Kettensägenkurs im SiebengebirgeBäume fällen mit dem Meister

Beim Umgang mit der Motorsäge geht es auch um Feingefühl.
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Es knackt trocken, knallt, und mit donnerndem Getöse fällt die Eiche. Und sie reißt die Äste anderer Bäume mit zu Boden. Für einen Augenblick herrscht Stille. Keiner der zwölf Teilnehmer dieses Motorsägen-Kurses rührt sich. Leise rieseln noch einige Blätter zu Boden. Dann versammeln sich alle staunend um den Baumstumpf und fachsimpeln über die schön parallele Bruchkante. Denn darum geht es hier für die Gruppe: Lernen, wie ein Baum richtig gefällt wird.
Der Fluchtweg ist das Wichtigste bei diesem Abenteuer. In diesem Fall heißt er Rückweiche. "Die Rückweiche muss immer frei geräumt sein", sagt Forstwirtschaftsmeister Jürgen Olbert. Am Morgen war die Gruppe vom Forsthaus Stöckerhof aufgebrochen und in den winterlich kahlen Siebengebirgswald eingetaucht irgendwo zwischen Ittenbach, Eudenbach und Quirrenbach. Dort mischt sich alsbald der modrig-süße Geruch des Laubes auf dem Waldboden mit dem scharfen Benzinduft beim Auffüllen der Motorsägen.
Nachwachsende Energielieferant
In dem kleinen Mischbestand aus Buchen, Eichen und Lärchen führt Olbert, genannt Meister Olbert, sie in eine alte Kunst ein - das Baumfällen. Dank seiner positiven Energiebilanz, seiner nachhaltigen, ökologischen und ökonomischen Pluspunkte ist der nachwachsende Energielieferant Holz für den Kamin wieder stark im Kommen.
Und die archaische Holzselbstgewinnung wird immer beliebter, auch bei jungen Menschen. "Viele Jahre ist es das Metier des mittleren Alters gewesen. Seit die Energiepreise gestiegen sind, setzen immer mehr junge Menschen, die gerade ein Haus gebaut haben, auf Holz, weil es nachhaltig und günstig ist", sagt Olbert. Ein Generationenwechsel finde statt. "Die strömen in Massen in den Wald, und da ist die Chance groß, dass etwas passiert", so Olbert. Deswegen hat das Land NRW vor rund sechs Jahren eine Sicherheitssperre eingeführt: Für Arbeiten am Baum im Wald muss eine Motorsägen-Bescheinigung vorliegen.
Doch einfach die Säge schultern, in den Wald und los - das funktioniert nicht. Es geht vielmehr um die richtige Baumansprache, das Pendeln, den Einsatz von mathematischen Formeln, geometrischen Winkeln und eine besondere Taktik.
Bei der Baumansprache geht Olbert um den Baum herum, legt den Kopf in den Nacken und blickt in die Krone, um festzustellen, zu welcher Seite er sich neigt. Vorhänger oder Rückhänger. Schätzt Gefahren ein, die von abgestorbenen Ästen ausgehen. "Die Baumansprache gewissenhaft machen, umso weniger hat man mit hängen gebliebenen Bäumen zu tun. Den werfen wir auf die Gasse", sagt er. Gemeint ist die Rückegasse, durch die die gefällten Bäume abtransportiert werden. Dann wird gependelt. Rückwärts an den Baum gelehnt, beugt er sich mit ausgestreckten Armen über ein spitzwinkliges Dreieck aus einem Zollstock, dessen Enden links und rechts vom Baumstamm liegen. Er pendelt einige Male vor und zurück, richtet sich auf, so dass seine Arme ihm die Richtung weisen, in die der Baum fällt.
Aus der Baumstammdicke errechnet Olbert die Tiefe der Fallkerbe, zeichnet die Bruchleiste an. Diese bleibt als Scharnier stehen, um den Baum in die Richtung zu lenken, in die er fallen soll. "Wenn der Baum schneller fällt, als ich schneiden kann, bricht er auf", sagt Olbert und setzt zum Stechschnitt an. Schon jault die Motorsäge auf, Sägespäne spritzen in alle Richtungen. Holzgeruch macht sich breit. "Jetzt durchtrennen wir nur das Halteband, bis es knack macht", übertönt er das Kreischen der Säge. Wenn es knackt, steht die Flucht auf der Rückweiche an.
Sicherheit ist das oberste Gebot des Baumfällens. Waldarbeiter führen schließlich eine Unfallstatistik an - jeder dritte von ihnen hat demnach einen Unfall. Zum Vergleich: Bei Industriearbeitern ist jeder siebte betroffen, bei Handwerkern jeder 16. Es geht also weniger darum, den Baum mit Gewalt umzusägen. Im Vordergrund steht, den Stamm kontrolliert zu fällen. Die Kursteilnehmer erkennen, dass dabei Feingefühl gefordert ist, aber auch die praktische Anwendung von mathematischen Formeln. "Wenn man den Baum nicht ernst nimmt, geht eine Gefahr von ihm aus", sagt Olbert. Außerdem ist eine besondere Taktik nötig: "Hektik ist die größte Gefahr."
Beruhigend legt Olbert einem Teilnehmer mit beschlagenen Brillengläsern, der vor Anstrengung oder Aufregung zittert, die Hand auf die Schulter. "Mit der Motorsäge in der Hand wird man ein anderer Mensch." Tatsächlich durchströmt den Körper eine Menge Adrenalin, wenn es plötzlich im Stamm knackt.
