„Die Schwächsten leiden in Krisen besonders“Der Andrang bei Bergisch Gladbacher Tafel ist groß

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Markus Kerkhoff, Jan Drouve, Tarik Areslan stehen vor Kisten mit Lebensmitteln.

Markus Kerkhoff, Jan Drouve und Tarik Areslan (v.l.) geben Essen an bedürftige Menschen aus Bergisch Gladbach aus.

Durch die Inflation wird das Geld bei vielen Menschen knapp. Immer mehr sind auf die Tafeln angewiesen. Auch in Bergisch Gladbach. So läuft ein Ausgabetag in der Kalkstraße ab.  

Menschen stehen vor der Tür der Bergisch Gladbacher Tafel, das Stimmengewirr hört man schon von Weitem. Die Schlange reicht fast bis zum Ende des Hinterhofs an der Kalkstraße. Die Kundinnen und Kunden sind in dicke Jacken, Schals und Mützen eingepackt, die Temperaturen liegen an diesem Dezembertag nur knapp über dem Gefrierpunkt. Sie müssen sich gedulden.

Der Andrang ist seit dem Ukraine-Krieg gestiegen. Insgesamt sind 12.905 Menschen aus Bergisch Gladbach bedürftig und knapp 1000 von ihnen holen sich aktuell wöchentlich gespendete Lebensmittel ab. „Zuerst kamen Geflüchtete. Und bei Menschen, die eh schon wenig haben, wurde das Geld durch Inflation und Preissteigerungen noch knapper“, berichtet Markus Kerckhoff vom Vorstand der Tafel Bergisch Gladbach. Dann kommt noch die Energiekrise dazu. „Mittlerweile können sich auch immer mehr Menschen am unteren Ende der Mittelschicht ihren Lebensunterhalt nicht mehr leisten.“

Noch kein Aufnahmestopp bei Gladbacher Tafel

Die Gladbacher Tafel musste bisher aber noch keinen Aufnahmestopp verhängen. „Wir sind damit echt in einer glücklichen Situation“, sagt Kerckhoff. Der Vorstand rechnet aber damit, dass der Zulauf in der nächsten Zeit noch steigen wird. Kinder rennen umher und spielen, während ihre Eltern in der Schlange die Stellung halten. Sie ziehen sich die Mützen tiefer ins Gesicht oder reiben die Hände aneinander, um sie zu wärmen.

Immer wieder fragen Neuankömmlinge: „Ist das P?“ Schnell wird klar: Das, was auf den ersten Blick wie ein Durcheinander wirkt, folgt einem etablierten System: Die Besucher sind in verschiedene Gruppen eingeteilt, die sich an der Größe des Haushalts orientieren. So wissen die Ehrenamtlichen, wie viel Lebensmittel sie ausgeben müssen und sie können Gedränge vermeiden. Schon bei der Ankunft sortieren sie sich in die Reihen mit dem Buchstaben ihrer Gruppe ein – die meisten kennen den Ablauf.

Bei der Bergisch Gladbacher Tafel wirkt alles gut eingespielt

Wenn ihre Gruppe an der Reihe ist, betreten die Kundinnen und Kunden das Gebäude und zeigen ihren Tafel-Ausweis vor. Anschließend geht es zur Ausgabe. In Regalen und in einer Auslage befinden sich die Lebensmittel, die an diesem Tag zur Verfügung stehen. Das meiste ist verderblich, es gibt aber auch Haltbares wie Nudeln oder Öl. Die Bedürftigen können den Helfern sagen, was sie gerne mitnehmen möchten.

Auf den ersten Blick wirkt der Betrieb etwas chaotisch. Menschen reden durcheinander, sie laufen vor der Auslage hin und her, gehen zu ihren Taschen, versuchen sich einen Weg zum Ausgang zu bahnen. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt aber auch hier: Die Ehrenamtlichen haben alles im Griff, sie arbeiten nach einem System, das sie sich über viele Jahre aufgebaut haben: Im hinteren Teil des Raumes werden die Lebensmittel begutachtet und sortiert.

Nachfüller packen die Ware in große Rollkisten und geben sie nach vorne an die Ausgabe. Hier verteilen die Mitarbeitenden die Lebensmittel an die Kundinnen und Kunden. Sie entscheiden anhand der Menge der vorrätigen Lebensmittel und der Gruppe, in die die Menschen eingeteilt sind, wie viele Lebensmittel sie an wen ausgeben.

Läden liefern weniger Ware an Bergisch Gladbacher Tafel

Auch die Geschäfte, die der Tafel Lebensmittel spenden, achten mehr auf ihre Ausgaben. So kommt hier weniger Ware an. „Trotzdem kommen wir gut klar“, sagt Kerckhoff. Viele Menschen würden Geld spenden, so dass sie haltbare Lebensmittel kaufen und einen Ausgleich schaffen könnten. Die freiwilligen Helfer hätten noch nie jemanden mit leeren Händen nach Hause schicken müssen.

„Es kann nicht sein, dass in einem reichen Land wie Deutschland so viele Menschen auf die Hilfe der Tafel angewiesen sind“, ärgert er sich. Besonders die Kinder- und Jugendarmut sieht Kerckhoff als großes Problem. Die Bundesregierung gab Anfang des Jahres an, dass jedes fünfte Kind in Deutschland armutsgefährdet ist. Kerckhoff findet, dass der Staat früher eingreifen und alles daran setzen müsse, dass Jugendliche ihren Abschluss machen. Mit einem Schulabbruch sei der „Grundstein für eine Karriere bei der Tafel gelegt“.

