Landgut BreibachSommerfrische der königlichen Hoheit
Kürten – Man nähert sich dem Landgut Breibach wie einem Gemälde. Der Teich, die Wiesen, der Wald, das alles hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert. Ein paar abseits gelegene Häuser sind dazugekommen, als seien sie aus dem Rahmen gefallen. Eingefasst wird die Landschaft vom Breibacher Weg, der schmalen Straße, die von der Landstraße 286 hierher führt. Das Anwesen wird heute als Seminar- und Freizeithaus genutzt. Früher war das Landgut ein weit über die Grenzen Kürtens hinaus bekanntes Ausflugslokal, das Erholungssuchende anlockte. Es war aber auch ein Zufluchtsort für Verfolgte des Nazi-Regimes. Und es war ein Ort mit königlicher Geschichte.
An die königliche Zeit des Fachwerkhauses erinnert jetzt nur noch ein kleines Schwarz-Weiß-Foto im Eingang des Anbaus: Prinzessin Alice von Battenberg bei einem Besuch im Jahr 1955. Die Frau mit dem schlichten grauen Kleid und der grauen Haube auf dem Kopf war die Mutter von Prinz Philip und somit die Schwiegermutter der englischen Königin Elisabeth. In den Jahren 1936 bis 1964 machte die Prinzessin regelmäßig hier im Bergischen Land Urlaub und freundete sich mit den damaligen Besitzern an, dem Ehepaar Hedwig und Reinhold Markwitz.
Den Titel königliche Hoheit gab Alice von Battenberg 1948 ab, als sie Oberin des Nonnenordens Maria und Martha in der Nähe von Athen wurde. Der Rechtsanwalt und Notar Markwitz war 1933 aus politischen Gründen nach Breibach übergesiedelt: Seine Kanzlei in Duisburg hatte er aufgeben müssen, weil er der Sozialdemokratischen Partei angehörte und sein Kompagnon ein Jude war. Das Ehepaar kaufte das Kürtener Landgut und betrieb dort eine Pension mit für damalige Verhältnisse sehr moderner Ausstattung. „Zimmer mit fließend Wasser und Zentralheizung. Spezialitäten: Forellen, Sahne-Waffeln, naturreine Weine“ steht auf der Rückseite einer alten Postkarte zu lesen. Aber der letzte Schrei war wohl die Höhensonnenbeleuchtung: technischer Fortschritt inmitten einer altbäuerlichen Behaglichkeit mit großen Holzfeuerkaminen.
Ein Prospekt, in dem all diese Vorzüge aufgelistet waren, fiel damals einer Hofdame der Prinzessin in die Hände, wie die Odenthaler Journalistin Karin Erdtmann 1996 in ihrem Beitrag im Rheinisch-Bergischen Kalender schreibt. So kam es, dass Prinzessin Alice und ihre Hofdame zu Weihnachten 1936 zum ersten Mal in Breibach eintrafen, um sich zu erholen. Das war der Anfang einer lebenslangen Freundschaft zwischen der Prinzessin und der Familie Markwitz, zu der auch noch eine Tante namens Berta gehörte.
„Wir wussten sofort, in diesem Haus würden wir Wurzeln schlagen“, sagt Kurt Peters, der das Landgut zusammen mit seiner Frau 2007 von der Evangelischen Kirche übernommen hat. Seitdem versucht das Ehepaar, die Geschichte des Hauses wie ein Puzzle, Stückchen für Stückchen, zusammenzusetzen.
Auf dem Holztisch vor den Eheleuten liegen Unterlagen ausgebreitet, die sie in einem ledernen Reisekoffer auf dem Dachboden gefunden haben. Je länger man die alten Fotos und Dokumente betrachtet, desto stärker fühlt man sich in die damalige Zeit zurückversetzt. Da ist zum Beispiel die amtliche Aufforderung des Kürtener Bürgermeisters vom 27. November 1936: Prinzessin Alice möge unverzüglich mit ihrem Originalpass unter ihrem richtigen Namen einchecken. Andernfalls müsse eine Bestrafung erfolgen. Angemeldet hatte sich die Prinzessin bei der Behörde nämlich – wohl, um nicht so aufzufallen – mit „Gräfin Hohenstein“. „Das Haus hat eine Botschaft“, sagt Kurt Peters. „Nicht weggucken!“ Selbst in den dunkelsten Stunden hätten Reinhold Markwitz und seine Frau Hedwig Freundschaften zu Menschen unterhalten, die im Nazi-Regime verfolgt wurden.
Else Stockmann hat beispielsweise ab 1943 zeitweise im Landgut gewohnt: wegen Volksverhetzung zum Tode verurteilt und nur mit Glück von Köln ins Breibachtal geflüchtet. „Und möglicherweise gibt es auch eine Verbindung zu Ingrid Mertins“, vermutet Kurt Peters. Sie ist die Erstbesitzerin des Hauses am Breibacher Weg, für das der Kreis eine Abrissverfügung erlassen hat, weil keine Baugenehmigung auffindbar ist.
Es sei gut möglich, so Peters, dass unter dem indirekt durch Prinzessin Alice gewährten Schutz hier im ländlichen Kürten Verfolgte untergetaucht seien. Als Mitglied der englischen Königsfamilie sei die Prinzessin für Nazi-Funktionäre ein Tabu gewesen, meint Peters. In Athen, dem Sitz ihres Ordens, hat sich Alice von Battenberg persönlich für verfolgte Juden eingesetzt. Nach ihrem Tod wurde sie von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.
Das Seminar- und Freizeitheim des Ehepaars Peters lebt heute so wie früher von Stammgästen: Chöre und Orchester, Schulklassen, Sportvereine und Firmen halten hier ihre Freizeiten und Tagungen ab. Aber auch integrative Gruppen sind hier zu Gast.
Dies ist den Eheleuten Peters besonders wichtig: jungen Menschen mit einer Behinderung einen Treffpunkt anzubieten. Denn die Peters wissen, wie wichtig ortsnahe Angebote sind. Sie haben selbst eine erwachsene Tochter mit Behinderung. Doris und Kurt Peters sind die Gründer des Vereins Komm Mit, der seinen Schwerpunkt auch ins Landgut verlagert hat.
Für die Zukunft, sagt Kurt Peters, „haben wir noch viele Ideen“. Zum Beispiel den Ausbau des Dachgeschosses mit weiteren vier Zimmern. So viel steht fest: Von dort würde sich dem Gast ein malerischer Ausblick auf die grünen Wiesen der gegenüberliegenden Anhöhe eröffnen.