Deutschkurs per TelefonErftstädter hilft jungem Mann aus Eritrea bei der Ausbildung

Auch Sprachkurse mussten in diesem Jahr vielerorts digital ablaufen. (Symbolbild)
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Erftstadt – Seit den Kontaktbeschränkungen erfolgt die Unterstützung beim Deutschlernen per Telefon. Mir fehlt das Miteinander im Raum, das gemeinsame Sitzen am Tisch, das Blättern im Buch, der Blick auf die Notizen, die er sich in seiner Heimatsprache Tigrinya macht. Diese hebräisch anmutenden, für mich rätselhaften Buchstaben faszinieren mich. Ungewohnt ist auch die neue Zeit unserer Kontakte, meist gegen 21 Uhr, wenn die Kinder schlafen, wobei nicht selten eins der vier Kinder wach wird und im Hintergrund zu hören ist oder zum Telefon kommt.
Aber da ist auch eine gute Konzentration auf die Worte, die er im Ausbildungskurs für Hilfskräfte in der Altenpflege lernen muss. Er fotografiert den Text, schickt mir das Foto auf WhatsApp und liest ihn dann am Telefon vor, und wir sprechen über das, was unverstanden geblieben ist. Nicht selten kommt bei mir Ärger hoch. Die Ausbildungsleitung verwendet doch recht komplizierte Texte. Das ist nicht leicht für jemand, der gerade dabei ist, die deutsche Sprache zu lernen, mit 13 Jahren überhaupt das erste Mal zur Schule gegangen ist und vorher als Viehhirte durch das eritreische Hochland gezogen ist. Im Deutschkurs hieß es bei einer Schilderung des Lebens auf einem Biobauernhof, dass die Tiere frei rumlaufen könnten. Dazu konnte er nur schmunzeln. Auf einer Fläche von etwa zehn Quadratkilometern zog er mit den Tieren umher. Das gibt’s auf keinem Biobauernhof.

Weil Kontaktbeschränkungen gelten, unterstützt Walter Dreser seinen Schützling nun per Telefon.
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Und nun ging es um Kommunikation mit alten Menschen in der Pflege. Kongruent solle man sich verhalten. Das Wort ist ihm noch nicht begegnet. Der Begriff Kongruenz ist mir aus der Psychotherapie vertraut, aber muss man das auch Hilfskräften in der Pflege überstülpen? Ich versuche zu erläutern, was Kongruenz meint, also dass das, was man sagt und zeigt, mit dem übereinstimmt, was man denkt und fühlt, und bin stolz darauf, mir einfach erscheinende Worte gefunden zu haben. „Also Wahrheit“, ist seine halb fragende Antwort. Eine Seite in mir klatscht Beifall: Wunderbar, das hast du treffend gesagt. Die andere Seite sieht philosophische Wälzer im Regal stehen und weiß um das Gewicht des Wortes Wahrheit in der deutschen Sprache und der Philosophie. Ich entscheide mich für den Beifall und merke, wenn er von seiner Arbeit in der Altenpflege erzählt, er hat verstanden, was gemeint ist.
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Weiter geht es in seinem Text: „Kommunikation ist ein Austausch von Informationen zwischen einem Sender und einem oder mehreren Empfängern. Eine solche Nachricht hat vier Aspekte: Die Sachinformation und den Beziehungsaspekt sowie den Aspekt Appell und die Selbstoffenbarung.“ Ich seufze angesichts der Komplexität der Sätze. Aber ihm fällt ein Beispiel ein. Wenn die fünfjährige Tochter sagt: Ich kann nicht alleine schlafen, dann ist das ein Appell. Ich kann ihm beipflichten, denn offensichtlich soll Papa sich zu ihr legen. Aber mir bleibt auch die Aufgabe, klar zu machen, dass die Formulierung auch eine Selbstoffenbarung ist. Sie redet ja von sich, dass sie glaubt, etwas nicht zu können. Der Satz hat also mehrere Bedeutungen. Und wie ändern sich Bedeutungen, je nach dem, aus welcher Richtung man auf einen solchen Satz schaut. Es bleibt der Ärger in mir, dass ich denke, für Hilfskräfte könnte man einfachere Texte schreiben. Aber die Suche nach Bedeutungen und deren Vermittlung hat auch ihren Reiz, und etwas ehrfürchtig sehe ich mich vor der Aufgabe stehen, ihm zu helfen, diesen Ozean zwischen den Sprachwelten zu überqueren. Und dabei treten mir wieder konkrete Bilder seiner Schilderung des Unterwegsseins auf dem Schlauchboot zwischen Libyen und Italien vor Augen. Ob die Angst, die er manchmal äußert, der Herausforderung des Lernens nicht gewachsen zu sein, auch damals schon in ihm gesteckt hat? Gott sei Dank liegt die Situation lange zurück.
Wenn er sich am Ende bedankt, dann spüre ich, dass das sehr kongruent ist, und ich bin froh, seinem Appell, seiner Bitte gefolgt zu sein.
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