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Reise-Tagebuch von Reiner M. SowaJähes Ende am Kaspischen Meer

Lesezeit 19 Minuten

Reiner Sowa traf an der Grenze einen früheren Gladbacher.

Bergisch Gladbach14. November:

Ich wurde so herzlich in der iranischen Millionenstadt Tabriz aufgenommen, dass ich dort mehrere Tage blieb. Eine Reiseagentur bot mir ein Buchprojekt an: Ich sollte meine Aufenthaltszeit im Iran auf zwei Monate verlängern und über Land und Leute schreiben. Ein verlockendes Angebot, das ich jedoch nicht in diesem Jahr realisieren wollte. Tabriz gilt nicht nur als kälteste Stadt des Landes, sondern auch als Mittelpunkt der Seidenstraße. Mich zog es ans Kaspische Meer. Auf dem Weg machte ich in Zanjan Halt, einer kleinen Stadt an der Sprachgrenze. Im Norden wird Türkisch gesprochen, im Süden Farsi.

Mittlerweile war es im Iran über die Internetmedien bekannt geworden, dass ein Deutscher in einer Kasten-Ente durchs Land fuhr. Das Komitee eines Motorsportclubs entdeckte mich in der Innenstadt. Sie sprachen mich an, luden mich zum Abendessen ein und reservierten ein Hotel. Am nächsten Morgen gab es ein Frühstück mit der Familie des Clubpräsidenten, der mir eine Abkürzung durch das Gebirge zum Kaspischen Meer zeigte. Im ersten Gang quälte sich der 29-PS-Motor bei strahlendem Sonnenschein auf fast 2000 m Höhe. Trotz Schneefalls in den letzten Tagen war die Passstraße geräumt. Das Kaspische Meer verwöhnte mich mit frühlingshaften Temperaturen von 20 Grad. Lange suchte ich einen Weg an den Strand. Villen mit Meerblick verhinderten den öffentlichen Zugang. Erst in der kleinen Stadt Chaboksar gab es eine Stichstraße, die ans Meer führte. Hier wollte ich einige Tage Pause machen.

Das eine sind die Pläne, das andere ist das Leben: Mein Handy vibrierte. Die Nachricht: ein Todesfall in der Familie. Meine Reise war zwar für mein Buchprojekt wichtig, aber die Familie ist mir wichtiger. Aus zoll- und visarechtlichen Gründen war ein Rückflug aus dem Iran nicht möglich. So musste ich mit der Ente in die Türkei zurückkehren. Tausend Kilometer raste ich mit Höchstgeschwindigkeit über iranische Autobahnen. Die Kasten-Ente wartet nun in Kurdistan in einer Lagerhalle auf meine Rückkehr.

Wenn Sie diesen Artikel lesen, werde ich in Berlin von einem lieben Menschen Abschied nehmen. Wegen eines Trauerfalls hatte sich schon die Abfahrt zur Seidenstraße verzögert. Ob es nun das Ende der Reise ist? Ich weiß es noch nicht.

7. November:

Eine Schneelandschaft erwartete mich auf 2500 Metern Höhe im anatolischen Gebirge. Die Kasten-Ente schaffte die Steigungen nur im ersten Gang. Es war mühsam. Für eine Strecke von 50 Kilometern brauchte ich sechs Stunden. Ein Steinschlag in der Windschutzscheibe machte mir Sorgen. Ohne Scheibe durch die eisige Kälte zu fahren war keine angenehme Vorstellung.

Noch nie war ich durch so einsame Regionen gefahren. Ich hatte einen Rundblick von etwa 50 Kilometern. Keine Häuser. Keine Menschen. Nur diese Straße, die mich immer weiter ins Niemandsland führte. Als ich mich Armenien näherte, erfuhr ich, dass der Grenzübergang gesperrt sei. Eventuell könne ich weiter südlich bei Tuzluca ins Nachbarland einreisen. Aber auch dort war der Schlagbaum geschlossen.

So blieb mir nur noch der Weg durch Kurdistan in den Iran. Ich hatte die vielen gut gemeinten Warnungen im Hinterkopf, die fast täglich bei mir eingingen. Allerdings waren die Absender nie in Kurdistan gewesen. Deren Informationsquelle waren die Medien gewesen. Selbst die Autoren der Artikel über das Krisengebiet hatten oft keinen direkten Kontakt zum Land.

