt in Köln habe manches aufgefangen, was er live nicht üben konnte, sagt er. Sein Gesellenstück? „Eine Karnevalsveranstaltung unter Coronabedingungen!“ Dafür baut er demnächst in der großen Halle der Firma eine Bühne auf, mit LED-Wänden, Licht und Ton. Mit nur 30 Stühlen und riesigen Hygieneabständen.

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Aber ohne echte Zuschauer und ganz ohne Alaaf und Luftballons. „Traurig“, findet das sein Ausbilder Michael Hoffstadt, „normalerweise würde Niclas alles für eine echte Live-Veranstaltung aufbauen“. Stattdessen legt er der IHK eine nüchterne Dokumentation als Datei vor – und ist wie alle anderen, die jetzt vor er Prüfung stehen, froh, dass ihn die Corona-Einschränkungen erst im dritten Ausbildungsjahr erwischt haben, in dem es vor allem um Festigung des bisher Gelernten und Routine geht.

Die bestand für Celina Loschelder und Leslie Karasinski im Dänischen Bettenlager in Waldbröl in den vergangenen Wochen vor allem aus der Beratung von Kunden, die zum „Click & Meet“ kamen. Während der Lockdown-Zeiten habe die Firma sie sehr unterstützt mit eigenen E-Learning-Modulen und Schulungen.

Chef spielte den Kunden

Gelegentlich habe auch der Chef mal einen anspruchsvollen Kunden gespielt, für den sie die passende Matratze finden sollten, erinnern sich die beiden angehenden Kauffrauen schmunzelnd. Um ihnen die Angst vor der Prüfung zu nehmen, gab’s statt einem Live-Seminar zur Vorbereitung ein Video, in dem einer von ihnen eine mündliche Demo-Prüfung ablegt. Leslie Karasinkski ist erleichtert: „Wir wissen jetzt, wie wir uns verhalten und was wir anziehen sollen und wie alles abläuft.“ Mehr Sorgen macht den beiden Azubis um die schriftliche Prüfung.

„Ich bin unsicher, ob ich im Online-Unterricht alles richtig verstanden habe, und drei Wochen vor der Prüfung haben wir auch keinen Präsenzunterricht mehr, damit wir uns nicht anstecken“, sorgt sich Celine Loschelder. „Ob die Prüfer wohl auf die besondere Situation Rücksicht nehmen?“ Vor allem aber: Ob die Prüfungen überhaupt wie geplant stattfinden können. „Niemand kann sagen, was im nächsten Monat ist“, stellt Friseurmeister Hagen fest, „vielleicht ist dann ja wieder alles zu.“

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