85 JahreBergisch Gladbacher gedenken Opfern des 9. Novembers und der Hamas

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Schülerinnen und Schüler stehen auf einer Bühne.

Beiträge von Jugendlichen des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums zu Janusz Korczak.

Organisator Roman Salyutov bedauert, dass jüdische Menschen heute wieder in Gefahr sind.

Nicht nur ein mahnendes Zeichen anlässlich der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 setzt der Pianist und Leiter des Sinfonieorchesters Bergisch Gladbach, Roman Salyutov, bei der Veranstaltung im Bergischen Löwen.

„85 Jahre später sind wieder jüdische Mitbürger in Gefahr — das Geopolitische überträgt sich auch auf unsere Straße“, stellt er zu Beginn warnend in den Raum und schlägt damit die Brücke zu dem entsetzlichen Angriff der palästinensischen Hamas am 7. Oktober auf Israel, mit einer gewissen Resignation: „Die Menschen haben noch nie eine Lehre aus der Geschichte der Menschen gezogen.“

Gedenken zum 9. November

Am 9. November 1938 haben die Nazis in ganz Deutschland Synagogen zerstört, in Brand gesteckt und Bücher verbrannt — dies war der Beginn der Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Menschen.

Salyutov zieht Parallelen zu dem Wüten der Terrororganisation, bei dem mehr als 1400 Menschen getötet und mehr als 240 Menschen als Geiseln verschleppt wurden, darunter 15 Kinder, das jüngste ist neun Monate alt — eine Videoaufzeichnung aus der Luft zeigt das Ausmaß: Total zerstörte Kibbuzim, das Gelände des Nova-Festivals mit vielen Toten — das Video ist ohne Ton, es herrscht absolute, betroffene Stille im Saal.

Eine Ausstellung von Itzhak Belfer.

Eine Ausstellung von Itzhak Belfer.

Später werden Fotoporträts von den entführten Kindern gezeigt, mit Namen und Alter — sie blicken offen und fröhlich in die Kamera. Doch sie werden traumatisiert aus ihrer Geiselhaft zurückkehren. Und nicht nur sie: „Es ist eine ganze Generation nachhaltig traumatisiert“, sagt Salyutov bei dem Gedenken an die Kinder.

Am Schluss der beeindruckenden Veranstaltung fordert er jeden Einzelnen der Besucher auf, eine innere Verbindung zu einem der Kinder zu finden und zu gedenken. So wie der israelische Junge, der ein Foto von einem ihm unbekannten Soldaten bei sich trägt und jeden Tag an ihn denkt: „Ich bete jeden Tag für ihn — er kämpft für mich, für unsere Freiheit, im Ghazastreifen.“

Trauer um Opfer der Hamas 

Petra Hemming vom Ganey-Tikva-Verein gelingt es, zusammen mit Saluytovs Frau Felice Bauer, eine Videoschalte nach Israel aufzubauen — zu Efrat Machikowa, die im Kibbuz Nir Oz lebt, in dem 140 der 400 Einwohner von den Hamas-Terroristen ermordet oder entführt wurden. „50 Familien sind vorübergehend im Nachbarort untergebracht — wir sammeln Geld, damit sie bald wieder ein Zuhause bekommen“, berichtet Efrat Machikowa, die auch die 18-jährige Bekel vorstellt, die auf der Viola eine Partita von Bach spielt für das ferne Publikum in Deutschland. Ihre Mutter wurde entführt, der Vater getötet, mit drei kleinen Brüdern ist sie in ein Hotel geflüchtet.

Petra Hemming ist sehr vertraut mit diesen Menschen, äußert die Hoffnung, sie bald in Bergisch Gladbach empfangen zu können. Die Spenden, die bei der Veranstaltung im Bergischen Löwen gesammelt werden, sollen diesen Menschen für den Aufbau zugutekommen.

Eine Videoschalte nach Israel zu Efrat Machikowa.

Eine Videoschalte nach Israel zu Efrat Machikowa.

Doch es gibt auch ein Gedenken an einen Menschen, der unter der Naziherrschaft im Warschauer Ghetto für 85 Kinder ein Waisenhaus eingerichtet hat und sie 1942 freiwillig in den Tod in der Gaskammer begleitet hat: Janusz Korczak, Arzt und Pionier in der Kinderpädagogik — in einer Zeit, als Kinder keine Rechte hatten und auf Gehorsam gedrillt wurden. Zwölf Schüler des Pädagogik-Leistungskurses Q2 im Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium tragen jeweils zu zweit das Konzept der „Pädagogik der Liebe“ von Janusz Korczak vor, das der jüdische Pole in seinem Waisenhaus umsetzte und vorlebte: Liebe, Warmherzigkeit, Vertrauen, Kameradschaft — das Eingehen auf das Kind, es eigene Ziele verfolgen und Meinungen entwickeln lassen. Seine „Magna Charta Libertatis“ ist noch heute Vorbild in der modernen Erziehung.

Musiker spielen Gustav Mahlers „Kindertotenlieder“, vorgetragen von Ruth Theresa Fiedler.

Musiker spielen Gustav Mahlers „Kindertotenlieder“, vorgetragen von Ruth Theresa Fiedler.

Für die jungen Menschen aus Bergisch Gladbach ist es eine besondere Erfahrung, den Spuren der Vergangenheit nachzuspüren — Freiheit und Liebe sind eben keine Selbstverständlichheit, sie müssen immer wieder ins Bewusstsein gerückt werden.

Am Ende des Theatersaals können sich die Besucher auf eine Ausstellung mit den eindrucksvollen Werken von Itzhak Belfer über das Leben des Janusz Korczak einlassen: Als Kind fand er in dessen Waisenhaus ein neues Zuhause, er setzte seine Erinnerungen in Kunstwerke von emotionaler Tiefe um.

Zum Schluss der Veranstaltung noch ein weiterer Höhepunkt: In tiefer Melancholie singt die Rösrather Sopranistin Ruth Theresa Fiedler Gustav Mahlers Zyklus „Kindertotenlieder“, begleitet von Pianist Roman Salyutov, Oboistin Agnes Grube und Hornist Yoichi Murakami. Im Sommer hat Fiedler als Mutter dreier Kinder noch gezögert, sich auf diesen bedrückenden Liederzyklus einzulassen.

Im Bergischen Löwen interpretiert sie zum ersten Mal diese Kompositionen, die von tiefer Melancholie und Verzweiflung durchdrungen sind, zum Schluss bleibt nur die Vorstellung vom Wiedersehen im Jenseits. Nicht nur die Sopranistin, sondern auch die Besucher sind nach diesem Beitrag sichtlich gerührt und gezeichnet. Der Abend hat zu tiefer Nachdenklichkeit geführt.

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