KarnevalWie unser Reporter den Gladbacher Zug aus ungewöhnlicher Perspektive erlebte

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Jecke rufen nach Kamelle.

Unser Autor fuhr beim Zug in Bergisch Gladbach auf dem Vorstandswagen mit.

Einblicke hinter die Kulissen: Unser Reporter für auf dem Vorstandswagen im Bergisch Gladbacher Karnevalszug mit.

Manchmal ist es schwerer, etwas loszuwerden, als etwas zu bekommen. Es wird schon dunkel, als wir auf die Zielgerade des Gladbacher Sonntagszugs einbiegen – und noch immer sind die Wurfkisten beim blutigen Anfänger gut gefüllt. Was dann auf die Jecken unten niederprasselt, hätten sie wohl im Traum nicht mehr zu hoffen gewagt. Finale eines beeindruckenden Einblicks in eine Karnevalistenperspektive, die am frühen Nachmittag mit einem ungewöhnlichen Gabelstapler-Einsatz begonnen hat.

Kurz vor zwei Uhr im Gewerbegebiet Zinkhütte. Die Spitze des Karnevalszugs ist bereits seit fast einer Stunde auf dem Weg, vor dem Karosseriebetrieb Theegarten wimmelt es noch von Rot-Weiß, steht eine mehr als 30-köpfige Schlange vor der Toilette an, die Wagen der Formationen der Großen Gladbacher KG kommen erst noch, Senator Bernd Theegarten hat seinen Betrieb als Hauptquartier für die Jecken zur Verfügung gestellt.

Ein Gabelstapler hebt den Präsidenten auf den Zochwagen.

Ein Gabelstapler hebt den Präsidenten auf den Zochwagen.

Präsident Alexander Pfister dankt tüchtig und begibt sich dann auf die Palette eines Gabelstaplers. Die steile Leiter zum Turm des Vorstandswagens kann er mit seinem zertrümmerten Schienbeinkopf diesmal unmöglich hochkraxeln. Der Gabelstapler hievt den Präsidenten auf den Wagen. Die umstehenden Rot-Weißen applaudieren.

Bergisch Gladbachs Wahlamtsleiter Frank Bodengesser ist ebenso in der Fußgruppe dabei wie Feuerwehrchef Jörg Köhler mit seiner Familie. Sie wissen, wie Jecke sich ihr Wurfmaterial einladen. Etwas, das ich erst noch lernen muss. Erstmal aufatmen: Der Präsident ist wohlbehalten auf dem Turm des Wagens angekommen. „Paul hat alles gegeben“, zeichnet er erstmals den guten Geist des Festwagens aus.

Ein Blick in die Menge in Bergisch Gladbach.

Die Bergischer Gladbacher Jecken feierten den Zug nach drei Jahren Pause.

Bereits zehn Jahre sorgt Paul Winands dafür, dass der Nachschub aus den Untiefen des Festwagens die Wurfkisten an der Reling erreicht, die Wagenengel auf ihren Plätzen sind und der Wagen sicher rollt. Auf dem Turm geht dem diesmal gehandicapten Präsidenten Sarah Strauß beim Nachfüllen der Wurfkisten zur Hand. „Das Gronauer Wirtshaus ist ungefähr ein Viertel des Zugwegs“, klärt Präsident Pfister mich und Filius Moritz auf: „Nur damit ihr auch bis zum Ende Wurfmaterial habt . . .“ Das soll kein Problem werden.

Noch Hundert Meter bis zum Zugstart. Die Strunde-Pänz vor uns halten Schilder in Richtung Vorstandswagen in die Höhe. „Danke“ steht darauf. „Wir danken euch“, antwortet Präsident Pfister übers Mirko. „Was wären wir ohne euch.“ Und zu uns: „Es braucht Hunderte Menschen, die sich engagieren, von den Helfern, Wagenengeln und Zugordnern bis zu Rettungsdiensten, Feuerwehr, Müllabfuhr und Straßenreinigung, damit der Zoch so laufen kann und wir hier oben werfen können.“

Die Karnevalisten prosten auf dem Wagen unserem Reporter zu.

Auf den Zoch: Einmal kurz anstoßen, dann beginnt die wundervolle Arbeit des Werfens von Schokoriegeln, Weingummis und Schokolade.

Endlich: Der Zugstart an der Einmündung der Senefelder Straße auf die Richard-Zanders-Straße ist erreicht. Prinz, Bauer und Jungfrau stehen mit ihren Wagen noch am Rand und lassen den Zug an sich vorbeiziehen. Alexander Pfister grüßt und dankt mit Konfettiregen. Schließlich kommen die drei aus seiner Gesellschaft, ist die Jungfrau gar mit ihm verheiratet.