Meine Strategie ist die der langsamen Annäherung. Dabei spreche ich mit möglichst vielen Einheimischen und versuche, die Situation auf meinem Reiseweg zu erfassen. Auf diese Weise rollte meine Ente aus türkischen in kurdische Gebiete. Ich fühlte mich in keinem Augenblick gefährdet und machte in Doğubeyazıt Station. Zwei Tag blieb ich in der kurdischen Stadt. Ich führte viele Gespräche mit Kurden, auch über türkisch-kurdische Politik und die aktuelle Situation im Bürgerkrieg in Syrien. Dabei erlebte ich sie gastlich und hilfsbereit.

Einfahrt durch riesiges Tor

Die Einreise in den Iran erinnerte mich an meine früheren Grenzerfahrungen in der DDR. Ich musste zunächst drei türkische Kontrollen überstehen, bevor ein riesiges Tor aufgeschoben wurde. Ich startete den Motor und erreichte iranisches Hoheitsgebiet. Dort gingen die Kontrollen weiter. Vor allem die Einfuhr der Ente war mit Zollerklärungen verbunden, für die ich sechs Unterschriften von verschiedenen Grenzpolizisten brauchte. Schlussendlich musste ich mit meinem Fahrzeug durch eine Schleuse fahren, in der der Unterboden der Ente mit einem Desinfektionsmittel besprüht wurde. Endlich war ich im Iran. Was für ein Gefühl! Ich brannte darauf, die Kultur und die Menschen kennenzulernen.

Schon auf den ersten Kilometern erlebte ich eine Welle der Sympathie und Hilfsbereitschaft. In Maku wurde ich von einem Zahnarzt in sein Haus zum Abendessen eingeladen. Auf dem Weg nach Tabriz fingen mich Mitglieder eines Oldtimerclubs ab, um mit mir im Konvoi in die drittgrößte Stadt Irans zu fahren, die als Mittelpunkt der Seidenstraße gilt. Sie besorgten mir eine neue Windschutzscheibe und führten mich durch ihre Heimat. Ich dachte an die vielen besorgten Gesichter daheim. Macht euch keine Sorgen! Es geht mir gut im Iran.

31. Oktober: Von Istanbul zog es mich ans Schwarze Meer. Als ich den schmalen Küstenstreifen ostwärts rollte, machte der Regen eine Pause. Bei 25 Grad genoss ich einen verlängerten Sommer mit Blick auf Tee- und Tabakplantagen entlang der Straße. Nord-Anatolien wird selten von westlichen Touristen besucht, kaum jemand spricht dort eine Fremdsprache. Auf meiner langen Reise habe ich mich daran gewöhnt, mit Gesten und einigen Brocken der Landessprache zu kommunizieren.

Eine junge Anatolierin zeigte mir in einem Restaurant bei Trabzon die Küchenvorräte, aus denen ich mir ein Menü zusammenstellte. Semra K. (Name geändert) trug ein Kopftuch, das sämtliches Haar verdeckte. Trotz der spätsommerlichen Temperaturen war sie mit einer Jacke und einem langen Rock bekleidet. Sie hatte ihr schmales Gesicht geschminkt und schenkte mir immer dann, wenn andere es nicht sehen konnten, ein sympathisches Lächeln. Wir kamen ins Gespräch. Fast vier Stunden verbrachte ich dort essend und trinkend. Beim Abschied fragte sie, wo ich wohnte. Ich zeigte auf die Kasten-Ente.

Am nächsten Morgen erlaubte mir der Betreiber der benachbarten Tankstelle, mein Auto dort zu warten. Dabei besuchte Semra mich mehrfach. Nach der Arbeit trank ich im Restaurant einen Tee. Sie verabschiedete sich mit Tränen in den Augen. Ich fuhr weiter nach Georgien. In Batum kam ich in einem Hotel unter. Post von Semra K. lag in meinem virtuellen Briefkasten: „Ich liebe und vermisse dich! Komm bitte zurück und lass uns als Muslime in meiner Stadt am Schwarzen Meer leben.“Meine Kfz-Versicherung galt nicht für Georgien. Daher wandte ich mich an ein Versicherungsbüro. Allerdings waren die georgischen Deckungssummen so gering, dass ich das Risiko nicht auf mich nehmen wollte. Ich kehrte in die Türkei zurück und kaufte Obst bei einem Straßenhändler, der mich zum Tee einlud. Für meine Weiterfahrt nach Armenien gab es zwei Wege: an Semras Heimatort vorbei oder durch das anatolische Hochgebirge mit winterlichen Temperaturen.

