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So leben wir in Rhein-BergSchäfchen zählen auf Biesfelder Höhen

Lesezeit 3 Minuten

Rhein-Berg – Wenn Claudia Nolde morgens die Augen aufschlägt, sieht sie den Himmel und ein paar Baumwipfel. Riesige Fenster über und neben ihrem Bett machen’s möglich. „Ich lebe meinen Traum“, schwärmt sie und meint damit auch ihr 100 Jahre altes, verwinkeltes Fachwerkhaus auf der Höhe über Biesfeld.

Seit Sommer 2013 ist die zupackende Selfmadefrau hier oben in der Einsamkeit zu Hause, zusammen mit Tochter Lotti (9), 80 Hühnern, 40 Gänsen – und vier Australian Shepherds, die nicht nur die kleine Familie eifrig bewachen, sondern auch derzeit 160 Mutterschafe und ihre Lämmer, die Claudia Nolde im Stall eines Landwirts in der Nachbarschaft „parkt“. Die Bentheimer Landschafe, eine alte EU-geförderte Rasse, sind ihr Lebensunterhalt: Die Tiere grasen in den Naturschutz-Zonen – im Auftrag von Nabu, Biologischer Station oder des Kreises. So wird die schützenswerte Kulturlandschaft vor Verwilderung bewahrt.

„Ich wollte schon als Kind Schäferin werden und in der bergischen Natur leben“, erinnert sich die „kleine“ Schwester von sieben älteren Brüdern, die in Leverkusen-Manfort aufgewachsen ist. „Die Urlaube bei Oma Berta auf dem Land waren schon früher die glücklichste Zeit meines Lebens.“ Doch erstmal ist Geld verdienen angesagt: Vertriebslehre bei Krupp, BWL-Studium, Chefin von 16 Sunpoint-Studios. „Ich wollte eine schnelle Karriere, um meinen Traum zu finanzieren“, erklärt Claudia Nolde. Mit der gleichen Zielstrebigkeit eignet sie sich fundiertes Fachwissen über Tierzucht und Tierhaltung an. Vor etwas über vier Jahren verkauft sie alles für die ersten zwei Schafe und vier Hühner.

Jetzt öffnet uns eine strahlende Blondine, die in so gar kein Klischee passt. Claudia Nolde, hochgewachsen und schlank, trägt matschige Boots und lehmfarbene Chinos. Augen und Lippen sind sorgfältig geschminkt, die Nägel lackiert, die langen Haare schmücken rote Strähnchen. Es gibt selbst gebackenen Nusskuchen und Kirschstreusel am großen Esstisch, auf gemütlichen Korbsesseln mit Blick in eine offene Küche, der man ansieht, dass die Bewohnerin mit Leidenschaft kocht und Gäste bewirtet. Auf berstenden Fachwerk-Balken stehen edle Gerätschaften, Gläser, ein Profi-Grill thront über dem gekachelten Holzofen.

Im Wohnzimmer gibt es einen alten unterirdischen Brunnen, der jetzt, mit Holzbalken abgedeckt, einen perfekten Resonanzboden für den Flügel abgibt. „Immer wieder ist hier angebaut und ausgebaut worden“, sagt Claudia Nolde und zeigt auf einen Wintergarten, in dem sie gerade ein vier Wochen altes Böckchen aufpäppelt. Eine antike schmiedeeiserne Treppe führt in die oberen Räume. Viel Platz hat die Tierfreundin auch draußen. „Ich habe oft Besuch von Freunden, obwohl wir hier so ab vom Schuss sind“, sagt sie. Bauer, Philosoph, Manager – je unterschiedlicher die Menschen, desto spannender. So richtig einsam ist es nur nachts: „Hier wird es wirklich stockschwarz, aber auch das finde ich toll.“

Nicht ganz so toll fand Tochter Lotti am Anfang den Umzug aus der Vorzeige-Villa in der Gronauer Waldsiedlung und den Abschied von ihrer Waldorfschule. „Aber jetzt will sie nicht mehr weg“, versichert die Mutter. Lotti gehe nun im rund 1,5 Kilometer entfernten Biesfeld zur Schule und habe sich gut eingelebt. Freundlich ist Claudia Nolde auch von – fast – allen Nachbarn in der Gemeinschaft aufgenommen worden. „Das habe ich so richtig gemerkt, als ich vor kurzem einen Bandscheibenvorfall hatte und mich ein paar Wochen kaum bewegen konnte. Viele haben mir geholfen, die Tiere zu versorgen.“

Trotzdem: Eine moderne, selbstbewusste Frau mit Tochter und all den Tieren allein hier draußen, die ihr Geld mit harter Knochenarbeit verdient und sich in ihrem Lebensstil um keine Konventionen schert, „das ist schon gewöhnungsbedürftig“, gibt Claudia Nolde zu. „Und was glauben Sie, wie sie im Dorf geguckt haben, als ich das erste Mal mit meinem amerikanischen Sportwagen, einer Doge Viper, vorgefahren bin – die ist knallgelb und hat 700 PS!“