Es sind immer die Schwächsten, die in Krisen besonders leiden.
Nadine S., Tafelkundin

Das sehen auch Marie L. und Nadine S. (Namen geändert) so. Sie stehen in der Schlange für Ein-Personen-Haushalte und sind das erste Mal bei der Tafel Bergisch Gladbach. Die beiden sind nach einem Aufenthalt in einer Suchtklinik in die Kreisstadt gezogen.

„Es macht mich sehr traurig zu sehen, wie viele Kinder hier sind“, sagt S. Gerade deswegen sei sie froh, dass es Einrichtungen, wie die Tafel gibt, so könne wenigstens etwas geholfen werden. L. meint: „Alleine daran, was hier los ist, sieht man, was die gestiegenen Preise für viele Leute bedeuten.“ S. ergänzt: „Es sind immer die Schwächsten, die in Krisen besonders leiden. Ich glaube, das vergessen viele.“

Kritik am Konzept der Tafeln

Die Tafeln retten in ganz Deutschland im Jahr rund 265 000 Tonnen Lebensmittel und sichern so bundesweit über zwei Millionen Menschen einen Teil ihrer Mahlzeiten.Trotzdem stehen sie immer wieder in der Kritik. „Manche sagen, die Tafeln seien eine weitere Hängematte, auf der sich die Menschen ausruhen könnten“, erklärt Kerckhoff. Aber: „Keiner geht freiwillig zur Tafel. Das macht keinen Spaß“, meint er. Eine weitere Kritik lautet: Ehrenamtliche müssten die Fehler im System ausbügeln, die die Politik gemacht hat. Und die solle sie durch entsprechende Strukturen auch beheben.

Tarik Areslan war lange krank und auf die Unterstützung der Tafel angewiesen. Heute geht er wieder voll arbeiten und ist ehrenamtlicher Mitarbeiter bei der Tafel. „Ich möchte so helfen, wie mir geholfen wurde“, begründet er sein Engagement. Er lehnt gegen die Arbeitsplatte in der Küche der Tafel, die auch Aufenthaltsraum für die Mitarbeitenden ist. Er trägt Einmalhandschuhe, die er sich beim Reden abstreift.

Jeden Samstag hilft er aus, holt Lebensmittel bei den Läden ab und sortiert sie. „Mir hat das unglaublich gut getan. Alle waren herzlich und keiner war arrogant oder hat mich verurteilt“, erinnert er sich an die Zeit zurück, als er selbst Kunde war. Das möchte er heute zurückgeben. „Es gibt viele Menschen, die helfen wollen“, sagt er.

Tafel Bergisch Gladbach braucht Hilfe

Und die kann die Tafel gebrauchen: 30 Mitarbeitende werden pro Ausgabetag gebraucht, insgesamt arbeiten 120 Ehrenamtliche bei der Tafel Bergisch Gladbach. Die teilen sich die Aufgaben Verwaltung, Sortierung, Ausgabe und Fahrdienste. „Aber unser Motto ist: Jeder gibt, was er kann“, erklärt Kerckhoff.

Um dem Betrieb Stabilität zu geben, arbeitet die Tafel mit dem Bundesfreiwilligendienst zusammen. „Dadurch treffen Generationen aufeinander. Das tut allen gut“, erzählt Kerckhoff. Jan Drouve ist einer von den „Bufdis“. Die Stelle nutzt er zwar nur zur Überbrückung, dennoch macht ihm die Arbeit hier Spaß.

„Am liebsten fahre ich die Touren. Es ist immer wieder überraschend, was die Läden so abgeben“, sagt er. Das können noch lange haltbare Lebensmittel sein, aber auch Waren, die die Tafel selbst wegwerfen muss, weil sie über dem Mindesthaltbarkeitsdatum liegen oder vergammelt sind.

Weitere Infos über Öffnungszeiten und Möglichkeiten zu spenden oder mitzuarbeiten gibt es im Internet. 


So geht es den Tafeln im Rheinisch-Bergischen Kreis

  • Alle Tafeln im Kreis merken einen Anstieg der Kundschaft und bekommen gleichzeitig weniger Lebensmittel von den Geschäften geliefert. Das stellt alle vor Herausforderungen.
  • Overath „Bei uns sind sehr viele ältere Leute und junge Familien dazugekommen“, sagte Hildegard Schönenborn, Vorsitzende der Overather Tafel. Sie hätten aber auch das Glück, dass sie Neuzugänge nicht wegschicken müssten. „Viele Overather spenden uns Geld, von dem wir Lebensmittel kaufen können. Das hilft uns über die Zeit“, erklärte sie.
  • Rösrath Das geht aber nicht alllen Tafeln so: In Rösrath wurde ein Annahmestopp verhängt. „Trotz der unermüdlichen Anstrengungen des gesamten Mitarbeiterteams ist auch die Tafel Rösrath jetzt an ihre Kapazitätsgrenze gestoßen“, verkündete die Tafel im November. Zwar würden die Einwohner auch hier viel spenden, aber das seien trotzdem nicht genügend Lebensmittel, um noch mehr Leute aufzunehmen.
  • Kürten Auch in Kürten kann die Tafel keine Neuzugänge mehr aufnehmen. Es kommen weniger Lebensmittel an. Das, was fehlt, würde durch Spenden der Bürgerinnen und Bürger zwar aufgefangen, dennoch reiche es nicht, um noch mehr Menschen zu versorgen, teilte die Tafel Kürten mit. (abr)
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