25. Oktober: Acht Wochen war ich nun mit meiner Kasten-Ente unterwegs und rollte langsam vor den Schlagbaum der türkischen Grenze. Ein Polizist nahm meinen Personalausweis an sich und legte ihn auf den Scanner. Gleichzeitig kamen Zöllner an das Fahrzeug und schauten neugierig durch die Scheiben. Während des digitalen Abgleichs meiner Daten wurde ich gefragt, woher ich komme. „Bergisch Gladbach“, antwortete ich in der Erwartung, die Gegenfrage zu erhalten, wo diese Stadt denn liege.

„Da bin ich zur Schule gegangen“, entgegnete der Grenzpolizist strahlend. Die Formalitäten waren vergessen. Er erzählte von seinen Jugendjahren, als er die Hauptschule am Ahornweg besucht und am Sander Weg gewohnt hatte. Die Welt ist ein Dorf.

Von da an reiste ich durch das Herzlichste aller Länder. Hinter dem Schlagbaum nahmen mich die Grenzsoldaten in die Arme. Ich war froh, dass sie vorher die Maschinenpistolen abgelegt hatten. Sie beherrschten keine Fremdsprache, aber freuten sich wie Kinder, dass ich ihr Land besuchte. Es war ein erhebendes Gefühl, mit der Kasten-Ente den Bosporus über die Fatih-Sultan-Mehmet-Brücke zu überqueren. Die Hängebrücke verbindet den europäischen Kontinent mit dem asiatischen.

Der Motor tuckerte zuverlässig, und ich vergaß, dass ich bereits seit einer Stunde im Stau stand. Straßenhändler flitzten zwischen den Autos hin und her, um Wasser und Sesam-Brezel zu verkaufen. Ich freute mich darauf, meine Frau wiederzusehen, die in wenigen Stunden im asiatischen Teil Istanbuls landen würde. Wir verbrachten drei Tage in der drittgrößten Stadt der Welt.

Als ich Istanbul auf der Autobahn Richtung Osten verließ, sah ich zunächst Industriegebiete, bevor sich die Natur leise ankündigte. Eine Berglandschaft wie im Schwarzwald spendete Ruhe. Bis jemand auf der vierspurigen Straße neben mir hupte und wild gestikulierte. Er überholte mich, um auf dem Seitenstreifen zu halten. Es war ein Schuldirektor, den mein französisches Auto fasziniert hatte. Er lud mich zu einem Tee ein. Wie viele andere gab er mir seine Handynummer. Falls ich in der Türkei Probleme bekommen sollte. Was sollte in so einem herzlichen Land passieren?

17. Oktober: Menschen prägen ein Land, und die Landschaft prägt die Menschen. Das erlebte ich in jedem der zwölf Länder, die ich bisher mit meiner Kasten-Ente durchquert habe. Da kann die Landschaft noch so großartig, ein Bauwerk noch so prächtig, ein Restaurant noch so hervorragend sein, sind die Menschen unfreundlich und abweisend, gebe ich Gas, um mit Höchstgeschwindigkeit an die nächste Grenze fahren.

Den ersten Abend in dem südlichsten Teil des ehemaligen Jugoslawiens wollte ich in Struga verbringen, einer Kleinstadt am Ohridsee. Es dämmerte, als ich in Struga eintraf. Deshalb entschied ich mich, auf einen bewachten Hotelparkplatz zu fahren. So ohne weiteres wollte man mich dort jedoch nicht in der Ente schlafen lassen. Das unfreundliche Kopfschütteln der Dame an der Rezeption und des kahlköpfigen Zwei-Meter-Mannes von der Security wandelte sich mit zwei Fünf-Euro-Scheinen in ein akzeptierendes Nicken. So war es kein Wunder, dass ich am nächsten Tag mit lauter Musik durch die malerische Berglandschaft rollte und dennoch keine Lust auf Mazedonien hatte.

Freundlich erlebte ich dagegen die Bulgaren, für deren Land ich mir allerdings nicht viel Zeit nahm. Seit Montenegro reiste ich durch Berglandschaften. Ich freute mich bereits auf die Griechen, deren Mittelmeer und deren Küche. Sobald ich die Grenze überquert hatte, suchte ich eine gemütliche Taverne. Als ich mehrfach Griechen danach fragte, gaben sie keine Antwort. Sie ignorierten mich. So musste ich mich mit heißen Würstchen vom Benzinkocher mit Brot und Tomatensalat begnügen.

