StädtepartnerschaftBergisch Gladbacher bringen Konvoi der Hoffnung ins Kriegsland

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Menschen mit Fahnen stehen am Abend vor einem Linienbus.

Mit Jubel empfangen: Zwei Linienbusse und drei Lastzüge mit Hilfsgütern für Schulen und Feuerwehr hat der Bergisch Gladbacher Konvoi nach Butscha gebracht.

Bergisch Gladbacher Hilfskonvoi bringt Ausstattung für zerschossene Schulen und Busse für eine mögliche erneute Evakuierung nach Butscha

Zerschossene Häuser und eine Kolonne ausgebrannter Panzer an der Straße von Butscha nach Kiew sind gerade passiert, da scheint die Welt wie ausgewechselt: Auf dem Baubetriebshof von Butscha Service werden die Fahrer der drei Lastzüge, zweier gespendeter Linienbusse und des Feuerwehr-Begleitfahrzeugs von Blasmusik und klatschenden Einheimischen empfangen. Eine Kapelle spielt „O du lieber Augustin“ und „When the saints go marching in“.

Frauen mit Schleifen in den Haaren empfangen klatschend den Hilfskonvoi aus Bergisch Gladbach.

Frenetischer Empfang für den Gladbacher Hilfstransport in der ukrainischen Partnerstadt Butscha.

„Unser kleines Oktoberfest für euch“, sagt Deutschlehrerin Tanja Rybakova, die jüngst noch mit einer Schülergruppe aus Butscha zu Besuch in Bergisch Gladbach war. Ob die Musiker die Lieder sonst auch spielen? Tanja Rybakova schüttelt den Kopf: „Nur für heute Abend eingeübt.“ Dann umarmt sie wie Alina Seraniuk von der Stabsstelle für internationale Beziehungen der Stadtverwaltung Butscha einen Fahrer nach dem anderen.

Viele haben nach dem russischen Angriff und den Massakern in Butscha Kontakt zu uns gesucht, aber ihr seid gekommen und kommt immer wieder
Anatolii Fedoruk, Bürgermeister von Butscha, zu den Hilfskonvoifahrern aus Bergisch Gladbach

Längst sind die Partner und Hilfstransporteure aus Bergisch Gladbach Freunde geworden. Beinah noch mehr als die Hilfsgüter, die sie in 48 Stunden über 2000 Kilometer in die ukrainische Partnerstadt gebracht haben, bedeutet den dortigen Bewohnern der persönliche Kontakt. In einer Zeit, in der sich der verschärfte russische Angriffskrieg schon über mehr als anderthalb Jahre hinzieht und zwischenzeitlich der Krieg in Nahost die öffentliche Wahrnehmung rund um den Globus dominiert, haben die Bergisch Gladbacher die Menschen in der Ukraine nicht vergessen.

Drei Menschen halten einen Karton mit Stricktieren in den Händen.

Stricktiere: Lehrerin Tanja Rybakova, Butschas Bürgermeister Anatolii Fedoruk und Bergisch Gladbachs Feuerwehrchef Jörg Köhler (von links) mit Strickkuscheltieren aus Bergisch Gladbach für Kinder in Butscha.

„Viele haben nach dem russischen Angriff und den Massakern in Butscha Kontakt zu uns gesucht, aber ihr seid gekommen und kommt immer wieder“, sagt Butschas Bürgermeister Anatolij Fedoruk wenig später zwischen den teils auch aus Gladbach stammenden Baufahrzeugen. Mit denen haben seine Leute die von den russischen Angreifern vielfach sehr gezielt zerstörte Infrastruktur von der Wasser- bis zur Energie- und Nahwärmeversorgung in Butscha zum großen Teil bereits wieder aufgebaut.