Lange reden ist jetzt nicht mehr. Vor uns öffnet sich das Meer der Jecken. „Bei großen Sachen wie Schokoladentafeln am besten erst Blickkontakt suchen und dann gezielt werfen“, rät einer den Neulingen an Bord. Auch Große-Gladbacher-Geschäftsführer Gisbert Schweizer ist ein erfahrener Hase, weiß genau, wo welcher seiner Bekannten steht. Mir wird erstmal klar, dass es tatsächlich sinnvoll ist, sich am Straßenrand mit Kamelle- oder Strüßjer-Rufen bemerkbar zu machen. Denn von hier oben verschwimmen alle Jecken schnell zu einem bunt kostümierten Meer.

Das Eikamper Frauendreigestirn sendete Handküsse.

Eikamps Freuendreigestirn fing Großpackungen Taschentücher.

Und nicht jeder hat eine Tribüne wie die Flöckchen, die uns vor der Versicherungsagentur Großbach & Kollegen über eine Lautsprecheranlage begrüßen. Etwas weiter steht das Oberodenthaler Dreigestirn – eine Tafel Schokolade findet die passende Flugbahn. Auch die Voiswinkeler und Bechener Tollitäten sehen wir später. „Nicht auf die Autooos“, ruft Präsident Pfister seinen Wagenkollegen zu und deutet auf die Autos vom DRK-Pflegedienst am Straßenrand. „Sonst muss ich die Dellen nachher bezahlen“, so der Oberjeck, der hauptberuflich als Buchhalter beim Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes arbeitet.

„Guiiido“, tönt’s hinterm Gronauer Wirtshaus. Es braucht einen Moment, bis ich Express-Kollege Bastian Ebel und die Labbese Michael Niesen und Bernd Kierdorf im jecken Jewöhl ausfindig mache. Dann: Blickkontakt, zielen, werfen, winken. Läuft. Von Albert Heider auf dem Vorstandswagen kann man noch einiges lernen: Wenn er jemand Bekanntes am Straßenrand sieht, dann hagelt’s Wurfmaterial, wenn’s gezielt den Empfänger nicht erreicht, notfalls auch als „Streuabwurf“. Ich versuche es gezielt – was sich noch rächen soll.

Kamelleeeee: Alexander Pfister wirft am Rathaus in die Menge.

Kamelleeeee: Alexander Pfister wirft am Rathaus in die Menge.

An der unteren Hauptstraße drängen sich falsch herum aufgespannte Regenschirme. Ein Leichtes wäre es, da hineinzutreffen. Wir tun’s nicht. Mit Hilfen den umstehenden den Kammelleregen abzugreifen, ist nicht die feine Art.

Noch einmal Kartonagen in die vom Abfallwirtschaftsbetrieb neben dem Zugweg bereitgestellten Container abwerfen – dann geht’s in die Fußgängerzone. Jetzt heißt, gucken, hören und werfen, was das Zeug hält. Am Konrad-Adenauer-Platz sitzen Feuerwehrleute auf ihrer Drehleiter. Der Präsident dankt ihnen für ihren Einsatz. Ebenso wie den Polizisten, Rettungskräften und anderen Helfern, die wir unterwegs sehen.

Jetzt sieht uns erstmal Kommentator Martin Hardenacke vom Rathausfenster aus, stellt die Wagenbesatzung der Prominenz auf der Rathaustreppe vor. Dreimal Alaaf. Die Jecken auf der anderen Seite johlen. Stimmt, wir haben ja noch was zu tun.

Im Strundorf entdeckt Moritz seinen Freund Konrad. Ich fotografiere das wilde Treiben, bis beim Nachfüllen der Wurfkästen irgendwann die Kamera unter Schokoriegeln vergraben wird. Präsident Alexander meint, wir müssten dringend die Wurffrequenz erhöhen. Tun wir. Irgendwo im jecken Jewöhl der oberen Hauptstraße sehe ich das Eikamper Frauendreigestirn. Unsere Gelegenheit: Alle drei haben große Familien.

Sie bekommen jede eine unausgepackte Großpackung Papiertaschentücher. Lässt sich gut werfen, erreicht zuverlässig die Zielpersonen und wird bestimmt Verwendung finden. Während die anderen bereits ihre Wurfkästen ausputzen, greifen Moritz und ich noch in die Vollen. Die Jecken freut der Regen und auch, dass es bei uns auch 20 Meter vor Zugende noch Strüßjer gibt. Manchmal sind doch auch Zoch-Anfänger für etwas gut . . .

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