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Schicksal aus OdenthalSchlimme Erinnerungen an eine Tragödie

Lesezeit 5 Minuten

Odenthal – „Wenn ich auf das Jahr zurückblicke, dann würde ich in jedem Fall sagen, es war ein Glücksjahr“, sagt Malcolm Breuer und schaut auf den Rollstuhl, der neben ihm im Wohnzimmer steht. Dieser Satz des 20-Jährigen klingt erstaunlich: Schließlich war er einer von fünf Insassen, die am 3.Oktober in dem Auto saßen, das um 21.45 Uhr an einem Baum an der Bergisch Gladbacher Straße in Voiswinkel zerschellte. Der 21-jährige Fahrer des alten Mercedes Kombi starb noch an der Unfallstelle. Breuer, der angeschnallt auf dem Beifahrersitz saß, kam mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Vinzenz-Pallotti-Hospital. Auch die anderen Passagiere wurden zum Teil schwer verletzt.

„Der 3. Oktober war mein erster freier Tag seit Anfang September. Ich hatte erst vier Wochen vorher eine Lehre als Speditionskaufmann in Wuppertal begonnen“, erinnert er sich. Abends schellte es überraschend an der Tür, sein guter Freund Michael (Name geändert) stand mit ein paar Kumpels vor der Tür. Er wollte sein neues, altes Auto vorstellen, einen 200 PS starken Kombi. „Ein ziemliches Geschoss“, wie Breuer rückblickend findet. Die Freunde setzten sich ins Auto, Michael bot Breuer an, auch mal zu fahren, machte noch eine Bemerkung, dass der Wagen schwer zu handhaben sei. „Ich bin dann mit allen bis Odenthal gefahren. Dann sind wir wieder zu uns nach Hause, um Pizza zu bestellen“, erzählt Breuer. „Dass das quasi unsere Henkersmahlzeit würde, daran hat keiner gedacht.“ Obwohl er eigentlich keine Lust hatte, noch einmal aus dem Haus zu gehen, willigte er schließlich ein, mit zu einem Kumpel in Holz zu fahren, stieg ins Auto. Alkohol getrunken habe keiner von ihnen. Auch die Polizei fand weder Drogen noch Alkohol im Blut des Unfallfahrers.

Breuer geht davon aus, dass sich sein Freund überschätzt hat. „Als wir losfuhren, sauste Michael schon an zwei Einmündungen vorbei, obwohl er dort Vorfahrt hätte gewähren müssen. Ich hab ihn noch angeranzt, er solle doch aufpassen“, sagt Malcolm. Auf der Landstraße Richtung Odenthal gab der Fahrer, der erst fünf Monate den Führerschein besaß, schließlich Gas, das Auto fing an zu schlingern. „Das Heck brach aus, ich habe ihn noch angebrüllt, er solle endlich bremsen. Dann merkte ich, wie der Wagen abhob und mit einem Knall, einem Geräusch, das ich nie vergessen werde, vor dem Baum landete. Danach wurde es schwarz, pechschwarz. So ein Dunkel habe ich noch nie vorher gesehen.“

Breuer bemüht sich, die Ereignisse chronologisch zu erzählen, unterscheidet bewusst zwischen eigenen Erinnerungen und dem, was ihm später Rettungskräfte oder die Familie über den Unfall berichtet haben. „Als ich endlich wieder etwas sah, hörte ich jemand laut schreien. Ich lag im Laub. Ein Feuerwehrmann sprach mich an, ob ich ihn erkennen würde. Mir schoss durch den Kopf, dass er derjenige ist, der den Traktor der Zitronensiedlung im Weiberfastnachtszug, wo ich schon Wagenengel war, fährt. Mein Körper fühlte sich an, als ob ich gleichzeitig tausend Schläge bekam, meine Beine kamen mir vor, wie von übergroßem Druck zusammen gepresst, das Atmen fiel mir schwer. Das Nächste, an das ich mich erinnere, ist dass ich im Krankenhaus aufgewacht bin.“

