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Geschichte der DhünntalsperreBevor das Dhünntal versank

Lesezeit 3 Minuten

Getreideernte bei Pompelbusch 1954

Rhein-Berg – Es war eine der größten Umwälzungen in der Region, als in den 70er-Jahren ein ganzes Tal für Deutschlands zweitgrößte reine Trinkwassertalsperre geräumt werden musste. „Schön wie der sterbende Schwan“ überschrieb 1975 der damals 18-jährige Frank Plasberg seinen Bericht für die „Bergische Morgenpost“ über das Dhünn-Tal – lange bevor er als Fernsehmoderator bekannt wurde.

Seinen Bericht über das Tal, dessen Einwohner, Häuser und Natur dem Talsperrenbau weichen mussten, kennt Marita Jendrischewski ganz genau. Seit Jahren ist sie der Geschichte des Tals vor dem Staudammbau auf der Spur, forscht nach der Geschichte und den Geschichten seiner früheren Bewohner. Jetzt legt die Wermelskirchenerin ihr zweites Buch zum Dhünntal und seiner versunkenen Landschaft vor. Im Fokus stehen diesmal die Hofschaften auf der Südseite des Tals, auf dem Gebiet der heutigen Gemeinden Kürten und Odenthal. Allein mehr als 50 Zeitzeugen hat die Autorin persönlich besucht, etliche weitere kontaktiert, zahlreiche Gespräche geführt und Einblicke in private Fotoalben wie in Archive erhalten.

Herausgekommen ist eine überaus dichte Darstellung des Lebens im Dhünntal, in dem die damals weithin bekannte Gaststätte in Plätzmühle ebenso wieder lebendig wird wie die Kaffeemühle bei Kotten oder der Weiler Pompelbusch, an den noch heute ein beim Talsperrenbau ans Bechener Pfarrheim versetztes Wegekreuz erinnert.

Zahlreiche bislang unveröffentlichte Fotos zeigen die Menschen im Tal – bei der Getreideernte, hinterm Tresen, mit dem eigenen stattlichen Vierbeiner oder stolz mit ein paar mehr Pferdestärken unter der Motorhaube wie den Rennfahrer Victor Rolff aus Pompelbusch, der 1954 sogar Deutscher Sportwagenmeister wurde – im selben Jahr wie Graf Berghe von Trips, nur in einer anderen Klasse.

Wie dicht das familiäre Geflecht im Dhünntal war, zeigt Marita Jendrischewski anhand zahlreicher Familiengeschichten auf. Die von Reinhold Kornhoff bearbeitete Aufstellung über „Bechener Familien“ diente ihr ebenso als wichtige Quelle wie Recherchen in den Gemeindearchiven von Kürten und Odenthal. Deutlich wird auch die unsichtbare Grenze, die durch das Tal verlief: Während die Bewohner auf der Nordseite vorwiegend protestantisch waren, wohnten auf der Südseite überwiegend Katholiken. Eheliche Verbindung über den Fluss hinweg wie zwischen Dhünn und Werth waren da eher die Ausnahme. Weiler um Weiler kann der Leser Marita Jendrischewski durch das Tal der Dhünn auf deren südlicher Seite folgen, lernt en passant Treffpunkte von Motorradfahrern und von Campingfreunden kennen, erhält tiefe Einblicke in Familiengeschichte(n) und gewinnt einen Eindruck von der Faszination der Naturlandschaft, die das Tal vor der Flutung prägte.

Dabei erschöpft sich die Darstellung keineswegs in der durch Zeitzeugen vermittelten Geschichte. Akribisch und doch unterhaltsam geht die Autorin auch dem Ursprung der Ortsnamen nach, führt bis zu den Wurzeln von Weilern zurück, die – wie etwa Königsspitze – weit älter sind als der Grundstein des Altenberger Doms weiter talabwärts.

Selbst wer das Dhünntal ohne Talsperre nicht mehr aus eigenem Erleben kennt, ist nach der Lektüre fasziniert von der Kulturlandschaft, die ganz ohne verklärende Romantik zu neuem Leben erweckt wird. Als Lesebuch wie als Nachschlagewerk setzt Marita Jendrischewskis zweibändiges Werk neue Maßstäbe in der Erforschung des Dhünntals.