In Kavala ließ ich mich auf einem Campingplatz nieder, der nur von Griechen besucht wurde. Selbst beim Geschirrwaschen, der kommunikativsten Tätigkeit am Campingplatz, war kein Gespräch möglich. Noch nicht mal ein „Kalimera“ (Guten Morgen) kam über deren Lippen. Zwei Tage versuchte ich, Zugang zu den Griechen zu finden. Lediglich der Nacht-Verkäufer eines Mini-Marktes hatte Vergnügen daran, sich mit mir zu unterhalten.

In Alexandroupolis wurde es besser. Etwa 40 km vor der türkischen Grenze traf ich auf eine andere Mentalität und offenere Menschen. Was freue ich mich auf meine kommende Reise-Etappe durch die Türkei!

10. Oktober: An der albanischen Grenze schaute ich in den Rückspiegel und entdeckte mehrere Enten in der Autoschlange hinter mir. Auf der gesamten Reise war mir bisher kein Citroen 2 CV begegnet. Es gab eine freudige Begrüßung mit Franzosen aus Toulouse. Wir gingen essen und reisten gemeinsam in Kolonnenfahrt nach Tirana. In den Straßen der albanischen Hauptstadt erwartete uns ein Chaos. Moderne Limousinen, Pferdefuhrwerke und Mopeds konkurrierten um ein Fortkommen. Dazu gesellten sich wilde Hunde und Straßenhändler, die an die Autoscheiben klopften.

Die Franzosen flüchteten, ich blieb in der Millionenstadt. Eine Bleibe fand ich auf dem Parkplatz des Hotels Baron. Die Gastfreundschaft des Hotelmanagers, Florian Kuka, war enorm. Ich durfte vor dem Hotel „campen“ und bekam sogar ein Badezimmer.

Nach zwei Tagen lud mich Familie Kuka in die Bergregion Diber ein, an der mazedonischen Grenze mit Höhenzügen von bis zu 2300 Metern. Die Fahrt dorthin war abenteuerlich. Wir verließen die asphaltierten Straßen und fuhren über Geröll- und Schlammpisten. Auf 1300 Metern Höhe lag unser Ziel: eine Käserei. Hier produziert die Familie Kuka Ziegenkäse. Bei Raki und Ziegenkäse lernte ich Albaner kennen, die diese Berge noch nie verlassen hatten. Auch wurde mir eine der ältesten Frauen des Landes vorgestellt: Aishe Ndreu. Die Enkel zeigten mir ihren Ausweis aus der sozialistischen Zeit. Sie war 106 Jahre alt.

Ich zog über mehrere Gehöfte und begegnete sympathischen Menschen, die in einer Einsamkeit lebten, die ich so noch nicht erlebt hatte. Nachts heulten die Wölfe und wurden von den Hofhunden verbellt. Dennoch hat die Moderne Einzug gehalten. Alle, auch die Alten, besaßen ein Handy und ein Facebook-Konto. Ein eigenartiges Bild: Eine Frau führte ein Pferd, darauf saß ihr Mann und bediente sein Smartphone.

Als ich nach zwei Tagen in Richtung Mazedonien weiterfuhr und mich in einem Café bei Facebook einloggte, entdeckte ich Likes von Berg-Albanern. Wie schön, dass heute Kontakte auf diese Weise weitergeführt werden können.

3. Oktober 2014: Zweimal die gleichen Weg zu fahren, grenzt an Routine. Also wählte ich für die Reise von Mostar nach Dubrovnik Nebenstraßen durch das Biokovo-Gebirge. Sie führten mich durch Dörfer und auf Straßen, die diesen Namen nicht verdienen. Viele waren unbefestigt und an den Steilhängen ungesichert. Das wäre nicht so schlimm gewesen, wenn nicht ein Starkregen einige Straßenzüge in wenigen Minuten in Seen verwandelt hätte. Es dauerte Stunden, bis ich die bosnische Küstenregion erreichte.

