Häuser mit Geschichte(n)Wo in Waldbröl einst kräftig der Boden bebte

Lesezeit 5 Minuten
Der Ur-Waldbröler Reinhard Grüber steht an der Hochstraße vor dem früheren Hotel Althoff. Dieses und insbesondere der Festsaal in dem staatlichen Gebäude waren weit über die Grenzen der Marktstadt hinaus bekannt.

Reinhard Grüber verbindet viele schöne Geschichten mit dem früheren Hotel Althoff in Waldbröl. Dort hat er selbst viel Zeit verbracht - und oft auch zünftig gefeiert.

Einst war das Hotel Althoff in Waldbröl die Adresse schlechthin für jeden, der feiern oder einen zünftigen Frühschoppen genießen wollte.

Die Augen leuchten, Reinhard Grüber fährt sich mit der rechten Hand über den linken Arm. „Gänsehaut“, bekennt der 83 Jahre alte Ur-Waldbröler. Dann tippt er auf ein Schwarz-Weiß-Foto und auf einen jungen Mann mit gewellten Haaren. „Das da“, sagt Grüber. „Das bin ich.“ Entstanden ist das Foto wenige Meter entfernt von dort, wo er gerade sitzt: Der junge Grüber ist umringt von anderen Menschen, man steht am Tresen, das Bierglas in der Hand, man stößt an, trinkt zünftiges Germania oder vor allem Bielsteiner Pils.

Immer wieder sonntags und stets nach dem Kirchgang stand der junge Reinhard Grüber bei Althoffs Friedchen mit anderen jungen Männern am Tresen. Das war in Waldbröl Tradition. Kam einer nicht, war der wohl krank.

Immer wieder sonntags und stets nach dem Kirchgang stand Reinhard Grüber (r.) bei Althoffs Friedchen (l.) mit anderen jungen Männern am Tresen. Das war in Waldbröl Tradition (Repro).

Im Waldbröler Hotel Althoff geht es damals auch sonntags hoch her. „Wir konnten es kaum erwarten, nach dem Gottesdienst nach'm Althoff zum Frühschoppen zu kommen“, erinnert sich Grüber. „Und wer nicht zum Frühschoppen kam, der war krank.“ In jener Zeit aber muss die Gesundheit Waldbröls wohl bestens gewesen sein: „Wir standen fast in Sechserreihe am Tresen“, versichert Grüber.

Der alte Tresen steht heute noch in der Waldbröler Kult-Gaststätte

Den Tresen gibt es noch heute und auch das mächtige Haus an der Hochstraße, verschwunden aber ist seit dem Jahr 1969 das Hotel: Wo einst die Gäste schliefen, da sind nun Wohnungen. 1818 eröffnet ein Gastronom namens Lieven die stattliche Herberge und mit ihr im ersten Geschoss den „Saal Germania“.

1919 übernimmt Otto Althoff den Betrieb und bringt ihn zur Blüte, er vergrößert auch den Saal auf 300 Quadratmeter und eröffnet ihn feierlich am 22. August 1920. Fortan finden fast 500 Menschen darin Platz – im „Kaisersaal“, in Waldbröls guter Stube. Geblieben sind, nicht nur bei Reinhard Grüber, die Erinnerungen an rauschende Feste, krachende Karnevalssitzungen, Tanzstunden mit viel Flirterei.

Der Waldbröler Karneval hatte im Kaisersaal der Herberge seinen festen Platz. Bei solchen Festen bebte dort schon mal der Boden. Dort wurde gefeiert, geflirtet und gediegen getanzt.

Der Waldbröler Karneval hatte im Kaisersaal der Herberge seinen festen Platz. Bei solchen Festen bebte dort schon mal der Boden (Repro).

„Ich höre am Tresen noch immer viel davon“, verrät Ramazan Yildirim. Der 67-Jährige betreibt heute die Gaststätte „Zum Römer“ im Erdgeschoss des einstigen Hotels, er serviert internationale Speisen. Und das nicht zum ersten Mal: Von 1987 bis 1992 hat er das Lokal zum ersten Mal gepachtet, 2012 – „Oder 2013!“ – ist Yildirim zurückgekehrt. Und jetzt sitzt Reinhard Grüber an einem der Tische, breitet alte Fotos aus.