Später erzählte ihm die Polizei, dass er noch eine komplette Aussage gemacht habe, noch zu seinen Mitfahrern gesagt habe, alles werde wieder gut. Dass neben ihm sein guter Freund im Sterben lag, daran erinnert sich Breuer nicht mehr. Seine Lunge ist schwer gequetscht, beide Beine und das Becken zertrümmert. Breuer ringt in den ersten Tagen um sein Leben, hat viereinhalb Liter Blut verloren, die Ärzte versetzen ihn ins künstliche Koma, operieren mehrmals. Erst zwölf Tage später holen ihn die Ärzte aus dem Tiefschlaf. „Ich habe im Koma geträumt, auch von dem Unfall. Zuerst dachte ich, als ich aufwachte, ich hätte nur einen schlimmen Traum gehabt.“

Mutter und Vater, Familie und Freunde wechseln sich am Krankenbett ab, spielen Breuers Lieblingsmusik. Via Facebook hält sein Vater Freunde und Bekannte über das Geschehen im Hospital auf dem Laufenden. Die Anteilnahme in Odenthal ist riesig. Blumen und Bilder liegen bis heute am Unfallort, Kerzen brennen, erinnern daran, dass der Fahrer hier sein Leben verloren hat. „Für mich war einer der schlimmsten Gedanke, dass ich mich von meiner Familie nicht hätte verabschieden können, wenn ich das nicht überlebt hätte“, sagt Breuer. Sein Vater habe das als 13-Jähriger mit seinem eigenen Vater erlebt, als dieser plötzlich starb. „Noch einmal, das wäre schwer erträglich gewesen“, sagt Breuer. Seit der Zeit im Krankenhaus nimmt er psychologische Betreuung in Anspruch. Einmal erwacht, entpuppt er sich als Kämpfernatur. „Ich wollte wieder gesund werden, schließlich habe ich viel Glück gehabt. Ich habe den Blutverlust gut kompensiert, ich werde wieder laufen können. Deshalb muss ich und mein Bestes geben“, findet er.

Noch während der Sohn im Krankenhaus ist, organisiert die Familie den Umbau des Badezimmers im Haus, lässt seine Möbel aus dem Keller ins Erdgeschoss bringen, zieht selbst ins Souterrain. Nicht nur das Haus ist keineswegs rollstuhlgerecht, auch der Zugang zum Gebäude, das am Hang liegt und dessen Eingang nur über Treppen zu erreichen ist, ist für Rollstuhlfahrer ungeeignet. „Kumpels von der Thalfahrt haben geholfen, die Platten für den Weg ums Haus zu legen“, freut sich Malcolm. Am 5. November konnte er das Krankenhaus verlassen. „Ich bin dankbar, dass die Ärzte so einen super Job gemacht, wie viele Leute mir geholfen haben. Das ist das Schöne an einer kleinen Gemeinde wie Odenthal.“

Noch kommt jeden Tag der Pflegedienst, um ihn bei der Körperpflege zu unterstützen. Auch seine Physiotherapeutin Monika Baumanns ist täglich da. Dass noch ein langer Weg der Heilung vor ihm liegt, ist Breuer bewusst. „Im Januar werde ich wieder operiert, danach kommt eine Reha. Eventuell kann ich im März wieder auf eigenen Beinen stehen, “ hofft er. Denn seine Ausbildung will er unbedingt fortsetzen – zumal sein Lehrherr ihm signalisiert hat, dass er jederzeit willkommen sei, obwohl er die Lehre erst vier Wochen vor dem Unfall begonnen hatte. „Der Unfall gehört nun für den Rest meines Lebens zu mir“, resümiert Breuer. Die Tragödie habe aber auch positive Seiten. In seiner Familie regt sich niemand mehr über Kleinigkeiten auf. Alle sind näher zusammengerückt.