Als sein erster Baum umkracht, ringt Bernd Tischlinger nach Worten. "Ist das geil. Ich bin total daneben, muss jetzt erst mal kurz klarkommen", stottert er mit roten Wangen und glänzenden Augen. Später, als er sich gefasst hat, beschreibt der Hausmann aus Alfter den Moment, als der Baum fällt: "Das erste Mal ist geil, wie das erste Mal geschossen haben. Es ist egal, ob du ein Streichholz legst oder einen dicken Baum, das ist gefühlt das Gleiche. Schweiß und Adrenalin." Baumfällen mit dem Meister macht also vor allem auch Spaß.
Das Absägen eines Stamms, der dann auf den Waldboden knallt, ist durchaus mit Klischees behaftet: nur was für Männer. Für besondere Männer. Für harte Kerle. Was aber nicht heißt, dass es Frauen nicht genauso viel Spaß und Begeisterung bringen kann wie zum Beispiel zuvor Bernd Tischlinger.
In Olberts Kurs hat sich auch Karine Brüggemann aus Bad Honnef angemeldet. Sie lässt sich nochmals den genauen Winkel zum Schärfen der Motorsägen-Kette zeigen. Sie besitzt selbst ein Grundstück mit Wald.
Sportlich nimmt es Versuchsingenieur Axel Tropp aus Thomasberg bei Königswinter: "Brennholz wärmt zweimal. Es macht Spaß, draußen zu arbeiten, auch wenn es anstrengend ist", sagt er. "Ich heize aber auch mit Kaminholz aus ökonomischen Gründen wegen der hohen Energiekosten und der Ökobilanz."
Dasselbe Argument, das auch den Soldat Johann Schulz aus Rottbitze regelmäßig in den Wald lockt. Zusammen mit seinem Kollegen verbringt er oft die Wochenenden im Wald, um Holz für seinen Kamin zu schlagen. "Man heiratet, kriegt Kinder, man verweichlicht ja zusehends. Da muss etwas her", sagt Kai Kamphausen, Polizist aus Bonn.
Er bekam den Kurs zu Weihnachten geschenkt und besucht ihn mit seinem Schwiegervater. Ein blutiger Anfänger, der begeistert erzählt, dass seine Gruppe am schnellsten zwei Bäume umholzt.
Sogar der Forstwirtschafts-Auszubildende Juan Ortiz blickt noch anerkennend jedem umkrachenden Baum nach. "Das sind richtige Gewalten, die hier freigesetzt werden, obwohl das ja hier eher 08/15-Bäume sind."
Auf seinem Handy zeigt er Videos von 40-Tonnern, die zerbersten. "Wenn das knallt, rennt man richtig, dann geht mir auch die Pumpe. Wenn der reißt, fliegen einem Teile mit 120 Stundenkilometern um die Ohren."
In der kurzen Mittagspause stehen die Teilnehmer mit geröteten Gesichtern und glänzenden Augen auf dem Waldweg und erzählen ihre Baumgeschichten. Und sie lernen, dass Muskelmasse gar nicht so wichtig ist wie praktisches Wissen.
Erinnerung an die erste Fichte
Denn darum geht es hier ja auch: Wie kniet man, damit die Motorsäge, die zwischen dreieinhalb und acht Kilo wiegt, nicht den Rücken belastet? Wo stützt man sich am Baum ab? Wie hält man die Säge, ohne dass die Handgelenke verkrampfen? "Wenn man ergonomisch arbeitet, ist man schneller, als wenn man es hau ruck macht. Dann bist du den Rest des Tages platt wie ein Lachsbrötchen", sagt der Auszubildende Juan Ortiz.
Auch er liebt das Baumfällen und kann sich noch genau an seine erste gefallene Fichte erinnern. "Es ist ein beeindruckendes Erlebnis, die Säge als verlängerten Arm zu spüren, und es macht einen Heidenspaß, wenn es knallt."
Doch was ist mit dem Wohl des Waldes, das viele Menschen gefährdet sehen, sobald sie eine Motorsäge kreischen hören? Grundsätzlich gilt: Gefällt werden nur die Bäume, die andere bedrängen und vom Förster markiert sind. Baumfällen hilft insofern einem gesunden Baumbestand. Und noch ein scheinbarer Widerspruch: Totholz, also abgestorbene Bäume, ist wertvoll. Es wird nicht gefällt.
"Da zieht zuerst der Specht ein, dann die Fledermaus, vielleicht noch die Haselmaus und vor allem viele Käferchen, die sich in den unterschiedlichen feuchten Regionen des Totholzes einnisten", erklärt Olbert.
Inzwischen macht ein Rückhänger Ärger, er will sich nicht zur Fallkerbe neigen. "Den keilen wir langsam um." Keuchend schlägt Juan Ortiz einen Keil in die Kerbe, sein Atem wird zu weißem Dunst. Doch der Baum rührt sich nicht. Schließlich muss Olbert noch mit dem Fällheber anpacken. Gespannt starren alle zur Krone hoch, die sich plötzlich verschiebt, schließlich seufzend neigt, ehe der ganze Baum krachend zu Boden fällt.
Ein Kurs-Teilnehmer jubelt. Die anderen atmen erleichtert auf, strahlen sich an. Stolz. Als sei der Baum durch gemeinsame Anstrengung bezwungen worden.
Baumfällen mit dem Meister: Manchmal kann Glück so einfach sein.