Terror-Propaganda und RaubBergisch Gladbacherin zu 17 Monaten Bewährung verurteilt

Lesezeit 3 Minuten
Justizbeamter im Gericht

Ein Justizbeamter in einem Gericht (Symbolbild)

Bergisch Gladbach – Das Bergisch Gladbacher Schöffengericht hat eine Ex-Anhängerin der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ wegen der Verbreitung extrem grausamer Videos und wegen räuberischen Diebstahls zu 17 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Die 36-jährige Deutsche muss sich in eine sechswöchige stationäre Psychotherapie begeben. Bemerkenswert: In ihrer Islamistinnen-Zeit hat die gebürtige Gladbacherin gleichzeitig als Prostituierte gearbeitet. Heute nimmt sie am „Aussteiger-Programm Islamismus“ (API) des NRW-Verfassungsschutzes teil.

Der Gladbacher Strafverteidiger Dr. Karl-Christoph Bode kennt Henriette K. (Name geändert) schon seit ihrer Jugend. Immer wieder scheitere sie bei den Versuchen, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Sie trinke viel, einmal in seiner Kanzlei innerhalb kürzester Zeit eine halbe Flasche Wodka, berichtet er vor dem Schöffengericht, wo sich die Frau wegen einer außergewöhnlichen Kombination von Vorwürfen verantworten muss: Drei IS-Videos soll sie im Juli 2017 auf dem von ihr damals öffentlich betriebenen Telegram-Kanal „True Religion“ (Wahre Religion) betrieben haben. Da wurden Menschen gefoltert und ein Gefangener von einer Klippe gestoßen und dann noch beschossen.

Freier erstattet Anzeige

Im September 2017 lernt ein Kunde eine andere Seite von Henriette K. kennen. Die Frau verdingt sich in ihrer Wohnung in einem Dorf in Rhein-Berg via Internet-Annonce als Prostituierte. Ein junger Mann, der noch nicht lange in Deutschland lebt, besucht sie, um gegen Bezahlung „Spaß zu haben“. Beim ersten Mal klappt das auch. Beim zweiten Mal aber verleitet Henriette K. ihren alkoholunerfahrenen Freier zum Trinken von reichlich Wodka – mit dem Ergebnis, dass der Mann seinen Mageninhalt über WC und Waschbecken ergießt.

Was dann geschieht, bleibt im Prozess strittig: Der Zeuge sagt, dass die Frau, während er aus dem Bad zurückkam, sein Handy aus seiner Jacke nahm und in ihren BH steckte. Als er es zurückholen wollte, habe sie ihm mit einem Haushaltshammer auf den Arm geschlagen. Die Angeklagte bestreitet: Außer dem Hurenlohn habe sie nichts an sich genommen, wohl aber den Freier aus der Wohnung geworfen.

Der Freier erstattet Anzeige. Monate später findet die Polizei zwar nicht das angeblich entwendete iPhone, dafür aber ein anderes Handy, auf dem mehrere kinderpornografische Dateien gespeichert sind. Damit will die Angeklagte nichts zu tun haben. Die müsse ihr jemand anders aufgespielt haben, vielleicht ein Freier. Dagegen gesteht sie die Sache mit den IS-Videos.

Stellungnahme des API

Ein wichtiger „Zeuge“ in dem Verfahren ist der NRW-Verfassungsschutz, offenbar sitzt ein Mitarbeiter sogar im Zuschauerraum. Schöffenrichterin Birgit Brandes verliest eine umfangreiche Stellungnahme des API (siehe Infokasten). Danach wurde die zum Islam konvertierte Henriette K. radikalisiert durch einen virtuellen Kontakt zu dem Islamisten Dennis B. Mit dem Islamismus habe sie wohl versucht, klarere Strukturen in ihr Leben zu bekommen. Die Geschlechterrollen in der Szene hätten ihr gefallen.

API

Seit 2014 ermöglicht das Aussteigerprogramm Islamismus (API) Betroffenen, darunter vielen „Gefährdern“, einen Rückweg in die demokratische Gesellschaft. Tickende Zeitbomben sollen so entschärft werden. Ein Expertenteam aus Polizisten, Verfassungsschützern, Juristen, Psychologen und Sozialarbeitern hilft den Aussteigewilligen, sich aus den ideologischen Fängen des Islamismus zu befreien und den Alltag zu bewältigen. Wenn das API-Team den Eindruck bekommt, jemand kooperiere nur aus taktischen Gründen, fliegt er oder sie aus dem Programm. (sb)

Seit Anfang 2020 habe sie Kontakt zum API, heißt es in der Stellungnahme weiter. Inzwischen habe sie sich distanziert und strebe eine Ausbildung in der Altenpflege an. Allerdings will das API nicht ausschließen, dass sie „im Rauschzustand“ wieder Kontakt zum Islamismus suche.

Mit der am Ende verhängten Bewährungsstrafe für die Gewaltvideos und den räuberischen Diebstahl gibt das Gericht Henriette K. eine letzte Chance; der Kinderpornografie-Vorwurf wird eingestellt. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht: Verteidiger Bode erwägt eine Berufung, weil er, anders als das Gericht, nicht dem Freier glaubt, sondern seiner Mandantin.

KStA abonnieren