Serie: Naturbeobachtung als SportDer Distelfink, ein ausdauernder Akrobatiker

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Ein Distelfink-Männchen auf einer Nahrungspflanze am Rösrather Sülzufer.

Ein Distelfink-Männchen auf einer Nahrungspflanze am Rösrather Sülzufer.

  • Mit Feldstecher und Bestimmungsbuch bewaffnet hat unser Redakteur Gisbert Franken den Distelfink beobachtet und war begeistert von dessen Fähigkeiten.
  • Immer mehr Menschen entdecken die Naturbeobachtung als Sport für sich. Wir haben uns bei dieser Folge unserer Serie von einem Fachmann begleiten lassen: Thomas Strumpf von der Arbeitsgemeinschaft Bergischer Ornithologen.
  • Er erklärt uns, warum der Distelfink ein besonders schräger Vogel ist. Beim Ernten von Pflanzensamen hat er gleich sieben verschiedene Verrenkungen drauf, die so kein anderer Singvogel hinbekommt.

Rhein-Berg – Es ist das Jahr des Distelfinks. Wenn es so weiter geht mit dem Klima wie prognostiziert, könnte bald jedes Jahr das Jahr des Distelfinks werden, aber erstmal freut er sich, dass es mit den Disteln dieses Jahr so prima läuft. Denn die sind seine Leib- und Magenspeise und die brauchen es halt trocken und warm, damit die Samen ausreifen können. Kam das Jahr zu nass und kühl daher, hieß das früher, dass die Distel der Sense oder dem Balkenmäher zum Opfer fiel, bevor sie ausreifen konnte.

Ohnehin konnten die pieksigen Gewächse nur eine Paria-Existenz an Wegrändern und Böschungen fristen, denn in einem ordentlichen Garten wurden sie natürlich nicht geduldet. Disteln und Dornen sind in der Bibel schon ein Synonym für menschenfeindliches Ödland. Kein Wunder also, dass der Distelfink, auch Stieglitz genannt, zu einem raren Vogel wurde, der sich fern von intensiver menschlicher Wirtschaftsweise in Heidelandschaften tummelte.

Irgendwie sieht er nach Clown aus

Die Serie

Ein neues Hobby hat sich ausgebreitet: Naturbeobachtung als Sport. Redakteur Gisbert Franken greift zum Feldstecher und zum Bestimmungsbuch. Tipps gibt Thomas Stumpf von der Arbeitsgemeinschaft Bergischer Ornithologen. (ksta)

In diesem Frühjahr und Sommer schaue ich aber kaum aus dem Fenster ohne ihn irgendwo in meinen Blickfeld herumturnen zu sehen. Selbst mit der Lesebrille auf der Nase und durch ungeputzte Scheiben ist der exotische Farbcode zu eindeutig, um den Piepmatz zu verwechseln. In England ist er zwar als European Goldfinch unterwegs, das heißt also als Goldfink, wegen seiner gelben Rallye-Streifen an den Flügelkanten wohl, aber eigentlich ist seine rote Gesichtsmaske mit schwarzem Augenstreifen und weißen Backen das charakteristischste Element seiner Aufmachung. Irgendwie sieht es nach Clown aus und dazu passt seine Akrobatik. Und das schwarz-weiß geschachte Flimmern der Schwanzfedern im Flug passt zur karierten Hose.

Was den Stieglitz zur Zirkusnummer macht, sind seine sehr speziellen Bewegungsabläufe bei der Ernte der geliebten Sämereien. Der Fachmann unterscheidet sieben Verrenkungen, die kein anderer Singvogel drauf hat und da sind schon ordentliche Turner wie die Blaumeisen und Schwanzmeisen dabei. Die typischste Position ist die Querlage am dünnen Stängel einer hohen Staude, die sich unter dem Gewicht des Vögelchens federnd zur Seite biegt, bis sie waagerecht liegt oder gar fast den Boden berührt.

Der Distelfink ist der Herscher seiner ökologischen Nische

Sind die Halme zu dünn um ihn zu tragen, umfasst der Stieglitz mehrere mit seinen Krallenfüßen und baumelt so an einem ganzen Bündel der Rispen, während er die Samen abliest und allmählich von unten nach oben beziehungsweise außen rutscht. Die Koordination von Fuß- und Schnabelarbeit ist mit erheblichem Aufwand verbunden. Nicht jeder Samenfresser kann das und deswegen ist der Distelfink der Herrscher seiner ökologischen Nische.

Diese Spezialisierung hat ihn auch zu einem Diätplan geführt, der bei Singvögeln selten ist. Er kommt nämlich fast ohne Insekten aus, auf die andere Vögel bei der Jungenaufzucht nicht verzichten können. Auch der Stieglitz füttert Kerbtiere bei, aber im Wesentlichen kann er seine Jungen auch schon mit Samen ernähren, die allerdings erstmal im Kropf des Weibchen vorgeweicht werden.

Er ist ein geduldiger Vogel

Das Männchen füttert also zunächst nur das Weibchen, das dann später die Jungen atzt. Und weil er so geduldig Sämchen für Sämchen abpickt, ist er auch bei Insekten geduldig und füllt den Kropf mit Blattläusen und anderen Kleinviechern, wo die Meisen fette Raupen vorziehen. Auch die Blattläuse werden mit den gleichen Turnübungen geerntet wie das Gesäme.

Wer sich mit Vögeln auskennt, den erinnert das an Tauben, die ebenfalls sehr geduldig im Auflesen kleinster Nahrungsbröckchen sind, ihre Brut ohne tierisches Eiweiß aufziehen und die harte Kost im Kropf vorgaren, bevor sie es dem Nachwuchs in den Schlund stopfen. Tauben sind den Weg allerdings noch etwas weiter gegangen, indem sie auch Kropfmilch absondern, mit der sie ihre Jungen in den ersten Tagen päppeln.

Das Nest ist mit bester Ausguckqualität angelegt

Geduld und Ausdauer zeigt der Stieglitz auch beim Abernten seiner Nahrungspflanzen. Wird er gestört, kommt er wieder und gibt keine Ruhe, bis der Baum, Strauch oder das Gebüsch abgeerntet ist. Ein Revier kennt er nicht, sondern er fliegt die ganze Gegend ab und teilt sich die Nahrungsquellen auch mit anderen Brutpaaren. Das Nest selbst ist möglichst hoch und in guter Deckung mit bester Ausguckqualität anlegt.

Das Paar setzt zwar nur fünf Eier ab, legt aber obligatorisch eine zweite Brut an. Vom Mai bis Ende Juli steht der Fink im Brutgeschäft. Und noch etwas zeichnet den Stieglitz aus: Bevor die Balz im April beginnt, übt er wochenlang seinen Gesang ein, mit der er dann die Liebste beeindrucken will. Mit dem bunten Federkleid geht das alleine nicht so gut, denn darin steht sie ihm nicht viel nach.

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