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Interview mit Landrat„Wir haben in Rhein-Berg Personalnot auf allen Ebenen“

Lesezeit 6 Minuten
Stephan Santelmann, Landrat des Rheinisch-Bergischen Kreises, sitzt an einem Tisch.

Stephan Santelmann, Landrat des Rheinisch-Bergischen Kreises, im Interview.

Stephan Santelmann spricht über die Debatte zur kurzfristigen Einbringung von Anträgen über 80 neue Stellen und seine Pläne für 2023.

Im Zusammenhang mit Ihrer überraschenden 80-Stellen-Sitzungsvorlage für die Kreispolitik mussten Sie sich Ende vorigen Jahres scharfe Kritik anhören. Im neuen Jahr im Personalausschuss klang das schon wieder viel friedlicher. Wie geht es nun weiter mit den 80 zusätzlichen Stellen?

Santelmann: Wir hatten ein Verfahren gewählt, die Stellen im Änderungsdienst des Haushalts einzubringen, das wir nicht noch einmal anwenden werden. Im Personalausschuss wurde dann eine noch differenziertere Betrachtung gewünscht. Die haben wir für jede Stelle erarbeitet und in die Fachausschüsse eingebracht.

Warum haben Sie das alles erst nach dem Eklat getan?

Unverständnis haben wir ganz sicher ausgelöst mit unserem Vorgehen und stellen jetzt auf der Grundlage eines Kriterienkatalogs sehr große Transparenz zur Begründung des Stellenmehrbedarfs her. Das haben wir im Herbst so nicht geschafft.

War Zeitnot der einzige Grund? Sie haben doch sicher geahnt, dass es einen Aufschrei geben würde – bei der Vorgeschichte.

Der vollständige Umfang des Stellenbedarfs hat sich über das ganze Jahr 2022 entwickelt und ist in der Verwaltungsspitze im Oktober abschließend zusammengetragen worden. Die Stellenplanerweiterung im Einzelnen war im Haushalt zunächst nicht vorgesehen. Wir sind auf Hinweis der Personalverwaltung dem durchaus üblichen Weg gefolgt, das im Änderungsdienst einzubringen. Es war dann alles sehr kurzfristig.

Woran lag es, dass die Dimension nicht absehbar war?

Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Es geht ja nicht uns alleine so. Ein Beispiel: Auch das Bundesamt für Katastrophenschutz braucht 120 neue Stellen im Haushalt 2023. Wir haben auf allen Ebenen einen wahnsinnigen Nachholbedarf, beim Bund, beim Land und bei den Kreisen. Das war im Frühjahr in der Dimension noch nicht so zu erkennen. Auch gab es eine Vielzahl von gesetzlichen Aufgabenmehrungen.

Es wurde nicht nur im Kreistag Porzellan zerschlagen, sondern auch im Verhältnis zu den Kommunen. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind enttäuscht bis empört. Wie wollen Sie das wieder kitten?

Bei allen Differenzen, die auch in den unterschiedlichen Zuständigkeiten begründet sind, ist der Gesprächsfaden zu den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern nie abgerissen. Das Problem ist aber doch ein anderes: dass wir nämlich Personalnot und Personalbedarf auf allen Ebenen haben. Das sehe ich ja als Kommunalaufsicht auch. Der Wille, den Kommunen entgegenzukommen, ist in Kreisverwaltung und Kreistag überaus stark. Das gilt für ganz viele Bereiche, ob Schule, Sozialarbeit, Pflege oder Krankenhäuser.

Schauen wir mal auf Ihr eigenes Haus. Die gleiche Frage wie in den Vorjahren: Wie sieht es mit der Erweiterung und Sanierung des Kreishauses Am Rübezahlwald aus?

Stand der Planung des beauftragten Büros ist, dass Trakt A dieses Jahr fertig wird. Die Abnahme ist für Juli vorgesehen, auch die Arbeiten an der Fassade werden abgeschlossen. Zurzeit befassen wir uns mit der konkreten Belegungsplanung, weil wir ja die Dienststellen aus dem Kreishaus Gronau hierhin bringen wollen.

Dafür war die Kreishauserweiterung am Rübezahlwald ursprünglich ja mal geplant. Ist denn nach der erneuten Erweiterung immer noch nicht genügend Platz in Heidkamp?

Wir arbeiten derzeit ein strategisches Raumkonzept für die nächsten Jahre aus, welches wir auch mit Überlegungen in Bezug auf die Stellenplanerweiterungen bis Sommer vorlegen werden.

Rhein-Berg: Fokus auf Katastrophenschutz

Braucht denn überhaupt noch jede und jeder Mitarbeitende einen eigenen Arbeitsplatz angesichts von immer mehr Homeoffice?

Klar bleibt auch der Arbeitsplatz im Kreishaus für die Kolleginnen und Kollegen wichtig. Zum Thema Homeoffice gehört deswegen auch das Thema Desksharing, also Schreibtisch teilen, zu ganz unterschiedlichen Arbeitszeiten. Im Sozialamt und im Personalamt zum Beispiel wird das bereits gelebt. Dieses Prinzip wollen wir auf die ganze Verwaltung ausweiten und arbeiten daher zurzeit an zwei Dienstvereinbarungen, zum Desksharing und zur „DV Flex“, zur flexiblen Arbeitszeit. Faszinierend finde ich, dass die zunehmende digitale Kommunikation dazu geführt hat, dass sich Leute, die in Gesprächen und Konferenzen aus den verschiedensten Gründen sehr zurückhaltend waren, auf einmal Dinge in Chatverläufe reinschreiben und sich melden. Das ist eine Verbesserung von Kommunikation.