Dubrovnik ist eine prachtvolle Stadt. Großartige Häuser aus dem 18. Jahrhundert, das angrenzende blaue Meer und die hinter der Stadt aufsteigenden Berge sind einzigartige Fotomotive. Gut, dass meine Kamera über genügend Speicherkapazität verfügte. Ich blieb zwei Tage in Dubrovnik. Am letzten Abend erwischte mich nach einem herrlichen Tag mit Temperaturen von etwa 26 Grad die kalte Bora, ein Wind, der die Berghänge herunterweht, ohne sich vorher anzukündigen. Auf den Bergspitzen herrschen einstellige Temperaturen. Am nächsten Morgen meldete sich eine Erkältung. Ich ignorierte sie zunächst und setzte meine Reise in Richtung Montenegro fort. Tatsächlich: Fast schwarz erhoben sich Berge an der Küste in den blauen Himmel.

Während ich die Aussicht bestaunte, hielt ein Radfahrer neben meiner Acadiane. Christian Johannes Bartels kam mit seinem Rennrad aus München. Mein Zielort war noch weit und würde mit Hindernissen gespickt sein. Eines davon machte sich gerade in meinem Körper breit: eine heftige Erkältung mit Husten, Kopf- und Halsschmerzen. Ans Weiterziehen war nicht zu denken. Eher an eine Unterkunft, von der aus ich auch mit Fieber einen Supermarkt erreichen konnte. Die ersten beiden Campingplätze kamen nicht in Frage. Die sanitären Anlagen waren …, nein, ich finde kein passendes Wort.

In einem Nachbarort von Petrovac wurde ich fündig: Autocamp Maslina am Strand von Buljarica. „Bleiben Sie bei uns“, schlug mir Milovoj Zaradic, der Platzbetreiber vor, als er meinen gesundheitlichen Zustand registrierte. „Wir werden uns um Sie kümmern.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich suchte mir einen Stellplatz unter Jahrhunderte alten Olivenbäumen und durchstöberte meine Reisemedizin.

26. September 2014: Obwohl das Meer eine magnetische Anziehungskraft auf mich ausübt, nahm ich Abschied von der kroatischen See und mutete der Ente eine Fahrt durch das Biokovo-Gebirge zu. Im ersten Gang beförderte mich der Zwei-Zylinder-Motor auf über 1000 Höhenmeter. Ich war froh, noch vor der Abreise neue Stoßdämpfer eingebaut zu haben. Es war unmöglich, alle Schlaglöcher zu umfahren.

Nach den Schlaglöchern kam der Schlagbaum: die Grenze zu Bosnien-Herzegowina. Meinen Tagesgruß „dobar dan“ erwiderte der kroatische Grenzpolizist nicht. Wortlos nahm er meinen Personalausweis entgegen und reichte ihn sofort zurück, ohne darauf geschaut zu haben. „Govorite li njemački?“, fragte ich. Ob er deutsch spreche. Er schüttelte den Kopf. „Engleski?“ Ein zaghaftes Nicken deutete er an. Ich erklärte ihm auf englisch, dass ich gerne die Kasten-Ente innerhalb der Grenzanlage vor dem riesigen Schild Bosnien-Herzegowina fotografieren würde. „Do it!“, antwortete er ungeduldig.

Ich legte den ersten Gang ein, parkte die Acadiane mittig auf der Durchfahrtsstraße zwischen den beiden Grenzposten und stieg aus. Kaum hatte ich das erste Foto gemacht, rief eine Stimme von der bosnischen Seite. „No photos, please!“ Sie gehörte zu einem bosnischen Grenzpolizisten. Er winkte mich zu sich heran. Höflich, aber sehr bestimmt forderte er mich auf, das Foto zu löschen. Meinen Einwand, ich hätte die ausdrückliche Erlaubnis des kroatischen Beamten erhalten, ließ er nicht gelten. Also beförderte ich das Foto vor seinen Augen in den virtuellen Mülleimer.

In den Jahren 1996 und 1997 habe ich im Auftrag der UNO in Sarajewo für die dortige Polizeiakademie das Curriculum geschrieben. Ich fragte mich, ob dieser Polizist das Programm durchlaufen hatte. Immerhin hatte er mich anders als der Kroate höflich und korrekt behandelt. Ich setzte mich wieder in die Acadiane und holte das Foto aus dem virtuellen Mülleimer hervor. Schließlich zeigte es nur ein Schild und mein Auto.

20. September 2014:

Wie habe ich mich auf das Meer und die Insel mit dem unaussprechlichen Namen gefreut: Krk. Auf diesem Eiland gibt es auch einen Ort, der Vrh heißt. Mit Vokalen gehen die Kroaten sparsam um. Ich hatte in den 1990er Jahren sieben Monate in Sarajewo gewohnt und dort Grundlagen der Sprache gelernt. Ob ich mich noch erinnern würde?

