Spiel mit dem FernwehWeltenbummler findet entfernte Orte ganz nah

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt

Rom in Morsbach.

Rom – Nichts ist für die Ewigkeit, nicht mal Rom. Es ist schon eine recht traurige Erkenntnis, zu der Christoph Karrasch gelangt, als der Kieler auf seiner Weltreise durch Deutschland auch Rom erreicht. Nicht das in Italien. Nein, das in Morsbach. Eben ist der Reisejournalist in Brasilien gewesen, in Kalifornien ebenfalls. Und ins Oberbergische gekommen ist er aus Little Tokyo. „So nennt man in Düsseldorf das Viertel rund um die Immermannstraße wegen der vielen Menschen aus Japan, die da leben“, erklärt Karrasch. Und als er Rom verlässt, führt ihn die Reise sozusagen nach Island – zum Kaltwasser-Geysir von Andernach, um genau zu sein.

Als die Welt innehält und das Coronavirus Berufsreisende wie eben Karrasch – ihn kennt man als Autor, als Moderator und Reporter für Fernsehmagazine wie etwa „Galileo“ – ausbremst und zum Daheimbleiben zwingt, hat er die Idee, nach der Zwangspause Deutschland zu erkunden und Orte anzusteuern, die große Namen tragen. Oder zumindest an andere Länder erinnern, von ihnen geprägt sind. Die ersten der 15 Ziele findet der 37 Jahre alte Kieler vor der Haustür: Die Strandorte Kalifornien und Brasilien gehören zur Ostsee-Gemeinde Schönberg im Kreis Plön. „Aufgebrochen bin ich im September vergangenen Jahres, das war eine skurrile, verrückte Zwischenzeit vor dem nächsten Lockdown“, erinnert sich Karrasch. „Als im März 2020 der erste Lockdown kam, war ich gerade in Mexiko unterwegs, wurde prompt von der ,Galileo’-Redaktion nach Deutschland zurückgerufen.“ Als er die ersten Corona-Nachrichten auf dem Handy liest, hat Karrasch eine Machete in der Hand und erntet bei brütender Hitze Zuckerrohr.

Sein Fernwehvolltreffer kommt gut an, landet sogar auf der "Spiegel"-Bestsellerliste

„San Francisco liegt am Rhein“ hat er seine Reiseberichte genannt, die Ende Mai als Buch im Ullstein-Verlag erschienen sind. Die Fakten dazu: bereits 20.000 gedruckte Exemplare, fünfte Auflage, wochenlang „Spiegel“-Bestsellerliste. „Das kann ich alles kaum glauben“, sagt Christoph Karrasch über seinen Fernwehvolltreffer. Gereist ist er allein mit Bus und Bahn, auch nach Morsbach. Er kommt im Dunkeln an, bezieht Quartier im Landhotel „Goldener Acker“, weil im Hotel „Zum Römertal“ nichts frei ist. Da sind vor allem Monteur-Zimmer im Angebot. Im Internet hatte Karrasch indes von einem Dorfkrug gelesen und einer Kegelbahn, „das wäre perfekt gewesen und klang nach einer Menge Spaß“.

Im Nieselregen holt ihn am nächsten Morgen Christoph Buchen ab – Heimatkundler und Mitarbeiter dieser Zeitung. Karrasch hat bisher nur von Roms jüngster Vergangenheit gelesen, etwa von Luigi Rimonti. Im Gegensatz zu Karrasch will der im Mai 2019 gar nicht nach Morsbach, landet aber trotzdem dort: Der damals 81 Jahre alte Italiener ist in seiner britischen Wahl-Heimatstadt Newcastle upon Tyne aufgebrochen, um noch einmal Rom, das echte, zu sehen, um sich zu verabschieden. Doch fährt Rimonti aus Versehen nach Oberberg, sein Jaguar rammt und knickt das Ortsschild Roms. Und als der Senior aus der Limousine steigt, erwischt ihn die offene Fahrzeugtür. Im bergigen Bergischen hat Luigi Rimonti vergessen, die Handbremse zu ziehen. Er fällt, wird verletzt, kommt mit Blessuren davon.

„Ich hätte tot sein können“, sagt der Italiener zwei Tage später dieser Zeitung, als er sich im Waldbröler Krankenhaus von dem Unfall erholt. Nach den ersten Berichten in diesem Blatt geht die Geschichte von Luigi Rimonti ruckzuck um die Welt, bei der Polizei melden sich plötzlich Reporter aus dem ganzen Königreich, nach dem Interview mit diesem Blatt schaut der Italiener in die Kameras von Sat.1. „Insgesamt gibt es Rom dreimal in Deutschland“, berichtet Christoph Karrasch von seinen Recherchen. Rimontis ungeschicktes Navi hätte ihn also auch in ein anderes Rom als das Morsbacher leiten können. „Die unglaubliche Geschichte des britischen Italieners hatte ich übrigens schon gelesen, als das Buch noch lange nicht in Sicht war.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Zwei Nächte verbringt der Kieler Journalist in Oberbergs kleinster Gemeinde. „Rom kam mir vor wie ein Freilichtmuseum“, sagt er heute. Denn natürlich führt ihn Christoph Buchen ans Hotel „Zum Römertal“ und erzählt ihm dort von der einst beliebten Sommerfrische und vom Papst von Rom: Der kauzige Hotelier Heinz Klein (im August 2018 mit 79 Jahren gestorben) hatte sogar Autogrammkarten, die er mit „Seine Scheinheiligkeit Heinrich III. von Rom“ signierte. Auch bringt Buchen den Reisenden zur Spanischen Treppe, an die Heinrich-Kapelle, an den Landeplatz für Hubschrauber und zur einzigen Ampel in ganz Morsbach. „Leider habe ich keine Römer kennengelernt“, bedauert Christoph Karrasch. Dass die etwas mehr als 50 Einwohner des Ortes wieder die traditionelle Weihnachtsfeier an der Kapelle organisieren, tröstet den Weltenbummler. Und weil Corona ihm damals weitere Reisen, etwa in den Osten Deutschlands, verboten hat, denkt er jetzt über eine Fortsetzung nach.

Christoph Karrasch: „San Francisco liegt am Rhein – Eine Weltreise durch Deutschland“, Ullstein Taschenbuch, 240 Seiten, zwölf Euro. www.christophkarrasch.de

KStA abonnieren