„Mich wundert nichts mehr“Gesundheitsdezernent aus Rhein-Erft über die Pandemie

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Seit einem Jahr wird im Impfzentrum in Hürth geimpft. Der Gesundheitsdezernent zieht Bilanz.

Seit einem Jahr wird im Impfzentrum in Hürth geimpft. Der Gesundheitsdezernent zieht Bilanz.

Rhein-Erft-Kreis – Wir sprachen mit Gesundheitsdezernent Christian Nettersheim über die Impfpflicht und über mögliche Lockerungen im Rhein-Erft-Kreis.

Herr Nettersheim, seit einem Jahr wird, von einer Unterbrechung zwischen September und November abgesehen, nahezu ununterbrochen im Impfzentrum in Hürth geimpft. Sind Sie mit der Bilanz zufrieden?

Nettersheim: Mit der Arbeit der Mitarbeitenden und der Organisation vor Ort bin ich sehr zufrieden, insbesondere damit, wie schnell sich die Verantwortlichen im Impfzentrum immer wieder auf die sich ändernden Rahmenbedingungen eingestellt haben. Die Impfquote ist zufriedenstellend, aber natürlich hätte ich mir als Gesundheitsdezernent eine höhere Quote gewünscht. So liegt die Quote der zweifachen Impfungen bei den 18- bis 59-Jährigen bei knapp 76 Prozent, das heißt ein Viertel dieser Altersgruppe ist gar nicht geimpft, das sind über 60.000 Menschen im Rhein-Erft-Kreis. Auf der anderen Seite sind über 77 Prozent der über 60-Jährigen geboostert und damit für die derzeitige Infektionswelle recht gut geschützt, denn in diesem Altersbereich treten ja in der Regel die schwersten Verläufe auf. Auf die gesamte Bevölkerung des Kreises gesehen, liegt der Anteil der grundimmunisierten, also zweimal geimpften Personen bei knapp 72 Prozent und die Zahl der geboosterten Bürgerinnen und Bürger bei knapp 52 Prozent.

Wie hoch sind die Kosten für das Impfzentrum, und wie lange will der Kreis es noch vorhalten?

Die Kosten schwanken je nach Auslastung und haben in der Spitze eine hohe sechsstellige Summe im Monat betragen. Als Kreis werden wir auf der Grundlage der Beschlüsse der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) und der anstehenden Entscheidungen des Landes das Impfzentrum auf jeden Fall bis zum Jahresende 2022 in Betrieb halten. Zum einen steht der auf die Omikron-Variante angepasste Impfstoff möglicherweise noch zur Verimpfung an, zum anderen kann das Auftreten weiterer Varianten des Virus und damit die Notwendigkeit weiterer flächendeckender und niederschwellig verfügbarer Impfungen im kommenden Herbst und Winter nicht ausgeschlossen werden.

Zur Person

Christian Nettersheim ist aufgewachsen in Wesseling und hat in Bonn Jura studiert. Seit November 2015 ist er als Dezernent beim Rhein-Erft-Kreis beschäftigt. Zu seinem Dezernat gehört nicht nur das Gesundheitsamt, sondern zählen auch die Themen Schule und Bildung und Soziales. Nettersheim ist 44 Jahre alt. (dv)

Trotz einer Impfquote von mehr als 70 Prozent sind die Infektions- und Inzidenzzahlen auf schwindelerregenden Höhen. Wundert es Sie da, wenn manche Menschen die Wirkung der Impfungen in Frage stellen?

Mich wundert nach den letzten zwei Jahren nichts mehr. Aber konkret zu Ihrer Frage: Das primäre Ziel der Impfung ist nicht, eine Infektion gänzlich auszuschließen, sondern den Körper fit genau für den Fall der Infektion zu machen – ihm Werkzeuge an die Hand zu geben, damit er sich gegen das Virus wehren kann. Das hätte man am Anfang der Impfkampagne, als viel über die Wirksamkeit der neuen Impfstoffe diskutiert worden ist, vielleicht deutlicher kommunizieren müssen. Aber die deutsche Impfkampagne ist, jedenfalls unter Marketinggesichtspunkten, ein verkorkstes Kapitel dieser Pandemie.