Als ich durch das monotone Berggelände zum gleichnamigen Hauptort der Insel ankam, war es dunkel. Ich war müde und legte mich in einer Seitenstraße in mein Entenbett. Die Fenster hatte ich leicht geöffnet, die Hecktüren angelehnt. Mitten in der Nacht trommelte es aufs Entendach wie von tausenden Gummikugeln. Ich schob die Gardinen zur Seite und stellte erleichtert fest, dass es "nur" heftigst regnete. Sofort schlief ich wieder ein. Ein Fehler: Morgens waren Sitzbezüge und Kleidung durchnässt. Da es weiter wie aus Kübeln regnete, checkte ich in einer Pension ein. Ich wäre bald wieder reisebereit gewesen, hätte nicht der Dauerregen zum Bleiben verleitet. Ich lernte die Insel ausgiebig kennen. Deutsche Touristen hatten das Eiland überschwemmt wie der Regen meine Acadiane.

Mit der Fähre setzte ich zur Insel Rab über. Prachtvoll die Stadt Rab mit Straßenpflaster und Fassaden aus hellem Marmor. Stundenlang hätte ich durch die Gassen flanieren wollen, wenn es nicht so gestürmt hätte. Deshalb ging es am nächsten Morgen mit der Fähre aufs Festland zurück. Dort schien die Sonne. Noch traute ich dem Wetterfrieden nicht, wurde aber nach einer Stunde auf der Küstenstraße mutig und nahm wieder eine Fähre, zur Insel Pag.

Endlich: Blauer Himmel, blaues Meer mit wunderschönen Buchten. Das Wasser war klar, zwischen den Felsen tummelten sich Fische und Krabben. Ein Schnorchelparadies. Dennoch ging ich wieder auf Enten-Tour, verbrachte je eine Entennacht in den Küstenstädten Zadar und Split. Das Inselhopping war eine angenehme Art des Reisens. Es schonte die Ente und reduzierte meine Zeit am Lenkrad. Davon würde ich auf der weiteren Seidenstraße noch genug haben.

12. September 2014: Es war hart, Deutschland zu verlassen. Warum? Meine letzte Station war Glashütte im Erzgebirge. Mir war aufgefallen, dass die Hauptfigur meiner Romane niemals auf die Uhr schaute.

Das sollte sich mit dieser Reise ändern. Mitten in der Stadt parkte ich unter einer Laterne die Kastenente und schlief wunderbar im Entenbett. Als mich morgens die Kirchenglocken weckten, wünschte ich mir nichts sehnlicher als einen heißen Kaffee.

Ein halbe Stunde liefen wir über die Hauptstraße der Stadt mit sieben Uhrmanufakturen. Alle Cafés hatten am Sonntag geschlossen. Auf Nachfrage sagte mir ein Einheimischer, dass man in Glashütte nur Uhren im Kopf habe. Ohne Kaffee gab es für Ulrich Schwartz keine Uhr.

Auch in anderen Ortschaften des Erzgebirges fand ich keine Cafés, die geöffnet hatten. Glücklicherweise hatte ich vorgesorgt. Am Waldrand packte ich meinen Benzinkocher aus, kochte Wasser ab und brühte meinen eigenen Filterkaffee, der sogar meiner Frau schmeckte.

Besser gelaunt überquerte ich die tschechische Grenze und wurde mittags in der Gaststätte einer Kleinstadt mit Rinderbraten und Semmelknödeln belohnt. Nachmittags erreichten wir Prag. Ich mag Prag sehr, doch heute war es zu quirlig. Noch nie habe ich so viele Touristen in der tschechischen Hauptstadt erlebt. Auf der Karlsbrücke schoben sich die Menschenmassen in beide Richtungen.

Glücklicherweise war es im Kafka-Museum ruhig und beschaulich. Kafka und Prag gehören für mich so zusammen wie die Familie Zanders und Bergisch Gladbach. Egal, wo ich hielt, wurde ich auf mein wundersames Fahrzeug angesprochen. Dazu muss man wissen, dass Tschechien vor sechs Jahren das Welt-Enten-Treffen ausgerichtet hatte. Ein Autobewunderer entpuppte sich als österreichischer Reiseleiter und lud auf einen Abstecher nach Wien ein.

