„Absolute Panik“Wie Alina Saraniuk den Einmarsch in Gladbachs Partnerstadt Butscha erlebte

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Alina Saraniuk hält ein großes Foto in der Hand. Auf dem Foto ist ein Mann zu sehen, der seinen auf der Straße erschossenen Vater findet.

Im September war Alina Saraniuk in Bergisch Gladbach und eröffnete eine Ausstellung mit Fotos aus dem befreiten Butscha. Sie dokumentiert die Verbrechen. Auf dem Foto ist ein Mann zu sehen, der seinen auf der Straße erschossenen Vater findet.

Die Menschen in Bergisch Gladbachs Partnerstadt Butscha fürchten neue Angriffe Russland am Jahrestags des Kriegsbeginns.

Kurz vor fünf Uhr morgens rief ihr Vater sie am 24. Februar an. Sie müsse sofort flüchten: „Alina, die Russen sind in der Stadt.“ Auf einem nahe gelegenen Flughafen seien russische Soldaten per Helikopter eingeflogen. Alina Saraniuk arbeitet heute im Bürgermeisterbüro von Butscha und berichtet per Video-Schalte über den ersten Tag des Überfalls und wie sie ihn in ihrer Heimatstadt erlebte.

„Ich habe natürlich mit einer Aktion von Russland gerechnet, die Medien waren ja voll mit Berichten, aber dass es einen Angriff auf Kiew, einen Angriff auf die gesamte Ukraine geben würde, damit habe ich nicht gerechnet.“ Sie habe ihrem Vater erst nicht geglaubt und gegoogelt. Ja, es war tatsächlich wahr. Seit 2014 habe die Ukraine sich faktisch im Kriegszustand mit Russland befunden – allerdings regional auf die östlichen Landesteile begrenzt.

Die Straßen waren total verstopft. An den Tankstellen gab es lange Staus, aber ich bin durchgekommen, in die westlichen Landesteile, in relative Sicherheit.
Alina Saraniuk, Ukrainierin aus Bergisch Gladbachs Partnerstadt Butscha

Nun griff Putin-Russland aber nach der ganzen Ukraine. Sie beschreibt ihre Gefühle heute so: „Das war absolute Panik.“ Das habe man zum Beispiel daran gesehen, was sie in ihren Koffer geschmissen habe. Völlig wahllos, unpassend. Mit dem Auto habe sie am 24. Februar die Stadt verlassen. Zusammen mit Freunden – und zusammen mit vielen anderen. „Die Straßen waren total verstopft. An den Tankstellen gab es lange Staus, aber ich bin durchgekommen, in die westlichen Landesteile, in relative Sicherheit.“ Über 20 Stunden dauerte die Fahrt – ihre Eltern blieben. Der Vater habe erst gemeint, man habe einen Keller und sei dort relativ sicher.

Am 2. März seien dann russische Panzer in der Stadt aufgetaucht und auch ihre Eltern seien geflohen. Mit dem Auto durch ein Waldgebiet. „Das Auto wurde von Kugeln durchsiebt, aber wie durch ein Wunder sind meine Eltern unverletzt geblieben“, erzählt Alina Saraniuk. Auch ihnen gelang in einem riesigen Durcheinander die Flucht. Ab dem 13. März sei niemand mehr aus Butscha herausgekommen und am 31. März zog die russische Armee aus Butscha ab.

Bilder aus Butscha gingen um die Welt

Kurz darauf gingen die Bilder der getöteten, gefolterten Menschen um die Welt. Im Augenblick ist die Lage in Butscha laut Alina Saraniuk relativ stabil. „Wir haben jetzt seit 14 Tagen durchgängig Strom.“ Sogar die Straßenbeleuchtung funktioniere wieder. Aber die Menschen hätten Angst vor dem Jahrestag. Es werden Raketenangriffe befürchtet und vielleicht auch der Start einer neuen Offensive.

„Es wäre wirklich der absolute Albtraum für uns, wenn die Russen noch einmal nach Butscha kommen.“ Und deshalb müsse dieser Krieg gewonnen werden. Ja, die Menschen in Butscha seien müde und hätten Angst. Aber sie hätten auch gelernt, mit der Angst zu leben und seien enger zusammengerückt. „Da ist nach dem 24. Februar ein neuer Zusammenhalt entstanden.“ Auf Butscha schaute inzwischen die ganze Welt. Vor dem Gespräch mit dieser Zeitung war Alina Saraniuk zusammen mit hochrangigen Politikern aus Italien und auch amerikanischen Kongressabgeordnete unterwegs.

„Das war natürlich alles am 24. Februar noch außerhalb jeder Vorstellung.“ Es seien so viele schrecklichen Verbrechen nach diesem Tag geschehen. Die Staatsanwaltschaft aus Kiew sei dabei, alles genau zu dokumentieren. Und die Schuldigen müssten zur Rechenschaft gezogen. „Wir werden nie wieder Freunde von Russland sein können.“

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