LesenDas sind die Bücherschränke in Rhein-Berg

im Rhein-Bergischen Kreis gibt es insgesamt acht öffentliche Bücherschränke.
Copyright: Klaus Daub Lizenz
Rhein-Berg – Wenn man absichtlich langsamer umblättert, jeden Satz genau liest, das letzte Kapitel, die letzten Seiten so lange hinauszögert, wie es nur geht, dann hält man ein wirklich gutes Buch in den Händen. Bücherfreunde kennen und schätzen dieses Gefühl. Und genau dieses Gefühl, dieses Glück liegt im Bergischen Land buchstäblich auf den Straßen beziehungsweise steht im Regal.
Wo stehen die Bücherschränke im Kreis?
Klicken Sie auf die interaktive Grafik, um die Adresse eines Bücherschranks zu sehen.
Die Bücherschränke im Steckbrief
Meine Bücher: Hier gibt es viele dicke Schinken zu holen. Wer am Overather Bahnhof eine Reise antritt, kann sich am Bücherschrank mit ausreichend Literatur eindecken. Romantische Romane („Hoffnung im Tal der Tränen“) stehen neben Standardwerken der Geschichte („Propyläen Weltgeschichte“) und einem Sammelband von Edgar Allen Poe.
Mein Schmuckstück: Das dickste Buch im Schrank: „... und Damen des Klubs“. 1700 Seiten über die Wirrungen eines literarischen Frauenklubs um die Jahrhundertwende.
Äußere Erscheinung: aus Metall mit schwerer Glastür
Meine Geschichte: 2011 vom Bestattungshaus Pütz-Roth und dem Lions-Club gestiftet
Wer pflegt mich? Herr Bücken von der gegenüberliegenden Buchhandlung sieht nach dem Rechten.
Das ärgert mich: Werbeflyer haben hier nichts zu suchen. Ich bin kein schwarzes Brett und auch kein Mülleimer!
Meine Bücher: Im Rathaus treffen Menschen aller Altersklassen aufeinander, das spiegelt sich auch im Bücherschrank wieder. Das Angebot an Kinderbüchern ist groß: „Auf dem Bauernhof“ und „Mein großes Bärenbuch“ sind nur Beispiele. Erwachsene können sich die Wartezeit mit Krimis vertreiben. Wer richtig gräbt, findet auf dem untersten Regalbord, in der letzten Reihe noch richtige Schätze, wie eine Ausgabe von Thomas Manns „Die Buddenbrooks“. Im Buchdeckel steht eine handschriftliche Notiz: „Zu Weihnachten 1966“
Mein Schmuckstück: Ein Schmuckstück haben die Betreuerinnen vorerst aus dem Verkehr gezogen, in der Hoffnung, es versteigern zu können: ein illustriertes Märchenbuch von 1920 mit persönlicher Widmung.
Äußere Erscheinung: Eher von der schlichten Sorte: drei offene Holzregale in Buche-Furnier-Optik
Meine Geschichte: 2011 stellten Mitarbeiterinnen des Rathauses ein Bücherregal im Foyer auf, um ihre eigenen aussortierten Bücher anzubieten. Die Tauschbörse wurde so gut angenommen, dass es nun auch ein zweites Regal im Foyer des angrenzenden Jobcenters gibt.
Wer pflegt mich? Ria Schumacher und Alexandra Schlüter, Angestellte im Rathaus, sortieren die Regale regelmäßig durch.
Meine Bücher: Dieser Bücherschrank hat den größten Durchlauf, täglich ändert sich die Mischung: Mehrere Dostojewskis stehen neben „Villa Bernstein“ und „Wüstenblume“. Auch ein polnischer Groschenroman mit barbusigen Schönheiten hat sich hineingemogelt.
Mein Schmuckstück: Für Nostalgiker: „Das ZDF Sportjahr ’88“
Äußere Erscheinung: 800 Kilo schwer, aus Stahl, inklusive Türglöckchen
Meine Geschichte: 2010 vom Bestattungshaus Pütz-Roth und der Interessengemeinschaft Stadtmitte gestiftet
Wer pflegt mich? Herr Peck vom Modegeschäft Quo sortiert regelmäßig.