Dass es das stattliche Gebäude überhaupt noch gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Nachdem es lange Zeit leergestanden hat und 1983 schließlich in den Besitz einer Bank übergegangen ist, soll es der Abbruchbirne zum Opfer fallen. Das aber verhindern 1986 die Brüder Werner und Bernd Roth: Sie kaufen den Koloss mit einer Nutzfläche von rund 1400 Quadratmetern, investieren etwa 1,5 Millionen D-Mark und richten 1987 schließlich Wohnungen ein. „Ja, ich bin stolz, dass wir dieses Haus erhalten konnten“, betont Bernd Roth, damals 32 Jahre alt, heute 68. „Aber bis es so weit war, haben wir Dreck und Lehm gefressen.“

In der Waldbröler Herberge gab es ein Kino, Geschäfte und auch ein Zahnarzt hatte seine Praxis dort

Ein Kino ist einst ebenso unter dem Dach zu finden wie eine Disko, ein Café ist dort, ein Zahnarzt hat da seine Praxis, in einem Arkadengang gibt es Geschäfte. Die sind heute noch da. Immobilien-Mann Roth: „Wenn ich mich richtig erinnere, stehen die Kinosessel noch im Keller.“ Diese bewegte Zeit hat das frühere Hotel Althoff nicht immer gut überstanden: „Irgendwann waren dort belgische Soldaten einquartiert. Sie haben Schießübungen gemacht, es brannte“, schildert Unternehmer Roth.

In Waldbröl gilt Reinhard Grüber im Karneval 1962 als „Katastrophen-Prinz“

Der gelernte Kfz-Mechaniker und Fahrlehrer Reinhard Grüber hat ebenfalls etliche dunkle Bilder aus der finsteren Geschichte Deutschlands vor Augen, aber eben auch jene, die ihn strahlen lassen – zum Beispiel, als Helmut Rahn (1929–2003) trifft und Deutschland in Bern 1954 zum Weltmeister macht. „Da standen wir Jungs natürlich auch hier“, sagt Grüber. „Wir haben uns im Wintergarten um einen Mini-Fernseher geschart, dann lagen wir uns in den Armen.“

1962 ist Grüber dann Regent im Karneval – ist der „Katastrophen-Prinz“. Nicht, weil sein närrisches Talent so miserabel gewesen wäre. 1962 ist das Jahr, als Hamburg in einer Sturmflut untergeht und im saarländischen Luisenthal 299 Kumpel unter Tage ihr Leben verlieren. Reinhard Grüber: „Da gehörte es sich nicht, Karneval auf der Straße zu feiern, also blieben wir in Althoffs Saal.“ Er ist übrigens der erste Prinz, der in eine weiße Strumpfhose schlüpft, die ihm Stadtkämmerer Arthur Barth verordnet hat. Zu jener Zeit ist der Karneval höchstkatholisch, die Pfarrgemeinde St. Michael spendiert die Narrenkappe.

Damals nannte man den Kaisersaal in einem Atemzug mit dem Kölner Gürzenich

Vereine wie eben die KG Waldbröl oder der TuS 06 feiern im Kaisersaal ihre Feste, halten Sitzungen ab, laden zu Bällen ein, es wird Theater gespielt. Und für die Musikkapellen gibt es ein eigenes Podium. Grüber ist in vielen Vereinen Mitglied und ein Hans Dampf in allen Gassen sowieso. Eines seiner Fotos zeigt zum Beispiel die stramme Handballerriege des TuS in Frauenklamotten. Grüber ist überall dabei – auch, als im Hotel Althoff Tanzstunden stattfinden oder er bei einem Workshop im Wintergarten lernt, wie man eine NSU „Fox“ auseinanderschraubt und wieder zusammenbaut.

„Damals nannte man den Kaisersaal in einem Atemzug mit dem Kölner Gürzenich und dem Rheinhotel Dreesen in Bad Godesberg“, erzählt der Waldbröler und schwärmt von Althoffs Friedchen, der Seele des alten Gasthofs. „Wir hatten hier das Feinste vom Feinen, an Gemütlichkeit war das auch nicht zu überbieten“, sagt er – mit Stolz und auch Wehmut in der Stimme. „Wenn oben kräftig getanzt wurde, dann wackelte darunter die Decke“, berichtet der 83-Jährige. Das seien bestimmt drei bis vier Zentimeter gewesen. Und leise setzt Reinhard Grüber hinzu: „Wenn dieser Saal erzählen könnte – so mancher würde heute noch erröten.“

KStA abonnieren