HistorieSchicke Villen in der bergischen Idylle

Schloss Osenau
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Odenthal – Mit Odin ist nicht zu spaßen. Bewaffnet bis unter den geflügelten Helm und flankiert von zwei furchteinflößenden Hunden thront der Einäugige in Feldherrn-Pose über „seinem“ Tal. Ob es sinnvoll war, ausgerechnet den Kriegs- und Totengott und Herrscher über die Herbststürme zur Speerspitze einer Bewegung zu machen, die für exklusives Wohnen in paradiesisch ruhiger Umgebung wirbt, mag dahingestellt sein.
Vielleicht ist die martialische Figur mit ein Grund dafür, warum das Projekt, für das sie anno 1902 warb, nie realisiert wurde: eine Villenkolonie für reiche Kölner im „Odinsthal“ zwischen Schildgen und Altenberg. Zehn Entwürfe sind dem zerfledderten Heftchen, das Historiker David Bosbach im Odenthaler Gemeindearchiv präsentiert, angefügt – prächtige Gebäude mit Türmchen und Erkern, die vermuten lassen, dass das zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Osenauer Schlösschen den Kölner Architekten Joseph und Edwin Crones als Inspiration gedient haben könnte. Als „Musterhaus“ für das ehrgeizige Projekt kam zudem das Schildgener Gut Hoverhof in Frage, entworfen von Wilhelm Hoffmann, der auch an der Drachenburg in Königswinter gearbeitet hatte.
Je nach Anspruch und Finanzlage der Interessenten, die ihre Odenthaler Villa entweder nur zur Sommerfrische oder zum „ständigen Landaufenthalt“ nutzen wollten, reichten die Preise von 6000 Mark (für 75 Quadratmeter) bis 30 000 Mark für 170 Quadratmeter bebauter Fläche. Reiche Kölner hat das vermutlich weniger abgeschreckt als die abgelegene Lage des 3700-Seelen-Ortes.
Ob das Tal zwischen Schildgen und Altenberg von den Bahnhöfen Bergisch Gladbach, Schlebusch und Burscheid „in angenehmen Fußwanderungen zu erreichen“ war, wie Autor Gustav Delpy schrieb, darf bezweifelt werden. Für potenzielle Villenbewohner mit Freude an ausgedehnten Wanderungen jedenfalls empfahl er schon mal zahlreiche Touren – unter anderem zur Schönen Aussicht auf dem Hahnenberg, von wo aus der Blick „ins Siebengebirge am Rhein und zu den Eifelbergen schweift“.
Aber nicht nur mit der Gegenwart, auch mit der Vergangenheit wollte Delpy punkten. Zwar sei nicht sicher, ob die germanischen Gottheiten tatsächlich ihre Hochsitze und Kultstätten hier in der Gegend gehabt hatten, „thatsächlich aber ist in der Überlieferung des Volkes, in Märchen und Sagen das Dhünthal mit Göttern und Helden der Vorzeit, mit Zwergen, weißen Frauen und namentlich mit Hexen bevölkert, von denen man sich an langen Winterabenden beim flackernden Herdfeuer die gruseligsten Geschichten erzählt“.
1902 jedenfalls „atmet alles ländliche Stille, Ruhe und Frieden; man hat das Gefühl, als ob in diesem Thale immer Sonntag wäre“. Kein Wunder, dass Amtsarzt Doktor Holthaus in dem beigefügten „Gutachten über die gesundheitlichen Verhältnisse“ die lange Lebensdauer der Bewohner des damaligen „klimatischen Luftkurortes“ preist, der eine ruhige Alternative zum Zwang des modernen Badelebens der Weltkurorte sei.
Gabriele Emrich hat das alles auch gelesen. Zur „Expedition Heimat“, organisiert vom Kulturbüro des Rheinisch-Bergischen Kreises, wird die Historikerin aus Bergisch Gladbach am Sonntag, 9. September, um 16.15 Uhr im Bürgerhaus Herzogenhof einen Vortrag mit dem Titel „Von der Marienburg in die Sommerfrische“ halten.
Lange hat sie in Archiven (unter anderem in Köln und Düsseldorf) recherchiert, versucht, Menschen zu finden, die über die Geschichte der Häuser, über die Architekten oder über die Gründe, an denen das Projekt gescheitert ist, irgendwas wissen könnten. „Das ist ein Mosaik aus Puzzlen“, beschreibt sie ihre Arbeit. Sicher ist: „Die Pläne sind nicht speziell für Odenthal entstanden. Interessiert waren die Architekten beispielsweise auch am Bröltal.“
Zudem seien derartige Broschüren typisch für die damalige Zeit gewesen. „Im Süddeutschen hat es ähnliches gegeben.“ Trotzdem sei das Projekt für Odenthal natürlich etwas Besonderes gewesen; eine Realisierung hätte die Entwicklung des Ortes entsprechend beeinflusst. Herausgefunden hat die Kulturwissenschaftlerin und Kulturlandschaftsführerin zudem, dass das Grab von Eugen Schmidt, dem ersten Besitzer des Hoverhofs, noch heute in Altenberg existiert. Villenkolonien für wohlhabende Großstädter lagen seinerzeit im Trend. „Durch das riesige Anwachsen der Städte werden deren Bewohner immer mehr der Natur entfremdet“, heißt es in dem „Führer durch das Odinsthal“.
Weil sich trotz „unwiderstehlicher Sehnsucht nach lauschigen Thälern, bewaldeten Höhen und kühlen Quellen“ aber niemand so ganz dem Zauber der Großstadt entziehen könne, müssten die Villen-Kolonien nach den Vorbildern Marienburgs, Brühls oder Godesbergs in der Nähe liegen.
Woran es lag, dass es mit der Villenkolonie nichts geworden ist, würde Gabriele Emrich gerne herausfinden. „Wir können nicht alle Fragen beantworten, aber das ist ein ganz spannendes Thema, das auch nach dem Vortrag noch nicht zu Ende ist“, betont die Historikerin – und kündigt jetzt schon weitere Recherchen zu dem Bauprojekt an, das Odenthal sehr verändert hätte.