Meine Bücher: Viele Romane zum Schwelgen und Träumen: „Das Geisterhaus“ von Isabel Allende , „Nicht ohne meine Tochter“ oder auch „Die Nadel“ von Ken Follet.
Mein Schmuckstück: Wer eine Schwäche für mittelalterliche Kriminalromane hat, wird hier fündig: „Die Heilerin von Canterbury“ von Celia L. Grace.
Äußere Erscheinung: Schwedischer Schick – neben dem Billy-Regal stehen zwei gemütliche Ledersessel. Ein Kaffee- und Süßigkeitenautomat ist nicht weit.
Meine Geschichte: Als Birgitt Killersreiter 2009 die Leitung der VHS übernahm, stellt sie ein Regal im Flur auf, um die überschüssigen Pädagogik-Ratgeber, Sachbücher und Reiseliteratur ihrer Vorgänger auszusortieren. Dann hat sich das Prozedere verselbstständigt: VHS-Schüler nutzen den Schrank zum regen Büchertausch.
Wer pflegt mich? Zwei Mitarbeiterinnen der VHS kontrollieren täglich den Bestand des Bücherschranks.
Meine Bücher: Dieser Bücherschrank macht Laune. Hier findet man den humorvollen Reisebericht von Hape Kerkeling „Ich bin dann mal weg“ direkt neben zwei dicken Bänden von Wilhelm Busch, mehreren Italienisch-Wörterbüchern und einem Kochbuch aus den 80ern für Raclette-Gerichte.
Mein Schmuckstück: Die Autobiografie von Helge Schneider – Teil 1
Äußere Erscheinung: hölzern mit Klappen aus Plexiglas
Meine Geschichte: Im Juni 2013 bei der bundesweiten Sozialaktion „72 Stunden“ von mehreren Jugendverbänden in Schildgen gebaut und gestaltet worden
Wer pflegt mich? Ehrenamtler der Büchereien und Jugendverbände kontrollieren regelmäßig.
Meine Bücher: Sechs Bände Shakespeare, aber auch Kassenschlager aus den letzten zehn Jahren wie „Sakrileg“ von Dan Brown oder eine Serie von Eifelkrimis.
Mein Schmuckstück: Ein Wild-West-Roman in russischer Schrift
Äußere Erscheinung: Ehemalige Telefonzelle
Meine Geschichte: 2011 ersteigerte Kulturausschuss-Mitglied Robert Scheuermeyer die ausgemusterte Telefonbox aus Sachsen-Anhalt bei einer Internetauktion. Die Stadt machte sie zum Bücherschrank.
Wer pflegt mich? Friedhelm Iserhardt, Bärbel Bauer und drei weitere Paten. Jeden Tag ist einer vor Ort.
Das ärgert mich: Drei Kartons mit verstaubten, verschimmelten Büchern, die hier abgestellt wurden, darunter „Die neue Rechtschreibung“ aus dem Jahr 1976
Meine Bücher: Viele neuere Erscheinungen der Unterhaltungsliteratur aus den Beständen der katholischen Bücherei. Kultkrimis wie „Erntedank“ und historische Schinken wie Bischof Clemens August Graf von Galen, Band 1 und 2.
Mein Schmuckstück: „Uschi, Dieter und ein Dackel“ von Hans Licht, rührender Roman aus den 50ern für Kinder, illustriert mit schwarz-weiß Zeichnungen
Äußere Erscheinung: wetterfest und funktionell aus Metall, neben dem Schaukasten mit den Pfarrnachrichten platziert
Meine Geschichte: Zur Eröffnung des neuen Pfarrzentrums im Juni 2015 aufgestellt
Wer pflegt mich? Mitarbeiter der katholischen Bücherei
Meine Bücher: Ratgeber für sämtliche Notlagen des Lebens. Neben diversen Handbüchern für analoge Fotografie finden sich Kochbücher („Braten und Schmoren im Römertopf “ von 1970) und ein Schwangerschaftsratgeber von 1985, dessen plastische Geburtsfotografien Frauen wohl eher vom Kinderkriegen abhalten.
Mein Schmuckstück: Ein Päckchen Tarot-Karten, der spirituelle Ratgeber schlechthin also
Äußere Erscheinung: sechsstöckiges, offenes Regal, das sich um die eigene Achse dreht
Meine Geschichte: 2012 baute die Bankfiliale ihren Vorraum aus. Wo vorher Immobilienangebote an einer Litfaßsäule hingen, entstand ein offener Bücherschrank. Hier sind die Bücher trocken und vor Vandalismus geschützt.
