„Falle zu Hause in ein Loch“Nerven liegen bei Schülern und Eltern in Rhein-Erft blank

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Der zwölf Jahre alte Lasse fühlt sich vom digitalen Unterricht überfordert.

Der zwölf Jahre alte Lasse fühlt sich vom digitalen Unterricht überfordert.

Brühl – Pandemie und Schule, das geht nicht gut zusammen. Zumindest ist das nach wie vor der überwiegende Eindruck. Zuerst blieben die Schulen geöffnet und das Konzept hieß „Lüften“. Hygieneregelungen und Unterrichtsmodelle änderten sich von einen Tag auf den anderen. Auf Wechsel- folgte Distanzunterricht, auf Präsenz digitales Lernen.

Bei den Betroffenen liegen die Nerven blank. „Es ist alles schon ziemlich absurd“, sagt Andrea Philipp-Vetter (48). Sie hat drei Söhne, lebt in Brühl und arbeitet als Autismus-Therapeutin in Bonn. Seit anderthalb Jahren helfe sie Lasse (12) und Nils (16) durch den digitalen Schulalltag. Sie versuche, Struktur zu geben und komme nun doch an ihre Grenzen. Was ihr von Anfang an gefehlt habe, sei ein Grundkonzept für das System Schule in der aktuellen Lage.

Rhein-Erft: Eltern und Kinder fühlen sich überfordert

Oft spricht sie mit ihrer Freundin Bettina Führmann (45). Die Mütter kritisieren die Schulpolitik. „Es geht mir bewusst nicht darum, die einzelnen Schulen zu kritisieren, sondern darum, dass das Gesamtsystem nicht funktioniert“, betont Philipp-Vetter. Sie hat viele Eindrücke vom Schulleben ihrer Kinder und Nachbarskinder erhalten, denn in jeder Schule wird die Lage anders gehandhabt.

Andrea Philipp-Vetter

Andrea Philipp-Vetter

Ihr Sohn Nils besucht die zehnte Klasse an der Gesamtschule in Brühl. Er lernt gerade für die Zentralen Prüfungen (ZP) zum Ende des Schuljahrs und findet das Lernen zu Hause sehr anstrengend: „Im Moment besteht mein Leben nur noch aus Hausaufgaben, man sieht da irgendwie kein Ende.“ Er sei zurzeit im Wechselunterricht. Für ihn heißt das, alle zwei Wochen Unterricht in verkleinerten Klassen in der Schule.

„Im Präsenzunterricht läuft für mich alles viel besser. Wenn ich zu Hause lernen muss, falle ich in ein Loch, weil ich nur diesen Berg an Aufgaben vor mir sehe und kaum Kontakte zu Mitschülern habe.“ Natürlich könne er virtuell den Kontakt halten, aber eben nur zu einem Teil seiner Mitschüler und der reale Umgang sei etwas ganz anderes.

Pauline aus Brühl: „Ich finde, das ist kein Unterrichten“

Auch Bettina Führmanns Kinder sind unzufrieden. Tochter Pauline (12) geht in die siebte Klasse am Max-Ernst-Gymnasium: „Ich finde, das ist kein Unterrichten. Wir werden zugeschüttet mit Material und müssen uns zu viel selbst erarbeiten.“ Pauline sei eine sehr selbstständige Schülerin, sagt ihre Mutter. „Sie kann sich gut selbst eine Struktur geben, fühlt sich aber trotzdem sehr unter Druck gesetzt, weil kaum Feedback kommt, sondern nur Aufgabe auf Aufgabe folgt. Ihr fehlt all das, was Schule ausmacht. Die direkte Interaktion mit Lehrerinnen und Lehrern und natürlich das soziale Miteinander in der Klasse.“

„Die Regierung hat immer auf Sicht gehandelt und hat von Lehrern und Schulen Dinge verlangt, für die sie gar nicht wirklich die Kompetenzen haben, wie zum Beispiel Krisenmanagement“, sagt Führmann. Auch als Eltern fühlten sich beide überwältigt. „Man hat das Gefühl, dass an allen Enden gezerrt wird. Ich muss zurzeit so vielen zusätzlichen Rollen gerecht werden. Und nur weil es Homeoffice ist, gibt es ja nicht weniger Arbeit“, sagt Führmann.

„Wo ist das Konzept, die wissenschaftliche Grundlage, Herr Laschet?“

Philipp-Vetters Sohn Lasse besucht die siebte Klasse am Brühler St.-Ursula-Gymnasium und leidet sehr unter der Situation. „Ob ich Videokonferenzen habe oder nicht, macht keinen Unterschied. Es bringt mich nicht weiter“, sagt er. Bei ihm und seinem Bruder sei die Luft raus. Und die Lehrer seien auch nicht immer eine Hilfe. Zwar gebe es Lehrer, die sehr engagiert seien und viel gutes Feedback gäben, das sei aber nicht bei allen so. „Bei einigen Lehrern denke ich manchmal, die gibt’s gar nicht mehr. Ich bekomme von ihnen eine Aufgabe, gebe sie fertig ab und dann kommt nie etwas zurück.“

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Die Brüder sehnen sich nach der Schule. „Alles ist besser, als nur zu Hause zu sitzen.“ In vielen Kreisen liegen die Inzidenzwerte nun stabil unter 100. Die Landesregierung will die Schulen ab dem 31. Mai wieder öffnen. Ein Grund zur Freude, sollte man meinen. Doch Philipp-Vetter ist skeptisch: „Herr Laschet will zum Monatsende alle Kinder wieder in den Präsenzunterricht schicken. Aber die Lehrer sind nicht durchgeimpft. Die Kinder sind gar nicht geimpft. Wo ist das Konzept, die wissenschaftliche Grundlage? Unterricht vor Ort ist gut, aber von 0 auf 100?“

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