Busse sind die Lebensversicherung für die Bewohner von Butscha

Dabei ist die scheinbare Normalität, die sich die Menschen in der Stadt Stück für Stück zurückerobert haben, bedroht – nicht nur durch die regelmäßigen Luftangriffe, die glücklicherweise zum Großteil von der Luftabwehr abgefangen werden, trotzdem immer wieder Tote und Verletzte fordern. „Wir müssen jetzt zwei der Busse, die ihr gebracht habt, ans Militär abgeben“, sagt Alina Saraniuk. Damit werden nicht nur die im Mai neu eröffneten Busverbindungen von Butscha ins Umland bedient, die die Stadt mit der Hilfe aus Deutschland wieder eingerichtet hatte, nachdem die russischen Besatzer sämtliche vorhandenen Busse zerstört oder beim Abzug mitgenommen hatten.

Zwei Linienbusse stehen in einer Reihe auf einem Autobahnparkplatz in Polen – auf dem Weg in die Ukraine.

Auch zwei Linienbusse brachte der jüngste Hilfskonvoi in die ukrainische Partnerstadt von Bergisch Gladbach.

„Die Busse sind auch wichtig, falls wir die Stadt noch einmal evakuieren müssen“, sagt Bürgermeister Anatolij Fedoruk. „Sie geben unserer Bevölkerung ein Stück Sicherheit, dass wir sie im Notfall von hier wegbringen können.“ Butscha ist damit auch Vorbild für umliegende Gemeinden. Die belarussische Grenze, über die die russischen Truppen im Februar 2022 Richtung Kiew vorgerückt waren und dann in Butscha die heute weltweit bekannten Gräuel unter der Zivilbevölkerung verübt hatten, ist nicht mal 100 Kilometer von Butscha entfernt.

Grüße von Bergisch Gladbachs Bürgermeister aus New York

„Ich weiß leider noch zu gut, wie Butscha nach dem Abzug der russischen Truppen aussah“, erinnert sich Gladbachs Feuerwehrchef Jörg Köhler am Abend an den ersten Besuch mit Bürgermeister Frank Stein im Frühsommer 2022 in der ukrainischen Stadt. Nun sendet Frank Stein Grüße aus New York nach Butscha, bedauert, dass er wegen eines lang geplanten Marathons nicht mit in die Partnerstadt fahren konnte.


Hilfe im 7. Konvoi

Der siebte Bergisch Gladbacher Hilfskonvoi für die ukrainische Partnerstadt Butscha transportierte unter anderem: 

  • 2 Busse für den Nahverkehr in Butscha und eine eventuelle erneute Evakuierung der Stadt.
  • 1 Krankenwagen, um Verwundete von der Front zu holen
  • 1 Feuerwehrfahrzeug für die lokalen Retter
  • Stühle, Tische, Elektronische Tafeln und zwei komplette Spielplätze für die Ausstattung von sechs Schulklassen durch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
  • Mehrere Tonnen Fliesen, Fliesenkleber und Silikon für den Wiederaufbau

„Es ist unglaublich, wie die Menschen das hier in so kurzer Zeit wieder aufgebaut haben“, zollt Timo Stein, der den Konvoi organisatorisch vorbereitet hat, dem Wiederaufbauwillen der Bewohner Respekt. Wenige Stunden nach der Konvoiankunft laden er und Niklas Habers gemeinsam mit Butscha-Service-Mitarbeitern, Schülern, Lehrern und Eltern bereits die Klasseneinrichtungen aus, die mit Hilfe der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beschafft werden konnten.

Hilfskonvoifahrer aus Bergisch Gladbach sitzen in einem neu eingerichteten Klassenraum in Butscha.

Elektronische Tafeln und Schulmöbel werden in Butscha abgeladen und damit Klassenräume eingerichtet, die von den russischen Besatzern teils schwer beschädigt worden waren.

Wenig später sind mehrere Klassenräume von zwei Schulen eingerichtet, in denen die russischen Besatzer teils wahllos auf elektronische Tafeln und Einrichtung geschossen, elektronische Geräte zusammengetragen und zerstört hatten.

