Die Arbeit beim Kinder- und Jugendtelefon erfordert viel Fingerspitzengefühl. Alle Anrufer bleiben anonym.
Anonyme AnrufeEhrenamtler beim Kinderschutzbund Rhein-Berg helfen bei der „Nummer gegen Kummer“
Das Telefon klingelt während der Dienstzeit fast ununterbrochen, doch manchmal herrscht am anderen Ende der Leitung nur Schweigen. „Eine Stille von 15 Sekunden kann schon zur Ewigkeit werden“, sagt Sabine Schepers. Denn sie und ihre Kolleginnen und Kollegen wissen, dass da ein junger Mensch am Telefon ist, der gerne sprechen würde. Doch das fällt manchmal schwer.
Seit 50 Jahren gibt es die „Nummer gegen Kummer“, das Kinder- und Jugendtelefon, das früher „Sorgentelefon“ hieß und so etwas ist wie die Mutter aller Hilfsangebote des Kinderschutzbundes.
„Viele tasten sich erst mal ran, werfen einem ein Häppchen hin“, berichtet Angela Jochum. Dann brauche es viel Gespür, „feine Antennen und viel Fingerspitzengefühl“, weiß das Team vom Kinderschutzbund. Weniger sei dabei fast immer mehr, forsche Fragen brächten nichts, verschreckten den Anrufenden eher.
Hilfstelefon des Kinderschutzbundes: „Wir sind keine Therapeuten“
„Wir sind oft erste Ansprechpartner und der erste Schritt ist ja häufig eine sehr große Hürde“, erklärt Jochum, die Sozial- und Verhaltenswissenschaften studiert hat. „Wenn das erste Gespräch ein positives Erlebnis ist, kann das Mut machen, sich anderswo Hilfe zu suchen.“ Denn das Kinder- und Jugendtelefon versteht sich nicht als Beratungs-, sondern als erste Anlaufstelle. Zuhören sei daher das Mittel der Wahl, wertschätzender Umgang und der Verzicht auf schnelle Ratschläge. „Wir sind keine Therapeuten“, sagt Angela Jochum.
„Die erste Botschaft muss sein: ‚Gut, dass du angerufen hast!‘“, erklärt Dr. Dieter Rosenbaum, Koordinator des Kinder- und Jugendtelefons. Es gehe nicht darum, Lösungen zu finden, sondern dem Anrufenden die Chance zum Gespräch zu geben, zum Sortieren der eigenen Gedanken, Mut zu machen, sich zu öffnen und Möglichkeiten aufzuzeigen.
Die Basis, dass das gelinge, sei Vertrauen, ist sich das Team einig. Trotzdem verlasse manche Anrufer mitten im Gespräch der Mut und er lege auf. Das müsse man dann aushalten können, sagen die Helfer ebenso wie lange Gesprächspausen oder sehr belastende Schilderungen.
Oberstes Gebot ist die Wahrung der Anonymität der Anrufer. „Das Gespräch ist nicht zurückzuverfolgen“, versichert Rosenbaum. Die Anrufe liefen über die bundesweit gültige Nummer bei der Zentrale ein und würden anonym an die nächste freie Leitung des an 77 Standorten agierenden Kinder- und Jugendtelefons weitergeschaltet. 90 Prozent sind in Trägerschaft des Kinderschutzbundes.
Dennoch hätten einige Anrufer Angst, sie könnten zu identifizieren sein. „Doch wir sehen keine Nummer“, so das Team von Kinderschutzbund. „Wir haben nur diese Stimme.“ Das hat allerdings auch seinen Preis. Rückrufe seien auch in Notfällen nicht möglich und auch nicht die Verabredung für weitere Termine mit demselben Gesprächspartner.
Die angesprochenen Probleme sind ganz unterschiedlicher Natur. „Es gibt eigentlich nichts, was wir noch nicht gehört haben“, sagt Sabine Schepers. In den vielen Jahren, die sie das jetzt schon mache, sei sie „hellhöriger“ geworden. In 57 Prozent der Fälle im vergangenen Jahr ging es um die eigene Psyche, an zweiter Stelle standen Fragen zu Partnerschaft, Liebe und Sexualität, in elf Prozent der Telefonate gab es Hinweise auf Gewalt oder Missbrauch. Und dann gibt es da noch die sogenannten Scherzanrufe, hinter denen dann manchmal doch auch ein echtes Problem verborgen ist.
Um das alles zu verkraften, wird das Team nicht nur regelmäßig geschult, sondern erhält auch fachliche Betreuung in Form von Supervisionen. Trotz aller Belastungen, „es ist das Beste, was ich in meiner Freizeit mache“, sagt Sabine Schepers. „Manchmal, wenn sich Kinder öffnen, dann schwebe ich hier richtig raus.“
Ehrenamt am Telefon
Bundesweit sind 2444 Menschen ehrenamtlich für den Telefondienst tätig, die im vergangenen Jahr 450.000 Anrufe entgegengenommen haben. Das Beraterteam in Bergisch Gladbach besteht aus 28 Personen, darunter lediglich zwei Männer.
2022 war ihr Ohr 1800 Mal gefragt, ein Anstieg von 28 Prozent zum Vorjahr. Knapp die Hälfte der Anrufe wird von 13- bis 17-Jährigen getätigt, mehr als ein Drittel der Gesprächsteilnehmer ist volljährig. Die meisten Anrufer sind männlich. (spe)
Kummer-Nummer
Bei Sorgen und Problemen von Kindern und Jugendlichen helfen ausgebildete ehrenamtliche Beraterinnen und Berater am Telefon. Die Gespräche sind grundsätzlich anonym und vertraulich. Zu erreichen ist das Kinder- und Jugendtelefon unter der kostenfreien bundesweit einheitlichen Nummer 116111 oder unter 0800/1110333, immer montags bis samstags, 14 bis 20 Uhr. (spe)