Fast verhungerte AlinaMutter muss jahrelang in Haft – Richterin mit deutlichen Worten

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Urteil Alina

Die Mutter der fast verhungerten Alina ist am Montag vor dem Landgericht Köln verurteilt worden.

Köln/Bergheim – Im Prozess um die fast verhungerte Alina ist die dreifache Mutter Monika S. (24, alle Namen geändert) vor dem Landgericht Köln wegen versuchten Mordes durch Unterlassen zu einer Haftstrafe von neun Jahren verurteilt worden, ihr Partner Kevin B. (23) muss für sieben Jahre hinter Gitter. Im Gegensatz zur Anklage ging die Kammer von gleich zwei Mordmerkmalen aus: Grausamkeit und Verdeckung einer Straftat. Die Staatsanwaltschaft hatte für die Mutter noch elfeinhalb Jahre, für den Partner achteinhalb Jahre Gefängnis gefordert.

Im August war die knapp sechsjährige Tochter Alina mit nur noch 8,2 Kilogramm Körpergewicht bei einer Größe von 98 Zentimetern in akut lebensbedrohlichem Zustand auf Veranlassung des Jugendamtes in die Klinik gebracht worden. Alina konnte zu diesem Zeitpunkt vor Schwäche weder sitzen, noch stehen, geschweige denn gehen, und war bis auf die Knochen abgemagert.

Es sei ein „wahres Wunder gewesen“, dass sie die lange Zeit der Verwahrlosung und Misshandlung überhaupt durchgestanden habe, hatte es im Prozess von Seiten der Rechtsmedizin geheißen. Die Klinikärzte hatten zu Protokoll gegeben, „Bilder eines derart verhungerten Kindes kenne man nur aus Afrika“.

Fast verhungerte Alina: So begründet die Richterin das Urteil

Monika S. und Kevin B., der nicht der Vater von Alina ist, hätten das Mädchen „über lange Zeit grausam gequält, roh misshandelt und böswillig vernachlässigt, ihm dabei großes Leid zugefügt“, sagte die Vorsitzende Richterin Sabine Kretzschmar in der mehr als dreistündigen Urteilsbegründung.

Darin ging sie zunächst auf die verblüffend ähnlichen Charaktermerkmale der beiden Angeklagten ein. Beide stammten aus schwierigen Familienverhältnissen, hätten „kaum Ideen für eine sinnvolle Lebensgestaltung“, eine deutliche Selbstbezogenheit und seien in ihrem Verhalten „geprägt von Verantwortungslosigkeit“. Hinzu käme eine „extrem ausgeprägte Lebensunzufriedenheit, eine niedrige Leistungsbereitschaft und eine überaus große emotionale Instabilität“.

„Sexualität und der Drogenkonsum“ verbinden Bergheimer Paar

Einziges Bindeglied zwischen dem Paar sei die „Sexualität und der Drogenkonsum“. Zu aktivem Vorausschauen und Handeln seien beide nicht fähig, obwohl sie durchaus in der Lage gewesen seien, die Realität zu erkennen. Zudem hätten beide eine „gefühllose Gesinnung“ gegenüber Alina an den Tag gelegt.

Alina war beiden „gleichgültig, lästig“, im Gegensatz zu ihrem ein Jahr jüngeren Bruder, um den sich offensichtlich gut gekümmert wurde. Als Alina im November 2014 zur Welt kam, hatte der Vater bereits das Weite gesucht und Monika S. allein gelassen. Die Mutter habe diese negativen Erfahrungen auf die Tochter projiziert, hieß es dazu als Erklärungsansatz des Gerichts. Zudem habe sich Monika S. stets einen Jungen gewünscht, der ein Jahr später zur Welt kam – von dem Mann, den Monika S. vier Wochen nach Alinas Geburt geheiratet und 2019 dann vor die Tür gesetzt hatte.

Bergheimerin erfindet schwere Krankheit

Gegenüber ihrer Umwelt, Verwandten und Bekannten habe Monika S. mit einer Verschleierungstaktik versucht, den Zustand der Tochter schön zu reden. Während Alina oft stunden- und tagelang bei verschlossenem Fenster und heruntergelassenen Rollos in vollen Windeln in ihrem Bett immer ausgezehrter ausharren musste, erfand die Mutter eine geistige Behinderung der Tochter, dann eine Lebensmittelunverträglichkeit, zuletzt eine schwerwiegende genetische Erkrankung, die eine dauerhafte Heimunterbringung erforderlich machen würde.

„Ich sitze hier und weine, weil ich nicht weiß, wie ich ihr helfen kann“, hatte Monika S. ihrer Mutter am Handy mitgeteilt, dass Alina nach ärztlichem Befund ein 24/7-Pflegefall mit Anspruch auf Rollstuhl und Heimunterbringung werden würde. Obwohl kein Arzt zu diesem Zeitpunkt konsultiert worden war.

Fast verhungerte Alina: „Ich will nicht mehr nach Hause zurück“

Beide Angeklagte hätten den Tod Alinas „billigend in Kauf genommen und deshalb in Tötungsabsicht gehandelt“, sagte Kretzschmar weiter. Zudem hätten sie mit ihrem Verhalten eine „beachtliche kriminelle Energie“ an den Tag gelegt. Strafmildernd wertete die Kammer lediglich die bei beiden Angeklagten vorhandene „schwere Kindheit und Jugend“, verkannte dabei aber nicht, dass beide „von der Struktur der Haftbedingungen profitieren“. „Die Haft tut beiden gut“, hatte es ein psychologischer Gutachter zuvor im Prozess formuliert.

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Alina war nach sechs Wochen Klinikaufenthalt mit einem Gewicht von 18 Kilo und einer Größe von 106 Zentimetern in eine Pflegefamilie gekommen, inzwischen lebt das Mädchen in einer heilpädagogischen Einrichtung. Im Krankenhaus hatte Alina kein einziges Mal nach ihrer Mutter gefragt und beim Thema Entlassung ausdrücklich darauf hingewiesen: „Ich will nicht mehr nach Hause zurück.“

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