In digitaler Kommunikation entstehen aber auch Missverständnisse, die es früher in Präsenzkonferenzen nicht gegeben hat.

In meinen Augen sind insbesondere Videokonferenzen ein positiver Aspekt, der aus der Coronazeit übriggeblieben ist. Im Ergebnis hat sich die Bandbreite guter Kommunikationsmöglichkeiten erweitert.

Was steht als Wichtigstes für Sie in diesem Jahr noch an?

Der Katastrophenschutz hat auf allen Ebenen enorm an Bedeutung gewonnen. Wir haben uns im Kreis auf das Konzept der Notfallinformationspunkte verständigt. Die Kommunen legen die Standorte für diese Hilfe für die Bevölkerung im Katastrophenfall fest. Zudem stellt sich die Frage, wie wir die Selbstschutzmöglichkeiten der Bevölkerung weiter stärken können. Beim Bundesamt gibt es aktuell Überlegungen zu einem Selbstschutztag. Ich begrüße das. Wichtig ist hier auch eine mögliche Einbindung von Spontanhelfern im Katastrophenfall.

Was ist mit der Energiewende?

Da sind wir weiterhin sehr stark unterwegs. Die Landräte in NRW hatten eine intensive Diskussion mit Wirtschaftsministerin Mona Neubaur zum weiteren Ausbau der Wasserstoffwirtschaft. Ich habe an Frau Neubaur appelliert, dass wir nicht nur Thyssen unterstützen müssen, sondern auch die chemische Industrie hier in der Region. An diesem Thema werde ich dranbleiben.

Was macht die Realisierung des Grünen Mobilhofs mit Wasserstofferzeugung und -Tankstelle?

Ich bin optimistisch, dass wir gute Chancen auf eine Förderung haben. Die Flächenfragen, die zuletzt noch offen waren, konnten zwischenzeitlich geklärt werden.

Hat sich denn der ÖPNV vom Corona-Einbruch erholt?

Der ÖPNV ist weiterhin einigen Herausforderungen ausgesetzt. Die Energiekostensteigerungen, die Einnahmeverteilung mit dem Deutschlandticket oder auch die Verkehrswende und der Ausbau der Infrastruktur. Da stellen sich viele finanzielle Fragen, die noch zu lösen sind. Mit GO-Rheinland, dem VRS und dem Land arbeiten wir aber an Lösungen. Was die Verspätungen im S-Bahn-Bereich angeht, haben wir mit der Deutschen Bahn deutliche Gespräche geführt. Das hängt ja alles miteinander zusammen: attraktives Ticket, einfaches elektronisches Ticket, Infrastruktur, aber auch Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Das hat die Deutsche Bahn auch mitgenommen.

War denn schon etwas davon zu spüren?

Wir werden an dem Thema dranbleiben müssen. Wir haben sehr deutlich gemacht: Bei aller Personalnot muss es eine vernünftige Kommunikation von Seiten der Bahn geben und vor allem Lösungen, gegebenenfalls mit Bussen und Taxen. Bei all diesen Themen ist eine gute regionale Kooperation von größter Bedeutung. Beispielsweise bekommt Wuppertal im Jahre 2031 die Bundesgartenschau, welche auch in unseren Kreis mit Themen wie u.a. Tourismus und Mobilität aber auch Klimaschutz hineinstrahlen wird. Ich habe dem dortigen Oberbürgermeister in dem Zusammenhang sofort unser Aqualon, unsere Wasserkompetenz, als einer der „Satelliten“ zur BuGa ans Herz gelegt. Das ist landesweit eine ganz besondere Fähigkeit, die wir hier haben.

Besteht bei der Vielzahl von Projekten nicht die Gefahr, dass Sie sich verzetteln?

Beim Kreis und in der Region sind wir gut aufgestellt. Wir haben gute Unterstützung auch im Förderdschungel, allerdings stellt sich manchmal die Frage, ob es ausreichend Förderprograme und die richtigen Richtlinien gibt. Im Grunde fehlt beispielweise eine Förderrichtlinie Wasser. Hier sind wir zurzeit mit dem Land im Gespräch.

Als Kreis mögen Sie den Weg durch den Förderdschungel gut finden. Aber was ist mit den kleineren Kommunen?

Wir leisten Unterstützung für die Kommunen, wenn dies gewünscht wird. Jedoch wird an Bundes- und Landesebene der Wunsch nach vereinfachten Verfahren, leichter umsetzbaren Standards und mehr Digitalisierung herangetragen. Das Land prüft dies bereits. Wir sehen darüber hinaus aber auch im Bereich der Gewinnung von Fördermitteln jetzt schon das Thema Fachkräftemangel, denn es fehlen nicht alleine bei den Behörden die Mitarbeitenden. Wir werden überall, gute Lösungen zur Bewältigung des Fachkräftemangels brauchen, von guter Bildung bis Telearbeit, von intelligenten Arbeitszeitmodellen bis zur Digitalisierung von Arbeitsprozessen.

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