Kreissäge statt KrawatteWie ein Overather Tischler-Azubi den Nachwuchsmangel erklärt

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Arbeit an der Kreissäge: An die größeren Maschinen dürfen etwa Praktikanten noch nicht.

Overath – Ohne Google Maps ist der Ort kaum zu finden: Oberhalb von Overath liegt, idyllisch eingebettet in grüne Hügel mit Blick aufs Bergische Land, die Tischlerei „Formativ“. Mehrere große Häuser nebeneinander: Bürogebäude, Scheune mit Öfen, Werkstatt.

In verstaubter Arbeitshose und blauem T-Shirt kommt Markus Richerzhagen frisch von der Montage. Mittagessen gabs im Auto, jetzt geht die Arbeit weiter. Der 27-Jährige ist in der Ausbildung zum Tischler. Oder Schreiner, das bleibt sich gleich. „Ist so ein Nord-West-Ding“, erklärt Richerzhagen und rückt sich die Brille zurecht, „richtig ist aber beides.“ Eigentlich hat er vor einigen Jahren eine Ausbildung zum Bankkaufmann abgeschlossen. Dann ging es eine Zeitlang nach mit dem Rucksack durch Australien, und nach seiner Rückkehr war Richerzhagen sich sicher: Zurück in die Bank wollte er auf keinen Fall.

Ausbildungsplätze im Schreinereibetrieb sind Mangelware

Ein Tischler, übrigens, baut nicht nur Tische; er verarbeitet Holz zu den Dingen, die uns im Alltag umgeben. Die Arbeit umfasst Möbel, aber in vielen Betrieben auch Fenster, Türen oder Terrassen. Für Markus Richerzhagen war das eigentlich schon immer sein Traumjob. „Ich hab ein Praktikum bei einem Tischler in meiner Nähe gemacht, und obwohl ich da auch viel nebendran gestanden habe wusste ich schnell: Das will ich machen!“ Einen Ausbildungsplatz gab es bei diesem Betrieb dann aber nicht, also wurde es doch erst einmal die Lehre bei der Bank. Über eine Arbeitskollegin, die Kontakte in das Handwerk hat, kam Richerzhagen dann nach seinem Abschluss wieder aufs Tischlern.

Seine Berufsschulklasse ist gut belegt. Es gibt tatsächlich viele, die sich für die Ausbildung interessieren – die Ausbildungsplätze selbst bleiben aber Mangelware. Markus Richerzhagen kommt aus Bergisch Gladbach und musste sich durchfragen, bis er in Overath schließlich fündig wurde. Denn obwohl es noch einige Tischlerbetriebe im Rheinisch-Bergischen Kreis gibt, bilden nur die wenigsten noch selbst aus.

Ausbildung in der Tischlerei

Gehalt, Dauer, Urlaub

Drei Jahre dauert die Ausbildung.

Das Gehalt variiert rund um die 600 bis 900 Euro monatlich je nach Betrieb und Ausbildungsjahr, mit 24 Urlaubstagen.

Gearbeitet wird acht Stunden pro Tag, beginnend je nach Ablauf um acht oder auch schon um sechs. Wochenendaufträge sind eher selten.

Zwischen Montage und Werkstatt

„In der Bank hab ich mir morgens meinen Kaffee gemacht und dann geguckt, okay, was steht heute an. Die Kunden waren danach zufrieden oder nicht, das zeigten aber viele auch nicht“, erinnert sich Richerzhagen. Formulare ausfüllen, Policen verkaufen, Kunden abfertigen. „Hier aber wird es niemals langweilig. Jeder Tag ist ein anderer Tag, ich komme morgens in die Werkstatt, werfe die Maschinen an, der Chef erklärt was ansteht: Innerhalb von fünf Minuten kann sich alles drehen, dann fahre ich vielleicht doch auf Montage oder es gibt neue Aufträge.“

Das Auf-Montage-Fahren – das heißt in der Ausbildung: beim Kunden vor Ort beobachten, wie etwa ein Möbelstück geliefert und aufgebaut wird – ist für Richerzhagen wahnsinnig wichtig. „Du werkelst in der Werkstatt rum als wärst du daheim“, erklärt er. „Und dann schaust du dir das vielleicht an und denkst, hm, mal sehen. Aber auf Montage passt es dann plötzlich perfekt rein, und die Kunden sind richtig dankbar. Schon ein kleines Möbelstück kann optisch extrem viel verändern.“ Sein erster Job im neuen Handwerk war übrigens das Schleifen der Treppe in seinem Elternhaus. „Wenn wir Besuch haben, sagen meine Eltern heute noch: Guckt euch die Treppe an, das war Markus!", grinst der Azubi.

Fachkräftemangel: Arbeitszeiten und Gehälter als Auslöser

Richerzhagen ist im zweiten Ausbildungsjahr. Über den Fachkräftemangel in seinem Beruf denkt er häufig nach. Er ist sich sicher, dass der mit den Ausbildungsbedingungen zusammenhängt. „Die Arbeitszeiten und das Gehalt sind auf jeden Fall Gründe, warum das hier nicht jeder machen will“, sagt er, während er in der Werkstatt ein Kreissägenblatt austauscht. Es riecht süßlich und stechend, ein Kollege hat gerade im Lackraum zu tun.

„Viele sind sich auch zu fein, klassische Handwerksarbeiten auszuführen, wie Maurer oder so, die sind noch viel schlechter dran. Aber auch bei uns weiß ich, dass wir nie eine 35-Stunden-Woche bekommen können und ich woanders mehr Urlaubstage hätte. Aber die Ausbildung gibt dir etwas, was dir niemand mehr nehmen kann. Achtung, wird laut.“ Die Kreissäge jault los. Die Platten, die Richerzhagen zerschneidet, sind nur Überreste. Er zerschlägt sie mit lautem Knall in kleinere Bruchstücke, die ein Gebäude weiter zerhäckselt werden. Mit diesem Holz wird der große Ofen angeworfen, der die Werkstatt wärmt.

Ausbildungsberufe noch zu schlecht beworben

Das Ofen-Saubermachen ist eine der Arbeiten, die Markus Richerzhagen so gar nicht gerne macht, aber auch das gehört dazu. „Schade nur, wenn man einen Praktikanten da hat und es ist wenig los, die dürfen nicht an die Maschinen wegen der Versicherung, und dann sehen sie vielleicht nur sowas wie das hier“, sagt er und lacht, während die Asche um ihn herum Wolken staubt. Das niedrige Gehalt schrecke auch einfach viele ab, schätzt er. Richerzhagen selbst wohnt wieder bei seinen Eltern, um sich finanzieren zu können.

Die Hälfte von Richerzhagens Berufschulklasse hat das Abitur, das erstaunt ihn selbst. Er schätzt aber auch, dass Ausbildungsberufe nach wie vor auf Gymnasien nicht gut genug beworben werden. „Das Handwerk muss mehr an die Leute herangeführt werden“, betont er und zieht verschiedene Holzplatten aus einer Halterung, um sie zu überprüfen, während er lächelt. „Diesen Job musst du schon mit Leidenschaft machen.“ 

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