Rittergut „Varresbeck“Ein Stück Wuppertaler Geschichte

In Wuppertal litt das 1580 erbaute Haus unter dem starken Verkehr.
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Kürten – Wie viele Leben hat ein Haus? Im Falle des alten Ritterguts „Varresbeck“ offensichtlich nicht nur eines. Denn das imposante Fachwerkhaus, heute Teil des Gebäudeensembles von Gut Hungenbach in Kürten, hat die ersten 400 Jahre seiner Existenz nicht an der Sülz, sondern an der Wupper verbracht.
Dort hatte es an einer vielbefahrenen Kreuzung gestanden – wie aus der Zeit gefallen, vergeblich einem Verkehr trotzend, den seine Erbauer im Jahre 1580 nicht einmal erahnen konnten. Zuletzt in städtischem Besitz, verfiel das Gebäude, das als ältestes in Wuppertal galt, mehr und mehr, zuletzt grau verschiefert und halb eingesunken unter Straßenniveau.
Dabei hatte es schon bessere Zeiten gesehen. Im Jahr 1580 ließ das Adelsgeschlecht derer von Varensbeke das große Hofhaus erbauen, das damals noch weit vor den Toren des heutigen Wuppertaler Stadtteils Elberfeld lag.
Über dem mächtigen Kellergewölbe errichtete man das aus schweren Eichenbalken bestehende Fachwerk, das von einem Walmdach abgeschlossen wurde. Im Inneren des Hauses, das unter Experten als das am weitesten nach Westdeutschland vorgeschobene niedersächsische Gutshaus galt, beeindruckte vor allem die über zwei Geschosse reichende „Herrschaftsdiele“ mit den zwei offenen Kaminen. Das Haus verfügte insgesamt über 25 Räume.
Als die adelige Familie Varresbeck nach Lettland auswanderte, ging das Haus in bürgerliche Hände über. 1890 wurde dort eine Molkerei für sterilisierte Kindermilch in Flaschen betrieben. Im Jahr 1929 erwarb die Stadt Wuppertal das Gebäude. Hatte das Haus die Bombenangriffe auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg noch ohne Schäden überstanden, wurde ihm schließlich der zunehmende Straßenverkehr zum Verhängnis. Besonders Lastwagen mit Anhänger quälten sich um die Kurve, in die das alte Fachwerkhaus hineinragte.
Da das Gebäude allerdings bereits als schützenswert eingestuft worden war, lange bevor 1980 in Nordrhein-Westfalen das Denkmalschutzgesetz erlassen wurde, suchte man nach einer Lösung, die den Straßenausbau ermöglichte, ohne das Haus vollständig zu vernichten – die Versetzung des Hauses wurde debattiert.
„Dabei handelte es sich um einen recht frühen Fall der Translozierung“, berichtet Michael Sadowski von der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Wuppertal. Zwar habe es in Einzelfällen auch zuvor schon Umsetzungen gegeben, „aber das macht man immer nur im Notfall“.
Ab 1971 suchte man daher zunächst in Wuppertal nach einem neuen Standort für das Haus, wurde aber offenbar nicht fündig. Mit dem Architekten Hans Schwippert und der Ärztin Hildegard von Fragstein traten schließlich Interessenten von außerhalb auf den Plan. Sie wollten das Haus Balken für Balken in seine Einzelteile zerlegen und im bergischen Kürten wieder aufbauen, wo es als Altenheim dienen sollte.
Im August 1972 wurde das alte Gebälk schließlich auseinandergenommen, durchnummeriert und verladen. Wagen für Wagen verließ ein Stück Wuppertaler Geschichte die Stadt. „Schade an der Sache ist nur, dass Wuppertal das Haus verliert“, bedauerte der damalige Kulturamtsleiter beim Abtransport. „Wir weinen ihm ein paar Tränen nach.“ In Kürten angekommen, fiel Haus Varresbeck zunächst in einen Dornröschenschlaf. Er sollte 30 Jahre lang dauern.
Erst verhinderten baurechtliche Probleme den zügigen Wiederaufbau auf dem Gelände von Gut Hungenbach, da planungsrechtliche und denkmalschützerische Fragen ungeklärt waren, dann finanzielle Schwierigkeiten. Derweil lagerten die alten Balken unter großen grünen Planen, andere Fragmente des Hauses waren anderweitig untergebracht. Als ab 1999 endlich mit dem Aufbau begonnen werden konnte, waren Teile des Holzes so stark beschädigt, dass sie nicht mehr verwendet werden konnten. Dennoch gelang nach alten Plänen und mit Zugeständnissen an die Moderne, was Baumaterial und Nutzung betrifft, schließlich doch noch der Aufbau des Hauses, das heute als Tagungs- und Wellnesshotel dient. Nach dem Brand im angrenzenden Gutshaus Hungenbach bietet Haus Varresbeck zudem in der alten „Herrschaftsdiele“ auch ein Restaurant. Im Gewölbekeller, im Original noch unter der Erde, heute oberirdisch mit Panoramafenstern, soll künftig neben dem bereits vorhandenen Schwimmbad und der Sauna auch ein Trauzimmer eingerichtet werden.
Seinen Denkmalstatus hat Haus Varresbeck mit dem Umzug verloren, seinen historischen Charme hingegen nicht – vielleicht, weil ein Haus mehr ist, als die Summe seiner Balken.