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„Hier stehen 160 Existenzen auf dem Spiel“Isover-Mitarbeiter demonstrieren für Erhalt ihrer 220 Jobs in Bergisch Gladbach

Lesezeit 5 Minuten
IGBCE-Gewerkschaftssekretär Thomas John Dyer spricht vor dem Werkstor von Isover in Bergisch Gladbach zu Protestierenden.

Protest gegen die Streichung von 160 Stellen in Gladbach: Um 5 vor 12 Uhr eröffnet IGBCE-Gewerkschaftssekretär Thomas John Dyer den Protest vor dem Isover-Werkstor.

Mitarbeiter und Politiker kämpfen gegen Teilschließung der Isover-Dämmstofffabrik – Für manche ist es ein Déjà-vu, sie kamen von Zanders.

Süleymann Celik sieht angespannt aus, aber auch entschlossen. Seit 6 Uhr hat er am Morgen Tagschicht im Dämmstoffwerk von Saint Gobain Isover G+H. Jetzt, um fünf vor zwölf, steht er vor dem Werkstor, mit mehr als 100 Kollegen, Trillerpfeifen und Ratschen in der Hand. „Es geht um unsere Arbeit“, sagt der 57-Jährige. Seine Stimme stockt.

Süleymann Celik steht mit Sohn Armagan)von der Werkstor der Isover-Dämmstofffabrik in Bergisch Gladbach.

Zweite bittere Enttäuschung: Nach der Schließung der Papierfabrik Zanders fing Süleymann Celik (hier mit Sohn Armagan) bei Isover an: „Und jetzt das.“

Gewerkschaftssekretär Thomas John Dyer auf der neben dem Werkstor errichteten Bühne spricht von den 160 der 220 Arbeitsplätze, die Isover, wie berichtet, im Gladbacher Werk streichen und nach Speyer „verlagern“ will. 160 Mitarbeitende und Familien sehen damit ihre Existenz bedroht.

Vor vier Jahren bin ich von Zanders hierhergekommen. Ich hatte Hoffnung . . . und jetzt die zweite bittere Enttäuschung.
Süleymann Celik, Isover-Mitarbeiter steht erneut vor dem Aus

Für Süleymann Celik ein Déjà-vu: „Vor vier Jahren bin ich von Zanders hierhergekommen, als die Papierfabrik hier in Bergisch Gladbach geschlossen wurde“, sagt er. „Ich hatte Hoffnung, jetzt droht wieder ein bitteres Ende“, sagt Süleymann Celik traurig. Sein Sohn Armagan ist mit zur Demonstration gekommen, will sich wie die anderen vor dem Werkstor nicht mit der Konzernentscheidung, die Glaswolleproduktion der Werke Bergisch Gladbach und Speyer in Speyer zusammenzulegen, abfinden. Begründung des Unternehmens: Der Markt für diese Art von Dämmstoffen sei wegen der Einbrüche in der Baubranche zurückgegangen.

„Der Plan der Geschäftsführung bietet keine Perspektive für zukunftsorientiertes Wachstum, sondern ist ein Risiko für die Liefertreue des Unternehmens“, ruft der Gewerkschaftssekretär der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE), Thomas John Dyer, den Protestierenden vor dem Werkstor zu. Auch die Landtagsabgeordneten Tülay Durdu (SPD) und Martin Lucke (CDU), die Bergisch Gladbacher Bürgermeisterkandidaten Marcel Kreutz (SPD, Grüne) und Alexander Felsch (CDU, FDP) sowie SPD-Landratskandidat Robert Winkels haben sich mit weiteren Vertretern der Politik in die Reihen der Mitarbeitenden eingereiht.

GBCE-Gewerkschaftssekretär Thomas John Dyer, Iman Özmen, MdL Tülay Durdu (SPD), IGBCE-Bezirksleiter Armando Dente und MdL Martin Lucke (CDU) stehen auf einer Bühne und sprechen beziehungsweise klatschen.

Sprechen bei der Demonstrationskundgebung (v.r.): IGBCE-Gewerkschaftssekretär Thomas John Dyer, Iman Özmen, MdL Tülay Durdu (SPD), IGBCE-Bezirksleiter Armando Dente und MdL Martin Lucke (CDU).

„Ich weiß, wie sich Ohnmacht anfühlt“, sagt die SPD-Landtagsabgeordnete Tülay Durdu, die selbst viele Jahre Betriebsrätin war. Der „sozialpolitische Kahlschlag“ im Gladbacher Glaswollewerk, wie Durdu die Stellenstreichung nennt, folge nur einer „Profitlogik“. „Das darf so nicht passieren“, ruft sie den Protestierenden zu und versichert: „Ich werde diesen Kahlschlag in den Landtag bringen.“

Auch Landtagsabgeordnete stellen sich an die Seite der Protestierenden

Ihr Landtagskollege Martin Lucke von der CDU weist darauf hin, wie sehr das 1931 gegründete Glaswollewerk die Stadt „und unser Leben“ geprägt habe: „Die Glaswolle wird hier nicht nur produziert, sondern sie wurde auch hier erfunden“, erinnert Lucke: „Ich bin gerne bereit, mich für Sie einzusetzen“, verspricht Lucke. Mit der schleichenden Deindustrialisierung dürfe es so nicht weitergehen, so der Landtagsabgeordnete.