Wann, schätzen Sie, erreichen wir den Scheitelpunkt dieser Welle?

Nach den derzeit vorliegenden Zahlen könnten wir den Scheitelpunkt der aktuellen Welle im Kreis vielleicht schon erreicht haben. Die höchste Anzahl an gemeldeten Neuinfektionen für einen Tag hatten wir am 2. Februar mit 1551 Fällen, die höchste Sieben-Tage-Inzidenz hatten wir am 4. Februar mit 1839. Seitdem sinken sowohl die Anzahl der Neuinfektionen im Wochenvergleich als auch die Sieben-Tage-Inzidenz. Und dank der unermüdlichen Arbeit der Mitarbeitenden in der Corona-Abteilung des Gesundheitsamtes, der tatkräftigen und fachkundigen Unterstützung der Bundeswehr und der Unterstützung aus dem Haus haben wir keine nennenswerten Melderückstände und damit eine valide Grundlage für unsere Zahlen. Ob diese Entwicklung sich verfestigt hat, wird man erst in paar Tagen sehen, ich würde es mir jedenfalls sehr wünschen.

Die Lage auf den Intensivstationen im Kreis bleibt trotz immenser Inzidenzzahlen stabil. Sind die Corona-Schutzmaßnahmen da noch angemessen?

Die Entwicklung in den Krankenhäusern läuft dem Infektionsgeschehen immer zeitlich hinterher. Wenn sich der Trend zu den rückläufigen Infektionszahlen verfestigt und damit klar ist, dass die Krankenhäuser in Gänze, also Normalstationen und Intensivstationen, nicht mehr überlastet werden durch Patientenaufkommen und/oder Personalausfälle, kann man sicher ab Ende Februar erste Maßnahmen lockern. Die Maske wird uns aber sicher noch längere Zeit im Alltag beispielsweise beim Einkaufen begleiten.

Ab Mitte März gilt eine Corona-Impfpflicht für Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Wie viele ungeimpfte Kräfte im Kreis wird sie betreffen, und wie hoch ist ihr Anteil am gesamten Pflegepersonal?

Die konkrete Zahl der in Einrichtungen nach der betreffenden Vorschrift des Infektionsschutzgesetzes beschäftigten Personen kennen wir nicht, denn es sind nicht nur Pflegeheime und Krankenhäuser von dieser Vorschrift betroffen, sondern beispielsweise auch Physiotherapeuten, niedergelassene Ärzte, Podologen und viele andere Gesundheitsberufe mehr. Aber alleine in den beiden genannten Einrichtungen arbeiten im Kreis zwischen 4000 und 5000 Personen. Intern rechnen wir mit einer Quote von fünf bis zehn Prozent der Beschäftigten in den im Gesetz genannten Einrichtungen, die nicht oder nicht vollständig geimpft sind. Genaue Zahlen kann ich erst nach dem 16. März nennen. Sicher aber werden bei konservativer Schätzung mehrere Hundert Verfahren auf Prüfung und Durchsetzung der Impfpflicht auf das Gesundheitsamt zukommen.

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In der Pflege herrscht Personalmangel – haben Sie angesichts der nicht wirklich dramatischen Lage in den Krankenhäuser nicht die Sorge, dass diese Impfpflicht weitere Pflegekräfte vergrault?

Um wirksam zu sein, müssen staatliche Handlungsvorgaben auch durchgesetzt werden. Sprich, wer sich nicht an die Vorgaben hält, muss im Zweifelsfall die angedrohten Konsequenzen tragen. Andernfalls sollte sich der Staat die gesetzliche Vorgabe sparen. Das gilt auch für die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Wenn durch die angedrohten Betretungs- und Tätigkeitsverbote möglicherweise die Versorgungssicherheit für die pflegebedürftigen und kranken Menschen sowie für Menschen mit Behinderung gefährdet wird, dann habe ich schon Sorge. Vor Ort werden wir die staatlichen Vorgaben umsetzen und bereiten uns entsprechend vor – allerdings wünsche ich mir noch mehr klare Vorgaben von Bund und Land insbesondere zur Frage der Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und Versorgungssicherheit.

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