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PorträtIn aller Ruhe zum perfekten Geschmack

Lesezeit 5 Minuten

Roman Bedzinski in seinem Laden "Geschänke", in dem er feinste Öle verkauft.

Bergisch Gladbach – Auf den ersten Blick sieht es aus wie in einem Chemielabor aus längst vergangenen Zeiten: Auf dicken Holzregalen reihen sich dutzende Glasbehälter, in schlanken Flaschen und bauchigen Ballons schimmern Flüssigkeiten in Bronze, Bernstein oder Honiggelb. Der Aufbau wirkt wie eine harmonische Versuchsreihe – wäre da nicht jenes eine Regal, in dem blutrote und neonblaue Wässerchen das Handwerk eines Giftmischers vermuten lassen.

Doch natürlich ist alles ganz anders. Zwar ist nicht alles Essig, was Roman Bedzinski in seinem Laden „Geschänke“ an der Refrather Dolmanstraße in Flaschen hält, aber vieles. Das andere sind Öle, Liköre oder Schnäpse. In einem früheren Leben war Bedzinski Kfz-Mechaniker und Fernfahrer. Immer unterwegs, immer im Zeitdruck, immer im Stress. Jetzt ist alles anders. Sein letzter Ölwechsel war der vom Motoröl gegen jene aus Traubenkernen und Bio-Oliven, und mit der Feinmotorik des Mechanikers zieht er heute behutsam Schleifen um Geschenkpapier. Statt mit ständigem Blick auf Tacho und Uhr tausende Kilometer abzureißen hat Roman Bedzinski die Langsamkeit für sich entdeckt.

„Auf die Schnelle geht das hier nicht“, sagt er. „Man braucht Zeit zum Auswählen und man braucht Zeit zum Genießen.“ Auswählen heißt, dass er weiße Porzellanschälchen und kleine Gläser auf den Tisch stellt, Brot bereitlegt und aus den Glasflaschen kleine Portionen abzapft. Ein bisschen vom Walnuss-Öl, ein Schlückchen Granatapfel-Essig, ein paar Tropfen 20-jährigen Balsamico. Alles bereit zur Öl- und Essigprobe. „Wenn man unerfahren ist, denkt man, Essig sei nur Säure und habe keine tiefere Dimension“, sagt Bedzinski. Doch heute sei das „eine ganz andere Welt.“

Zur Essig- und Ölkultur gehöre allem voran die unbedingte Qualität. „Das Rezept kann noch so gut sein“, erklärt er, „ohne gute Produkte nutzt das alles nichts.“ Sein Vater war Koch. Die Freude am Kochen hat Roman Bedzinski entweder geerbt, oder sie hat sich beim Helfen im elterlichen Betrieb eingefunden. Was er dort nicht über Essig und Öl gelernt hat, hat er sich angelesen oder ausprobiert. Seinen Erdbeer-Limes stellt er in der eigenen Küche inzwischen selbst her. „Immer nur wenig, drei Liter, damit er immer frisch ist.“

Während die Kunden Weißbrot in Essig tunken, erzählt er über die ganz besonderen Säfte in seinen Flaschen. Zum Beispiel, dass es allein in Spanien 800 Sorten Oliven gebe, und dass Dattelessig wegen der geringen Säure rechtlich gesehen gar kein Essig sei. Oder dass der Begriff „Balsamico Tradizionale di Modena“ geschützt sei und der Essig nicht nur aus der Region um das italienische Modena stammen, sondern auch eine ganz spezielle Art der Herstellung erfahren haben muss – mindestens zwölf Jahre gereift, eingedickt in Holzfässern. „Je älter, desto besser. Eine Köstlichkeit, das ist wie ein guter Wein“, sagt Bedzinski. Beim Schwenken der Probe überzieht der tiefdunkle Essig die Wand des Glases wie Sirup.

„Ein Sommersalat braucht mit der perfekten Öl-Essig-Kombination kaum mehr Gewürze“, erklärt der Hobbykoch. Aber Essig sei bei weitem nicht nur für Salate da. Dattelessig mache sich etwa prächtig auf Vanilleeis oder im Obstsalat, eingedickter Fruchtessig gebe dem Thunfisch-Carpaccio den letzten Schliff, und pur gäben Öl und Essig einen guten Dip für Baguette ab. Wenn er seine Kunden auffordert, ein Gläschen Essig zu trinken, erntet er nicht selten Skepsis. Essig trinken? „Manche kann man trinken wie einen Likör“, sagt Bedzinski. Als Aperitif empfiehlt er Balsam-Essig mit Prosecco und zum Frühstück ein paar Tropfen in Wasser als gesundes und preiswertes Erfrischungsgetränk. „Das regt den Stoffwechsel an – ein besserer Muntermacher als Kaffee“, erklärt er.

Wochen verbringt Roman Bedzinski damit, neue Produkte auszuwählen, zu probieren, andere probieren zu lassen, um schließlich sein Sortiment wieder um einen Sherry-Essig oder ein Olivenöl von einem kleinen griechischen Landwirt zu erweitern. Tagelang haben er und seine Tochter Margarete die Fläschchen ausgesucht, in denen die Kunden ihre auserwählten Tröpfchen mit nach Hause nehmen können. Ab bescheidenen 50 Millilitern geht das. „Das ist wie an der Käsetheke – erst mal zwei Scheiben probieren, und wenn es schmeckt, nachkaufen“, sagt Margarete Bedzinski. „Trüffelöl will man vielleicht nur zweimal im Jahr haben, oder wenn Besuch kommt, aber doch keine ganze Flasche“, ergänzt ihr Vater.

In geschwungener Handschrift hat er alle seine Glasbehälter selbst beschriftet: Ingwer-Lemon, Mango, Passionsfrucht, Himbeer, Feige. Wieder setzt er zu Erklärungen an, wie das alles eigentlich in den Essig kommt: „Da wird nichts zusammengemischt – das braucht Zeit!“ Da ist sie wieder, die Zeit. Auch bei den gering- bis hochprozentigen Tränken in den Regalen spielt sie eine Rolle. Obstbrände mit Mirabelle oder Haselnuss, Liköre aus Blutorange oder Curacao und Tresterbrände, besser bekannt als Grappa. „Im Plural Grappe, nicht Grappas“, sagt Bedzinski, überreicht einer Kundin ihr sorgfältig beschriftetes Fläschchen in Herzform und verabschiedet sie mit Handschlag.

„Das hier passt zu mir“, sagt er, und seine Tochter nickt. Sie erinnert sich noch zu gut an die Zeit vor der Entdeckung von Öl und Zeit; an Nächte, in denen sie Angst um die Gesundheit ihres Vaters bekam. „Heute bekommt er Gänsehaut, wenn er ans Fahren zurückdenkt“, sagt sie. Ob sein Handel mit Essig und Ölen wie geschmiert laufen wird, weiß er heute noch nicht. Die Resonanz ist gut, aber das Geschäft noch jung. Doch Roman Bedzinski ist sicher, das Richtige getan zu haben. „Wenn man es nicht versucht“, sagt er, „weiß man es nie. Ich hätte mich mein Leben lang gefragt: Was wäre wenn...“ Dann brüht er Kaffee auf, mit feinst gemahlenem Pulver ohne Filter, lächelt und sagt: „Wichtig dabei ist, dass man es ganz langsam macht.“