Zirkus in GladbachTiger locken Fans und Kritiker

Tiger sind edle, aber auch gefährliche Raubtiere – vom Dompteur lassen sie sich aber auch lammfromm kraulen.
Copyright: Bilder: Nonnenbroich Lizenz
Bergisch Gladbach – Beinahe versteckt auf einer Wiese hinter der Paffrather Straße steht ein rotes Zirkuszelt. „René und Patrizia Althoff“ steht in geschwungener Schrift auf den Wagen. Es ist Freitagmorgen kurz vor 11 Uhr, und nichts rührt sich. Keine Artisten auf Seilen, keine Clowns, keine brüllenden Löwen. Nur die Vögel zwitschern, und die Fahnen an der gelb gestrichenen Absperrung wehen im Wind. Eine Frau mit Kind und Kinderwagen wartet vor dem geschlossenen Kassenhäuschen. „Komm, wir gucken mal, ob wir die Tiger sehen“, sagt sie zu ihrer Tochter. Alle wollen die Tiger sehen – bis auf die Tierschützer, die in Gladbach wie auch in vielen anderen Orten gegen die Haltung von Wildtieren in Gefangenschaft protestieren.
Auch wir wollen sehen, wie die Tiger leben, und kurz darauf begrüßt uns der, der sein halbes Leben mit ihnen verbracht hat: Dominic Fischer, Beruf: Dompteur. Vorbei an Wohnwagen, vor denen Wäsche aufgehängt ist, und der noch dunklen Manege, führt er uns zu den Raubtierwagen. Mit acht Bengalischen Tigern und fünf Berberlöwen wirbt der Zirkus, größter Raubtierzirkus Europas zu sein. 45 Menschen arbeiten hier während der Saison, etwa 18 in der Manege, der Rest kümmert sich um Tiere, Zelt, Werbung, Werkstatt, Ställe, Elektronik. Doch morgens um 11 Uhr ist es ruhig wie auf dem Schulhof in den Sommerferien. Selbst die Tiger schlafen noch. Nur Rani, Dunja und Sita sind wach und vom Wagen ins Freigehege gewechselt. Dunja beäugt skeptisch den Fotografen, der sich dem Zaun nähert. „Sie mag keine Fremden“, sagt Fischer beinahe entschuldigend. Was sich vermutlich ohne Zaun schlagartig ändern würde. Als Fischer sich nähert, legt Dunja den Kopf ans Gitter und lässt sich kraulen.
Bad im mobilen Bassin
Sita räkelt sich auf dem Rücken im Gras und malträtiert im Anschluss den Kratzbaum. Rani besteigt das „reisende Bassin“, das mit 24 000 Litern Wasser gefüllt ist. Dass sich eine Raubkatze nicht artgerecht halten lässt, bestreitet auch Fischer nicht. Dennoch wehrt er sich gegen die Kritik der Tierquälerei vehement. „Sie kennen es nicht anders“, sagt er. Seine Tiere sind fast alle hier im Zirkus geboren. „Laila ist jetzt 15. Sie war mein erster Tiger. Da war ich 13. Mit Anfang 14 war ich zum ersten Mal mit ihr in der Manege“, erzählt er. Jetzt ist er 28. Ein Leben ohne Tiger kennt er nicht und will er auch nicht kennenlernen.
Seine Tiger kennt er. Jedes Zucken des Schwanzes, jeden Blick, jede kleinste Bewegung registriert und kommentiert er. Jeder Kommentar ist von einem Lächeln begleitet. Dann betritt er nur mit einem kurzen Stöckchen in der Hand das Freigehege, tätschelt hier ein Ohr, animiert da zum Spielen. Dompteur ist kein Lehrberuf. „Es ist wie beim Rennfahrer“, sagt Fischer. „Entweder es steckt drin oder nicht.“
Der Chef ist er nicht. Der Chef ist James und wiegt 300 Kilogramm. Fischer hat ihn mit der Flasche aufgezogen. Manchmal zeigt Fischer den Demonstranten seine Tiger. Meistens seien sie sehr angetan. Häufig ignoriert er sie aber einfach. Er versteht sie nicht, wie auch sie ihn nicht verstehen. Nur alle paar Tage trainiert er mit seinen Tigern. „Das Training geht nur über Vertrauen“, sagt er. „Mit Lob und Belohnung und viel Geduld.“ Wie der Vertrauensprozess tatsächlich gestaltet ist, erschließt sich bei einem einmaligen Besuch nicht, aber Angst haben diese Tiger nicht vor ihm. Er hat auch keine Angst. „Trotzdem bleiben sie immer Raubtiere“, sagt er. Sein Rettungsanker in der Manege ist ein deponierter Feuerlöscher. Gebraucht hat er ihn noch nie.
Morgens um sieben führt sein erster Weg zu den Tieren. Gucken, ob alles in Ordnung ist, und den Freigang öffnen. Abends um zehn nach der Vorstellung füttert er noch. Fünf bis zehn Kilo Fleisch pro Tiger. Den ganzen Tag ist er bei seinen Tieren, beobachtet sie, spricht mit ihnen. „Ft..ft“, macht er, und Laila antwortet keine zwei Sekunden später ebenfalls mit „Ft..ft“. „Das heißt Hallo“, übersetzt Fischer und setzt zu einem weiteren Laut an, der nicht wirklich menschlich klingt. Doch Laila ist abgelenkt, ihr Blick nach links gerichtet. „Sie möchte jetzt lieber das Pony fressen“, sagt Fischer. Der Raubtiergeruch löst bei den Ponys, die kaum zehn Meter entfernt auf der Wiese grasen, keinerlei Fluchtinstinkt aus.
Vor dem Eingang steht einsam ein Wohnmobil. „Schule für Circus-Kinder in NRW, evangelische Kirche im Rheinland“, steht darauf.
Unterricht in der Zirkusschule
Innen sitzt Ulrike Leichtfuß mit vier ihrer Schüler. Seit zwei Jahren reist sie dem Zirkus hinterher, wo immer er in NRW sein Zelt aufschlägt. Von 8 bis 13 Uhr ist Unterricht. Marina (17) macht demnächst ihren Hauptschulabschluss. Sherly ist fünf. Sie malt. An der Wand hängt eine Karte von NRW mit einer aufgemalten schwarzen Zick-Zack-Linie – der Weg ihrer mobilen Heimat durch das Land. „Das macht Marina immer“, sagt Nico (16). Nico ist Clown und voltigiert. Madlen (12) hat eine eigene Akrobatennummer. „Ich kenn’s nicht anders“, sagt Nico über sein Leben im Zirkus. Einen besten Freund habe er nicht. „Die meisten bleiben nach der Schule im Zirkus“, sagt Faßbender.
Dominic Fischer hat noch die Zeit erlebt, als die Kinder in jedem Ort in die jeweilige Schule gingen. „Da wurden wir ständig ausgefragt“, sagt er. „Wir lernten viele Freunde kennen, aber gelernt haben wir nix.“ Zum Schluss erzählt er noch von den drei Tagen im April. Da flog er nach Andalusien, um sich Pferde anzuschauen. Es war sein erster Flug. „Ich hatte unglaubliche Angst“, sagt er. Dann begibt er sich geradewegs wieder in den Käfig der Tiger.
Aufführungen an der Nußbaumer Straße, Einfahrt Steinenkamp, sind noch Samstag, 15.30 und 13 Uhr, Sonntag, 11 und 15 Uhr und Montag, 15 Uhr. Vorverkauf von 11 bis 12 Uhr. Die Kasse öffnet eine Stunde vor Beginn der Vorstellung.