Klaus Hembach steht vor dem Werkstor von Isover in Bergisch Gladbach.

Klaus Hembach arbeitet seit 45 Jahren als Elektriker bei Isover in Bergisch Gladbach. Die Planung des Unternehmens 160 von 220 Arbeitsplätze abzubauen hat ihn komplett überrascht.

Nicht nur Süleymann Celik nickt. Auch Klaus Hembach hört genau hin. Der 60-Jährige aus Kürten-Bechen arbeitet seit 45 Jahren als Elektriker in der Bergisch Gladbacher Dämmstofffabrik. „Keiner weiß, wie es jetzt weitergeht.“

Wir waren fest davon ausgegangen, dass im Sommer die Schmelzwanne erneuert wird . . . Das jetzt hat uns komplett überrascht.
Klaus Hembach, seit 45 Jahren Elektriker in der Dämmstofffabrik

Die Ankündigung des Unternehmens, die Schmelzwanne, in der die Glaswolle hergestellt wird, nach dem lange geplanten achtwöchigen Stillstand ab dem 21. Juli nicht erneut hochzufahren, habe nicht nur ihn komplett überrascht, sagt Hembach. „Wir waren fest davon ausgegangen, dass die acht Wochen für die lange geplante und nun anstehende Erneuerung der Wanne genutzt werden würden“, sagt er und hält inne: „Seit zwei Jahren haben wir wegen der zurückgegangenen Nachfrage im Wechsel mit Speyer immer mal abgestellt, aber damit . . . hätte ich nun wirklich nicht gerechnet“, so der dreifache Familienvater.

Protestkundgebung gegen die Teilschließung des Isover-Dämmstoffwerks in Bergisch Gladbach.

Auch eine Reihe von Politikern erklärt sich mit den Demonstrierenden solidarisch.

„Das ist ein gravierender Fehler des Managements“, ruft Imam Özmen den Protestierenden von der Bühne aus zu. Die komplette Glaswolle-Produktion von Bergisch Gladbach nach Speyer zu verlagern, sei schon „technisch nicht umsetzbar“. Das Werk in Speyer sei „masseorientiert“, das in Bergisch Gladbach „kundenorientiert“, sagt der IGBCE-Vertreter, der zugleich Betriebsrat bei Isover ist. „Bergisch Gladbach ist das Versuchswerk, hier entsteht die Innovation, hierher kommt die Qualität. So ein Werk macht man doch nicht zu“, sagt er empört.

Unser Ziel ist es, alle 220 Arbeitsplätze hier in Bergisch Gladbach zu erhalten
Thomas John Dyer, Gewerkschaftssekretär der Region Köln/Bonn der Industriegewerkschaft Brgbau, Chemie, Energie (IGBCE)

Eine Teilschließung des Standorts Bergisch Gladbach, in dem, wie berichtet, künftig von noch 60 Mitarbeitenden ausschließlich noch Spezialdämmstoffe hergestellt werden sollen, stärke das Unternehmen nicht, sondern schwäche es, weil es beispielsweise kein „Backup “ mehr gebe für das Werk in Speyer, so Imam Özmen.

Demonstrierende halten beim „Aktionstag“ vor dem Isover-Standort in Bergisch Gladbach ein Transparent in den Händen, auf dem unter anderem steht: „Isover Management zerstört die Zukunft von 160 Familien in Bergisch Gladbach.“

Die Demonstrierenden sehen die Schuld für die aktuelle Misere vor allem beim Management.

„Unser Ziel ist es, alle 220 Arbeitsplätze hier in Bergisch Gladbach zu erhalten“, sichert Gewerkschaftssekretär Thomas John Dyer zu. „Wir kämpfen für jeden einzelnen Arbeitsplatz.“ Allerdings habe das Unternehmen noch nicht alle Zahlen auf den Tisch gelegt. Welche Zahlen noch fehlen, sagt er nicht.

Gewerkschaftler rät Belegschaft, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen

IGBCE-Bezirksleiter Armando Dente fordert zudem, dass sich die Geschäftsführerin selbst mit an den Verhandlungstisch setzen solle. „Seid sichtbar und lasst euch nicht gegeneinander ausspielen“, ruft er die Isover-Belegschaft auf, bei den 160 Arbeitsplätzen gehe es schließlich um 160 Existenzen, 160 Familien und 160 Geschichten von Menschen. Und zu den Politikern im Publikum: „Das sind 160 Existenzen, die auch zur Wertschöpfung in Bergisch Gladbach beitragen.“

Dabei ist auch dem Gewerkschafter noch bitter in Erinnerung: „Ein paar Steinwürfe von hier hat es vor vier Jahren nicht geklappt“, so Armando Dente mit Blick in Richtung Zanders-Gelände. „Fakt ist aber: Wer kämpft, kann verlieren. Aber wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Die Menge applaudiert. Auch Klaus Hembach und Süleymann Celik. Die Glaswolle in Gladbach darf nicht sterben. Das haben die Protestierenden an diesem Tag um buchstäblich fünf vor zwölf mehr als deutlich gemacht.