Zweiter Weltkrieg„Das waren grauenvolle Tage“

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Bergheim-Niederaußem – Unter dem Datum 1. März 1945 trägt Pfarrer Karl August Kreidt dramatische Ereignisse in sein „Kirchliches Tagebuch“ ein. „Der Artillerie-Beschuß hält an. Es fliegen auch viele Jagdbomber, die Bomben auf das Dorf werfen“, schreibt der Niederaußemer Pfarrer. „Gegen Abend wird das Haus des Metzgers Wilhelm Bayer von einer schweren Granate getroffen. Im Keller bleiben tot: die Großmutter Frau Siepen, die Kinder Karl und Maria Bayer und der Nachbar Heinrich Broich.“

Eindrücklich schildert Kreidt die beiden Tage, an denen amerikanische Soldaten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs beim Vormarsch auf Köln auch Niederaußem einnehmen. Das damals 1200 Einwohner große Dorf ist von besonderem Interesse für die Amerikaner. Die Brikettfabrik Fortuna ist noch intakt, und der Bahnhof Niederaußem ist der größte im Kreis Bergheim. Zwei Panzer, ein Sturmgeschütz und 30 deutsche Soldaten verteidigen das Dorf.

Unter dem Datum 2. März 1945 beschreibt Kreidt einen weiteren Granatentreffer. Am Morgen wird die fünfköpfige Familie Zander in ihrem Haus an der Hoppengasse getötet und am Nachmittag der Schüler Wolfgang Schreiber vor seinem Elternhaus erschossen.

„Das waren grauenvolle Tage für unser Dorf“, sagt Rolf Kremer, früherer Ortsbürgermeister von Niederaußem und heute Vorsitzender der Heimatfreunde Niederaußem/Auenheim. Auf seine Einladung hin haben sich Zeitzeugen getroffen, um sich gemeinsam über die für den Ort einschneidenden Stunden zu erinnern.

Immer wieder werden die Erinnerungen gestützt durch die Tagebucheinträge von Kreidt, der beschreibt, wie Niederaußem besetzt wird. „Gegen 17 Uhr wird das Dorf ganz von den Amerikanern besetzt. Ein großer Teil der Einwohner, darunter alte Leute, Kinder, Säuglinge und Kranke, werden gezwungen, nach Bergheim zu gehen. Unterwegs werden sie heftig beschossen. Es gibt viele Verwundete. In Bergheim werden sie zunächst in der Kirche untergebracht.“

Auch Franz Förster war in diesem Treck dabei. 17 Jahre war er damals alt und begleitete auf dem Marsch seine Mutter und seine Schwestern. „Wir waren etwa 50 bis 60 Leute“, sagt der heute 87 Jahre alte Förster.

Sie seien gezwungen worden, mitten durch die deutsche Front und den Bethlehemer Wald in das bereits von Amerikanern besetzte Bergheim zu gehen, also mitten durch das Feuer der verfeindeten Truppen. „Als der Treck den Bethlehemer Wald erreichte, schoss eine deutsche Batterie in den Wald, in dem viele amerikanische Panzer standen“, erinnert sich Förster. „Es gab einige Tote und viele Verletzte, unter anderem auch eine meiner Schwestern.“ Der Weg durch die Front sei „völkerrechtlich sicher nicht ganz einwandfrei“ gewesen, sagt Förster. Aber: „Die amerikanischen Sanitäter haben sich gut um alle Verwundeten gekümmert, ohne Ausnahme.“

Nach einer Nacht in der überfüllten Remigiuskirche, in der unweit Granaten einschlugen, und einer weiteren in Bergheimer Häusern kehrten die Niederaußemer in ihr Dorf zurück. In den Häusern war offenbar geplündert worden. Dann wiesen die Amerikaner die Niederaußemer an, in die Kirche zu gehen. 600 Menschen sollen hier laut Pfarrer Kreidt gewesen sein. „Es war voll, und es wurde Stroh in die Kirche gebracht“, erinnert sich Anton Bodewig, der damals 15 Jahre alt war. „Die Frauen schrien, weil sie Angst hatten, die Kirche würde in Brand gesteckt.“ Aber Rosa Erkens, die einzige Niederaußemerin, die englisch sprechen konnte, weil sie Familie in den USA hatte, konnte ihre Mitbürger nach einem Gespräch mit den Soldaten beruhigen. Das Stroh sollte lediglich in der kalten Kirche wärmen.

Mehrere Wochen dauerte der Aufenthalt der Soldaten in Niederaußem, viel länger aber dauert die Beschäftigung der Einwohner mit den Geschehnissen von damals. „Ich habe den Einmarsch als Schmach empfunden, als Niederlage“, sagt Förster. „Ich bin 1933 eingeschult worden und habe in vollem Umfang die nationalsozialistische Erziehung »genossen«. In der Volksschule habe ich Schießen gelernt.“ Erst nach und nach habe sich bei ihm die Erkenntnis durchgesetzt, dass Deutschland befreit worden sei.

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