Wir wollen es den Schülern so schön wie möglich machen – auch wenn das im Krieg schwer ist.
Tanja Rybakova, Lehrerin in Butscha

Nun sind die Wände bunt angemalt, vor allem dort, wo es in die neu eingerichteten Luftschutzbunker in den Kellern geht. „Wir wollen es den Schülern so schön wie möglich machen – auch wenn das im Krieg schwer ist“, sagt Lehrerin Tanja Rybakova.

Ein Mann schaut sich Kinderbilder an, die in einem Luftschutzraum unter einer Schule im ukrainischen Butscha an der Wand hängen. Auf einem Bild sind Panzer zu sehen, auf einem anderen eine Katze.

Im Luftschutzraum unter der Schule hängen Bilder an der Wand: Kinder haben Katzen, Blumenwiesen und Panzer gemalt – Alltag in Butscha.

Die Hilfskonvoifahrer beschleicht dennoch ein bedrückendes Gefühl, als sie in die Luftschutzräume hinabsteigen, in denen bis zu 250 Schüler dicht an dicht bei Luftalarm Unterricht haben. Feuerwehrchef Köhler überreicht eine Kiste mit blau-gelben Kuscheltieren, die Frauen aus Bergisch Gladbach für die Kinder in Butscha gestrickt haben. Ein wenig mehr Farbe im Alltag, der auch im Unterricht vom Krieg geprägt ist, wie Schulleiter Swjatoslaw Katan den Besuchern zeigt: Mit Attrappen von Handgranaten und Minen werden die Kinder auf die überall noch lauernden Gefahren hingewiesen, lernen mit Gasmasken, wie man sich bei einem Angriff schützen kann.

Tanja Rybakova hält ihr Handy in die Höhe, auf dessen Bildschirm ihr Mann in einem Videotelefonat zu sehen ist.

Videoanruf von der Front bei Bachmut: Seit Monaten war Tanja Rybakovas Mann nicht mehr daheim in Butscha – einige Angriffe überlebte er nur knapp.

Lehrerin Tanja Rybakova betont, wie wichtig der Besuch der Kinder aus Butscha in Bergisch Gladbach war. Gemeinsam mit Lehrer Andreas Ruigk von der Integrierten Gesamtschule Paffrath, der mit dem Hilfskonvoi nach Butscha gefahren ist, plant sie weitere Begegnungen fürs nächste Jahr.

Videoanruf von der Front bewegt bergische Hilfskonvoifahrer nachhaltig

Als ihr Handy klingelt, wird es ganz still unter den Hilfstransporteuren: Ihr Mann meldet sich per Videotelefonat aus Bachmut, wo er seit mehr als einem Jahr als leitender Militär im Einsatz ist, mehr als einmal nur knapp dem Tod entkam. Ruhig dankt er den Bergisch Gladbachern für ihre Hilfe. Seine Frau hofft, dass er wenigstens zum Geburtstag des Sohnes in der kommenden Woche kurz nach Hause kommen kann. Die Kinder haben ihren Vater schon seit Monaten nicht mehr persönlich gesehen.

Eine Begegnung mehr, die die Bergisch Gladbacher Konvoifahrer tief bewegt – und auf der Rückfahrt selbst die lange Wartezeit an der Grenze in die EU irgendwie ein bisschen relativiert. Auch die immer wieder veränderte und Hilfskonvois erschwerende Grenzabfertigung, wird nicht verhindern können, dass auch künftig Hilfe von Bergisch Gladbach nach Butscha gebracht werden wird – darin sind sich die Fahrer auch nach dem siebten Hilfskonvoi einig.


Partnerschaftsverein braucht Hilfe

Für weitere Hilfstransporte ist der Städtepartnerschaftsverein Bergisch Gladbach – Butscha dringend auf weitere Unterstützung und Spenden angewiesen. Infos gibt's auf der Internetseite des Städtepartnerschaftsvereins.

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