Wer pflegt mich? Interessengemeinschaft Biesfeld
Sieben öffentliche Bücherschränke sind in den vergangenen fünf Jahren im Rheinisch-Bergischen Kreis ins Leben gerufen worden, vor Kurzem kam ein achter hinzu. Zur Eröffnung des neuen Pfarrzentrums in Refrath wurde im Juni ein neuer Bücherschrank aufgestellt, der von der dort ansässigen katholischen Bücherei betreut wird.
Das Prinzip, nach dem sämtliche Bücherschränke funktionieren, ist denkbar einfach: Jeder, der gern liest, ist eingeladen, sich an den öffentlichen Schränken und Regalen zu bedienen. Wem ein Buch gefällt, der darf es mitnehmen und behalten. Andersherum: Wer im heimischen Bücherregal Platz schaffen möchte, die Werke aber nicht wegwerfen oder verkaufen will, kann sie zu den öffentlichen Tauschregalen bringen und einsortieren. Allerdings sollten die Bücher in einem guten Zustand sein.
Geben und nehmen
Der Austausch erfolgt für beide Seiten anonym. Wer die Bücherschränke besucht, kommt schnell mit Leuten ins Gespräch. Elke Solmaz aus Bergisch Gladbach ist regelmäßiger Gast des Bücherschranks am Konrad-Adenauer-Platz. Im Gepäck hat sie eine große Tüte mit ausrangierten Schätzen, die sie nun leichten Herzens auf die Reise zu neuen Besitzern schickt. „Ich freue ich mich immer, wenn eins meiner Bücher mitgenommen wurde“, sagt sie.
Im Gegenzug besorgt sie sich hier auch neue Literatur für ihr heimisches Bücherregal, ihr letzter Glücksgriff: „Oma lässt grüßen und sagt, es tut ihr leid“ vom schwedischen Autor Fredrik Backman. Ein wunderbares Buch sei das gewesen, so witzig und klug, schwärmt Elke Solmaz.
Inzwischen hat sie einen Blick für die echten Schätze im Schrank. Zielsicher greift sie ein Kinderbuch mit den schönsten Weihnachtsgeschichten von Cornelia Funke und Ottfried Preußler aus dem Regal. „Das geht heute noch weg“, prophezeit sie. „Trotz Hochsommers.“ Sie soll recht behalten.
Liebevolle Pflege
Allen Bücherschränken ist gemein, dass sie liebevoll gepflegt werden. Meist kümmern die Verantwortlichen sich ehrenamtlich um die Schränke, kontrollieren den Bestand und sortieren unsachgemäße Literatur oder zu abgegriffene Bücher aus.
Ria Schuhmacher und Alexandra Schlüter, die die Bücher-Tauschbörse im Rathaus Kürten ins Leben gerufen haben, berichten, dass sich ab und an kriegsverherrlichende Literatur oder dubiose Ratgeber für religiöse Sekten unter den Bücherspenden befinden, die dann entfernt werden. Gleichzeitig finden so auch Bücher mit antiquarischem Wert ihren Weg ins Rathaus. „Der Haussekretär“ ist so ein Schmuckstück: Ein Ratgeber von 1910 mit vorgefertigten Brieftexten für alle möglichen Lebenslagen, nach denen man heute wahrscheinlich googeln würde: An die Braut zum Geburtstag, ein formelles Schreiben an die Bank oder einen Heiratsantrag an den Vater der Zukünftigen.
Lebensphasen im Schrank
Birgitt Killersreiter, Leiterin der Volkshochschule in Bergisch Gladbach, berichtet, dass das Sortiment zeitweise regelrechte Lebensphasen von Menschen widerspiegele. „Wenn sich plötzlich mehrere Bücher von Alice Schwarzer und Simone de Beauvoir im Regal finden, dann hat sich wohl gerade eine Frau von ihrer Emanzen-Phase getrennt“, sagt Killersreiter.
Einzig die Heinz-G.-Konsalik-Phase scheine in Bergisch Gladbach wohl nie abzureißen. „Seine Bücher stehen irgendwie ständig im Schrank.“