Es klang verlockend, von einem Profi die Stadt gezeigt zu bekommen. Aber wir kannten Wien, und es drängte mich, auf die Straßen zu kommen, die den Namen Seidenstraße verdienten. Es sind die Straßen, die das Mittelmeer und den Orient verbinden.

Hannibal hat mit Elefanten die Alpen überquert, ich habe sie mit der Ente durchquert. Von Hannibals Elefanten überlebte nur ein Tier. Der Acadiane-Motor schnurrte auf dem schnellsten Weg über die Autobahnen und durch sehr viele Tunnels. Sorry, Österreich!

Slowenien lockte mit blauem Himmel und einem Baumarkt auf der grünen Wiese. Ein Spannseil, das meinen Wassertank in der richtigen Position hielt, war gerissen.

Anschließend ging es weiter in die Hauptstadt Ljubljana. 1980 war ich zuletzt hier gewesen. Es hat sich so viel verändert: Der Autoverkehr verstopfte die Zufahrtsstraßen. Die Häuser leuchteten mit bunten Fassaden. Fast alle Slowenen sprachen englisch.

Nur im Zentrum war die Zeit stehen geblieben. Es war wohltuend, zu sehen, dass hier nicht die Ladenketten Einzug gehalten haben wie in anderen Hauptstädten dieser Welt.

Kleine Manufakturen boten in flotten Boutiquen ihre Ware feil. Überall luden Straßencafés und Restaurants zum Verweilen ein.

Nun war ich im ersten Land, das zum Straßennetz der Seidenstraße gehörte. Von China sind die Händler auf dem Landweg über Slowenien bis nach Venedig gereist. Bald schon werde ich im Mittelmeer baden. Urlaubsgefühle kommen auf. Ich bestelle einen Cappuccino und schreibe diesen Artikel.

10. September 2014: Dresden, die erste Etappe bevor ich Deutschland verlasse. Ist das der Weg zur Seidenstraße?, werden Sie fragen.Es ist sicherlich nicht Marco Polos Weg. Aber es ist meiner. Eine solche Reise durchführen zu können ist pures Lebensglück, finde ich. Mehrere Monate die Seele baumeln lassen, durch verschiedene Kulturkreise reisen, unterschiedlichen Menschen auf dem Weg begegnen - was gibt es Schöneres?

Plane eine Reise und sie zeigt dir ihren eigenen Weg, habe ich am 30. August auf meiner Website veröffentlicht. Es war der Tag, für den ich die Abreise aus Bergisch Gladbach vorgesehen hatte. Beim Frühstück erreichte uns die Nachricht vom Tod eines Verwandten. War das ein Einschnitt ins Lebensglück? Keineswegs. Der Tod zeigte, dass Wünsche, Vorstellungen und Pläne keinen Aufschub dulden. Die Lebenszeit sollte genutzt werden. Also integrierte ich das Abschiednehmen vom Verstorbenen in meine Seidenstraßen-Reise. Die Kleidungskiste in der Acadiane wurde noch mit Trauerkleidung ergänzt und die Reiseroute verändert. Es ging von Bergisch Gladbach bei schönstem Wetter über Hamburg an die Landesgrenze von Mecklenburg-Vorpommern. Auf dem Weg eine erste Verzögerung, weil die Zündspule überhitzte. Kein Grund zur Panik. Meine Frau hatte mir ein Coolpack mitgegeben, um eventuelle Entzündungen zu kühlen. Bei der Zündspule fand es seinen ersten Einsatz und die Reise konnte fortgesetzt werden.

Wir verbrachten einen Trauertag mit der Familie im Norden und fuhren anschließend nach Berlin. Ich kenne die Hauptstadt aus meiner Kindheit und tauche gerne ein in den Trubel um das Brandenburger Tor.

Als ich die Acadiane auf dem Vorplatz parkte, schwenkten die Touristen ihre Kameras von den wuchtigen Mauern des Brandenburger Tores zum dünnen Blech der Kastenente. Dieses Auto ist auch hier ein Sympathieträger und beliebtes Fotomotiv. Nun sitze ich mit meiner Frau auf der Terrasse des Dresdner Waldschlösschens und schaue auf das Elbpanorama. Gestern wusste ich noch nicht, dass ich heute hier sein werde. Was wird und wo werde ich morgen sein? Sie werden es erfahren. Bald.